Informationen über ihre Zusammenarbeit mit dem StB.90 Doch weitere Nachrichtendienste schöpfen die Informationen der Bozner StB-Zuträger ab. So ist Alfredo Macchia in Kontakt mit dem amerikanischen Militärgeheimdienst CIC, der – wie wir noch sehen werden – in den 1950er-Jahren in Bozen besonders aktiv ist. Außerdem dürfte Friedrich Stefaner bereits zu diesem Zeitpunkt nebenbei auch für die deutsche „Organisation Gehlen“ (Org.) den Vorgänger des „Bundesnachrichtendienstes“ (BND) gearbeitet haben.
Man kann der Einschätzung des Nachfolgers von Tullio Filippo Recchia in der Leitung des SIFAR-Büros Verona, Carabinieri-Hauptmann Luigi Margiotta, nur zustimmen, wenn er von einem „covo di vipere“ spricht: In einem internen Bericht von 1953 schreibt er wörtlich „Giftschlangennest, das aus jenen Elementen der Stelio besteht, die in Bozen wohnen“91. Besser kann man das Konglomerat von Spitzeln wohl kaum beschreiben.
Abrechnung in Brünn
Zur selben Zeit, als der SIFAR in Rom Massimo Uffreduzzi in die Zange nimmt, merkt man allerdings auch in Prag und Brünn, dass mit Agent „Hrabec“ und dem gelieferten Entschlüsselungshandbuch einiges nicht stimmt. Man wendet sich umgehend an jenen Mann in Wien, der den römischen Journalisten zum StB gebracht hat: Hans Morandell. „Korsičan“ weiß, dass nicht nur seine gesamte Arbeit für den StB, die er seit vier Jahren geleistet hat, auf dem Spiel steht, sondern auch seine Zusammenarbeit mit dem SIFAR auffliegen könnte. Am 20. Jänner 1953 fahren „Korsičan“ und Edgar Meininger („Pedel“) nach Rom, um Massimo Uffreduzzi zur Rede zu stellen. Kaum meldet sich Morandell bei Uffreduzzi, haut dieser aus Rom ab, versteckt sich und berichtet voller Schrecken seinem SIFAR-Führungsoffizier Eugenio Piccardo, dass er von Sostero und Meininger bedroht werde. „Korsičan“ schreibt am 23. Jänner 1953 aus Rom an seinen StB-Führungsoffizier:
Nun bin ich bereits zwei Tage hier in Rom und werde wahrscheinlich unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren müssen. Wenn ich gewusst hätte, dass dieser Primo [Primo ist der Deckname, den Uffreduzzi sich gegeben hat – Anm. d. Autors] so ein Lump ist, hätte ich mir die Zeit und das Geld für diese weite Reise ersparen können. […] Ich habe den deutlichen Eindruck, dass dieser Primo ein schlechtes Gewissen hat und deshalb um jeden Preis eine Zusammenkunft vermeiden will, um nicht über seine Schwindeleien Rechenschaft abgeben zu müssen. Denn ich bezweifle keinen Augenblick, dass von allen den Waren, die er zu besitzen behauptete, keine einzige existiert, sondern dass alles nur ein Bluff ist. Und jetzt hat er Angst, seinen Bluff eingestehen zu müssen. Aber dieses Schwein wird mir schon noch mal unter die Hände komme, damit ich mit ihm abrechne!92
Der Zorn von Hans Morandell verraucht jedoch bald. Das liegt vor allem daran, dass Massimo Uffreduzzi sich absolut reumütig gegenüber seinen Mistreitern verhält. Der SIFAR will die Operation „Stelio“ unbedingt weiterführen, deshalb weist man Uffreduzzi auch an, den Riss mit Morandell wieder zu kitten. Dieselben Vorgaben dürfte der italienische Nachrichtendienst auch seinem Informanten „Robert“, sprich Hans Morandell, gegeben haben. Zur gleichen Zeit übt der StB nun aber Druck aus, dass Morandell und Edgar Meininger zu einem weiteren Treffen in die ČSR kommen. Zwischen Jänner und März 1953 schreibt der StB-Führungsoffizier „Jaroslaw“ mehrere Briefe an „Korsičan“ und „Pedel“. Der Auftrag: Sie sollen Agent „Hrabec“, also Massimo Uffreduzzi, zu einer klärenden Aussprache mitbringen. Doch alle drei Termine verstreichen. Morandell, Meininger und Uffreduzzi kommen nicht.
Im Frühjahr 1953 sprechen sich die drei StB-Agenten untereinander aus. „Korsičan“ überredet „Hrabec“, das Geld, das er vom StB für den gefälschten Entschlüsselungskodex erhalten hat, wieder zurückzugeben. „Hrabec“ hatte von den 2,8 Millionen Lire, die er dafür von der tschechoslowakischen Staatssicherheit erhalten hat, nur 800.000 Lire genommen. Den Rest hatte er im September 1952 in einem Schließfach in Wien deponiert. Dort holt Hans Morandell das Geld jetzt ab und retourniert es – als Zeichen des guten Willens – an den StB. Und so kommt es im Mai 1953 doch noch zu einem Treffen von Hans Morandell und Massimo Uffreduzzi mit ihren Führungsoffizieren in der ČSR. Uffreduzzi kommt am 6. Mai 1953 in Wien an und noch am selben Abend bringt Edgar Meininger ihn und Morandell im Auto an die Grenze bei Laa an der Thaya. „Korsičan“ und „Hrabec“ überschreiten auf einem Pfad die grüne Grenze, wo sie von einem Auto des StB erwartet werden, das die beiden in ein Jagdhaus nach Pohořelice bringt. Dort werden sie von ihren beiden Führungsoffizieren „Frantiček Sabotka“ und „Jaroslaw Hrazky“ erwartet.
