Nachkriegszeit ist die Gefahr eines erstarkenden Kommunismus größer als in Italien, weshalb vor allem die USA von Anfang an als Schutzmacht präsent sind. So verwundert es nicht, dass die 1947 gegründete US-amerikanische „Central Intelligence Agency“ (CIA) Geburtshelferin und Geldgeberin des SIFAR ist. Das Hauptaugenmerk des italienischen Nachrichtendienstes liegt daher bereits Ende der 1940er-Jahre vor allem auf dem Kommunismus und der Arbeit der östlichen Nachrichtendienste. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass das Treiben des Südtiroler StB-Netzwerks dem italienischen Nachrichtendienst nicht verborgen bleibt. Ganz im Gegenteil. Der SIFAR hat von Anfang an seine Spitzel und Zuträger prominent platziert, denn gleich mehrere der bereits vorgestellten Protagonisten arbeiten gleichzeitig für verschiedene Nachrichtendienste als sogenannte Doppelagenten – allen voran Massimo Uffreduzzi.
Am 10. Oktober 1996 wird der damals 71-jährige Uffreduzzi von der Carabinieri-Sondereinheit Raggruppamento Operativo Speciale (ROS) in Rom verhört. Im Verhör erklärt er:
Ich habe eine wichtige Information an unsere Spionageabwehr weitergeleitet, genauer gesagt an den Major, der unter dem Decknamen „Costa“ operierte und der Leiter der SIFAR-Zentrale in Rom war. Bei dieser Information ging es um die Tatsache, dass ich in meiner Agentur „Telegraph“ von Herrn Erich Bertol kontaktiert wurde, den ich während eines Ferienaufenthaltes in Bozen kennenlernte, weil er dort als Tennislehrer tätig war. Bertol besuchte mich und er machte mir das Angebot, im Nachrichtengeschäft für den tschechoslowakischen Geheimdienst tätig zu werden. Ich fasse hier die Ereignisse etwas zusammen. Ich habe über diesen Anwerbungsversuch sofort General Re, damals Chef des militärischen Geheimdienstes [Giovanni Carlo Re war von 1949 bis 1951 erster Leiter des SIFAR – Anm. d. Autors] informiert. Damals wusste man, dass der KGB versucht, über tschechoslowakische Agenten Spionagenetzwerke in Italien aufzubauen. Deshalb war die Sache auch von größtem Interesse. Re schickte mich zu „Costa“, dessen richtiger Name Eugenio Piccardo war. Mit ihm starteten wir dann eine Operation, um das tschechoslowakische Netz unter Kontrolle zu halten, indem wir Informationen weitergaben, die extra dafür zusammengestellt wurden.79
Presseakkreditierung Uffreduzzis für NATO-Treffen: Berichte an den StB geliefert.
Wenn man diese Aussage genau analysiert, zeigt sich, dass die Erinnerung des ehemaligen StB-Agenten „Hrabec“ recht selektiv ist. In Wirklichkeit haben sich die Vorgänge 46 Jahre zuvor etwas anders abgespielt, was aus den offiziellen SIFAR-Akten jener Aktion hervorgeht, die Uffreduzzi anspricht. Es ist nämlich Praxis, dass jede Operation eines Nachrichtendienstes einen geheimen internen Decknamen erhält, so auch beim SIFAR. Die Aktion, von der Uffreduzzi spricht, heißt „Azione Stelio“.80 Aus dem über 160 Seiten umfassenden streng geheimen Akt geht unter anderem die Rolle hervor, die Uffreduzzi von Anfang an gespielt hat. Demnach standen er und Antonino Jodice, der erste Direktor der Nachrichtenagentur Telegraph, auf der Gehaltsliste des römischen SIFAR-Büros, und zwar bereits bevor Uffreduzzi über Bertol vom StB angeworben wurde, und das Geld für die Gründung der Agentur Mercury, die dem Südtiroler Netzwerk um Hans Morandell als Cover dient, kam auch direkt vom SIFAR. Vor allem aber geht die Anwerbung Uffreduzzis für den StB direkt unter der Regie des italienischen Nachrichtendienstes über die Bühne. Erich Bertol besucht am 20. April 1950 Uffreduzzi in Rom. Am 6. Mai trifft sich Uffreduzzi mit dem SIFAR-Major Eugenio Piccardo und liefert einen detaillierten Bericht über das Treffen und Bertols Angebot ab. Der SIFAR-Offizier notiert im Dienstbericht:
Uffreduzzi hat offen zugegeben, dass er ob seiner nazi-faschistischen Vergangenheit glücklich sei, dem Land einen Dienst erweisen zu können. Er hat versprochen, mit uns nach den Anweisungen zusammenarbeiten, die wir ihm von Fall zu Fall geben. Wir sind so verblieben, dass er sofort unser Büro verständigt, sollte Bertol – so wie ausgemacht – ihn wieder aufsuchen. Ich habe von ihm höchste Geheimhaltung eingefordert, damit die Aktion nicht in Gefahr gebracht wird.81