Es kommt endlich zur lang erwarteten Aussprache. Die beiden StB-Offiziere halten „Hrabec“ vor, dass ein Teil des Materials, das er übergeben habe, gefälscht war. Man lässt die gesamte Arbeit der letzten zwei Jahre noch einmal Revue passieren. Das Gesprächsklima ist angespannt, aber nicht feindlich. Hans Morandell und Massimo Uffreduzzi planen eigentlich, am Abend des 8. Mai wieder zurück nach Österreich zu gehen. Edgar Meininger wartet an diesem Tag um 22 Uhr mit dem Auto in Laa an der Thaya aber vergeblich, denn am Abend jenes 8. Mai wird klar, dass der StB „Korsičan“ und „Hrabec“ nicht einfach so gehen lässt. Die beiden Agenten werden vom StB festgehalten und bewacht. Der Grund: Es soll ein hoher Funktionär der tschechoslowakischen Staatssicherheit kommen, um mit Uffreduzzi zu reden. Was beide nicht wissen: Aus den zwei geplanten Tagen in der ČSR wird am Ende ein Aufenthalt werden, der mehr als zwei Wochen dauert.
Am 9. Mai wird in der ČSR der Tag der Befreiung gefeiert, deshalb passiert an diesem Tag kaum etwas. Am 10. Mai erscheint dann der angekündigte hohe Prager StB-Offizier. „Korsičan“ und „Hrabec“ werden umgehend getrennt. Während Hans Morandell im Jagdhaus in Pohořelice bleibt, bringt man Uffreduzzi in ein „geschütztes Haus“ – so wird eine Immobilie genannt, die einem Nachrichtendienst für geheime und sensible Aufgaben zur Verfügung steht – bei Mikulov, wenige Kilometer sowohl von Pohořelice als auch von der österreichischen Grenze entfernt. Massimo Uffreduzzi erinnert sich später gegenüber dem SIFAR:
Der große Capo hat überraschend gut Italienisch gesprochen. Deshalb war ich sofort besonders auf der Hut. Sein Ton war von einer überwältigenden Freundlichkeit, fast schon verhöhnend. Nach jeder meiner Erklärungen, auch wenn sie noch so blöd war, meinte er: „Nur noch eine kleine Frage“. Antwortete ich dann, sagte er jedes Mal „Tausend Dank“.93
Uffreduzzi wird tagelang verhört. Der Prager StB-Mann legt ihm alle Berichte vor, die „Hrabec“ in den Jahren zuvor geliefert hat. Der Agent muss genau schriftlich angeben, woher und vom wem er die jeweilige Information bekommen hat. Uffreduzzi gibt dabei einige Fälschungen zu. Er erklärt, dass nicht die Nachrichten an sich falsch seien, er aber das Ganze etwas „aufgepeppt“ habe, etwa indem er den Stempel „segreto“ (geheim) auf verschiedene Dokumente kopiert habe. Außer der Offenlegung seiner Quellen muss „Hrabec“ mehrere schriftliche Berichte verfassen. So muss er Lebensläufe aller seiner Informanten, Zuträger und Bekannten verfassen. Am Ende sind es über 40 Personen, deren Leben er vor dem StB ausbreitet. Dazu kommen Berichte über staatliche Institutionen, Militäreinheiten sowie gesellschaftliche und politische Entwicklungen in Italien. Alle Berichte zusammen füllen über 100 Seiten im StB-Akt des Agenten „Hrabec“, der heute im Prager Archiv liegt. Besonderes Interesse bei der Befragung Uffreduzzis zeigt der StB dabei an Karl Hass – ehemaliger Mitarbeiter des Nazi-Geheimdienstes „Sicherheitsdienst des Reichsführers SS“ und als solcher in den Jahren 1944/45 Vorgesetzter von Uffreduzzi. Dieser hatte den deutschen SD-Mann Anfang der 1950er-Jahre mehrmals in Rom getroffen. Für die tschechoslowakische Staatssicherheit muss er jetzt einen detaillierten Bericht über Hass, den SD und dessen Rolle im Nachkriegsitalien verfassen.
Der StB-Verhörbeamte verdächtigt „Hrabec“, offen für den amerikanischen Militärnachrichtendienst CIC zu arbeiten, weshalb es Uffreduzzi nicht schwerfällt, diesen Verdacht glaubwürdig zu zerstreuen. Eine mögliche Arbeit für den SIFAR wird nicht angesprochen. Eine halbe Autostunde von Mikulov nimmt man im bereits erwähnten Jagdhaus zur selben Zeit Hans Morandell in die Mangel. Auch „Korsičan“ wird tagelang befragt. Am Ende nötigt man beide, eine handschriftliche Erklärung zu unterzeichnen. Die Erklärungen, versehen mit jeweils einem Foto, enthalten neben der Unterschrift