Massimo Uffreduzzi liefert ab diesem Zeitpunkt periodisch Berichte über das StB-Netzwerk ab. Zudem beschattet der SIFAR Erich Bertol bei jedem seiner Besuche im Rom. Schon bald kennt der italienische Nachrichtendienst alle Mitglieder des gesamten Südtiroler StB-Netzes. Dass man die italienischen Staatsbürger, die für einen ausländischen Nachrichtendienst in Italien Spionage betreiben, nicht umgehend verhaftet, hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund: Der SIFAR sieht die Chance, mit Massimo Uffreduzzi einen sogenannten Doppelagenten im StB zu platzieren. Er soll vermeintlich für die ČSR arbeiten und in Wirklichkeit so dem italienischen Nachrichtendienst Informationen über die Ziele, Interessen und Methoden des StB in Italien liefern. Man führt Uffreduzzi deshalb ganz bewusst immer näher an den StB heran. Es ist bekanntlich Hans Morandell alias „Korsičan“, der Anfang Mai 1951 Uffreduzzi in Wien konkret für die tschechoslowakische Staatssicherheit anwirbt. Auch diese Wien-Reise wird vom SIFAR geplant. So schreibt der Leiter des für Südtirol zuständigen SIFAR-Büros Verona Tullio Filippo Recchia an Uffreduzzis Führungsoffizier, den Leiter der römischen SIFAR-Zentrale Eugenio Piccardo, am 12. Mai 1951:
Lieber Pik,
zuallererst meine Glückwünsche für den wirklich glänzenden Ausgang der Reise Uffreduzzis nach Wien. Eine Reise, die nicht ohne Risiko war, letztlich aber mit Fortschritten zu Ende ging, die für die Weiterführung unserer Aktion sehr wichtig sind.82
Aus den Akten geht klar hervor, dass der SIFAR Uffreduzzis Reise im Herbst 1951 in die ČSR und seine Verpflichtung als StB-Agent „Hrabec“ genehmigt hat. „Damit sollte die Zusammenarbeit für uns noch lohnender werden“, schreibt Piccardo in einem seiner Dienstberichte. Obwohl der SIFAR durch Massimo Uffreduzzi Einblick in die Arbeitsweise des StB erhält, fällt die Zwischenbilanz des italienischen Nachrichtendienstes zu seiner Person zwiespältig aus:
Über ein Jahr lang hat er intelligent und loyal gedient. Auch wenn wir ihn öfters ermahnen mussten, weil er Initiativen ergriffen hat, die nicht mit den Vorgaben vereinbar waren, die wir ihm gegeben haben.83
Uffreduzzi merkt spätestens im Sommer 1952, dass er mit der tschechoslowakischen Staatssicherheit viel Geld verdienen kann. Während er vom SIFAR zwar Geldspritzen für seine Agentur Mercury und Spesenvergütungen bekommt, zahlt der StB für die Informationen äußerst gut. Er beginnt deshalb, Informationen – und zwar nicht nur die vom SIFAR freigegebenen – auf eigene Faust und ohne Wissen des italienischen Dienstes an den StB zu liefern und zu verkaufen. Dazu trifft er sich, wie oben beschrieben, im Herbst 1952 mehrmals mit seinen StB-Kollegen, bis sich diese Situation zuspitzt. Im Akt der „Azione Stelio“ findet sich eine genaue Aufstellung der Treffen mit Hans Morandell, Edgar Meininger und Franz Flies sowie der Übergaben von Dokumenten, die Massimo Uffreduzzi am SIFAR vorbei den Tschechoslowaken übermittelte. Der Tropfen, der schließlich das Fass zum Überlaufen bringt, ist die Übergabe des italienischen Chiffrierbuches „Cifrario Diplomatico-Militare (sistema Mengarini Duca)“ an den StB. Die römische SIFAR-Zentrale entscheidet, Massimo Uffreduzzi in die Mangel zu nehmen. Man will ihn unter Druck setzen, indem man ihm androht, ihn wegen Landesverrats und Spionage zu verhaften. Ende Jänner 1953 unterzieht Eugenio Piccardo seinen Informanten einem strengen Verhör. Uffreduzzi bricht zusammen und gesteht, dass er über Monate hinweg ohne Wissen des SIFAR den Tschechoslowaken Informationen und Dokumente geliefert habe. SIFAR-Mann Eugenio Piccardo:
Er wurde verwarnt und es wurde ihm verboten in keinem Fall und aus keinem Grund nicht genehmigte Kontakte mit den Tschechoslowaken und deren Agenten zu unterhalten und genauso wenig Material zu übergeben, das von uns nicht vorab geprüft worden ist. Zudem habe ich von ihm einen vollständigen Bericht verlangt über alle Aktivitäten, die er ohne unser Wissen entfaltet hat. Ich gehe davon aus, dass diese Lektion ihren Sinn erfüllt und Uffreduzzi die Zusammenarbeit ehrlich weiterführen wird.84
Angeblich streng geheimes italienisches Chiffrierbuch: Viel Geld für eine plumpe Fälschung.
Am 3. Februar 1953 übergibt Uffreduzzi dem SIFAR eine zehn Seiten lange Sachverhaltsdarstellung,