Christoph Franceschini

Geheimdienste, Agenten, Spione


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Struktur geschaffen. In Südtirol operiert das UAR über offizielle und verdeckte Kanäle und arbeitet eng mit amerikanischen Nachrichtendiensten zusammen. Ein streng geheimer Briefwechsel aus der Bozner Quästur macht anschaulich, wie man Spitzel anwirbt und die Lage in Südtirol beobachtet und analysiert. Neben dem UAR sind aber auch noch weitere italienische Dienste streng geheim im Einsatz.

      Zwischen 1925 und 1945 ist der „Servizio Informazioni Militare“ (SIM) eine der wichtigen Stützen des Faschismus in Italien. Mit dem 31. Dezember 1945 wird Mussolinis Geheimdienst formal von den Alliierten aufgelöst, woraufhin ein Großteil der SIM-Agenten nun im „Ufficio Informazioni dello Stato Maggiore Generale“ zusammengezogen wird, das in den Nachkriegsjahren zuerst vom amerikanischen „Office of Strategic Services“ (OSS) und später der „Central Intelligence Agency“ (CIA) finanziert und kontrolliert wird. Erst mit dem Beitritt Italiens zur NATO erhält die Republik Italien wieder einen neuen eigenständigen Geheimdienst: Der „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) nimmt am 30. März 1949 seine Tätigkeit auf.1

      In diesen Jahren nach Kriegsende bauen zudem das Innenministerium und die italienische Polizei geheimdienstliche Strukturen und Dienste auf. Gleichzeitig gibt es zwischen 1946 und 1950 innerhalb der italienischen Polizei einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel, denn es beginnt der globale Kampf gegen den Kommunismus. Waren nach dem Krieg viele Sympathisanten und Mitglieder des linken Widerstandes in den Polizeidienst eingetreten, kommt es in diesen Jahren zu einer bewussten politischen Säuberungsaktion innerhalb der italienischen Sicherheitskräfte. Im ausbrechenden Kalten Krieg und – auch hier – mit tatkräftiger organisatorischer und finanzieller Mithilfe der amerikanischen Nachrichtendienste werden die politischen Gewichte innerhalb der Polizei eindeutig nach rechts verschoben. An den wichtigsten Schaltstellen des Innenministeriums kommen damit wieder alte Seilschaften an die Macht, die Jahre zuvor in der faschistischen Geheimpolizei „Organizzazione per la Vigilanza e la Repressione dell’Antifascismo“ (OVRA) ihr Handwerk erlernt haben.2 1946 wird im Innenministerium der sogenannte SIS „Servizio Informazioni Speciali“ gegründet. Bei dieser Behörde laufen alle Fäden der „politischen Polizei“ zusammen, also jener Abteilungen in den auf Provinzebene angesiedelten Quästuren (Polizeidirektionen), die sich italienweit um politische Delikte kümmern sollen. Dem SIS ist aber nur eine kurze Lebenszeit beschert, denn 1948 entsteht im Innenministerium die „Divisione Affari Riservati“, besser bekannt unter dem Namen ihres operativen Arms, des „Ufficio Affari Riservati“ (UAR). Erster Leiter dieser Polizeistruktur im Innenministerium wird Gesualdo Barletta, der dem Amt bis 1958 vorsteht.

      Barletta arbeitete während des Faschismus für die OVRA, deren Hauptziel die Bekämpfung des Antifaschismus war. Er war Leiter der OVRA-Zone „Lazio-Roma“. Nun holt Barletta Dutzende alte Mitstreiter aus der faschistischen Zeit in den neuen Dienst. Fast alle neuralgischen Stellen im Innenministerium werden so von ehemaligen faschistischen Polizeifunktionären besetzt. Wie eindeutig diese politische Umorientierung ist, macht eine Statistik aus dem Jahr 1960 deutlich. Demnach haben 62 der 64 Präfekten eine Vergangenheit als faschistischer Funktionär, bei den stellvertretenden Präfekten sind es gar 241. Ebenso haben 135 Quästoren und 139 Vizequästoren eine OVRA-Vergangenheit oder waren für den faschistischen Geheimdienst SIM tätig.3 Wie sehr sich diese politische Orientierung auf die Arbeit des UAR auswirkt, zeigt ein Blick ins Herzstück des Dienstes. Das „Casellario Politico Centrale“ geführt von der „Divisione Affari Riservati“ ist sozusagen eine Kartei der subversiven, staatsgefährdenden Elemente. 1961 sind darin 13.716 Personen erfasst, davon sind 12.491 als „Linksextremisten“ gespeichert, 177 Personen als Anarchisten und nur 626 als „Rechtsextremisten“.4

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      Innenministerium im Palazzo del Viminale: Sitz des „Ufficio Affari Riservati“.

      Das UAR hat seinen Sitz im Palazzo del Viminale in Rom direkt im Innenministerium und dort bei der Generaldirektion für öffentliche Sicherheit. Gleichzeitig aber operiert die Division im gesamten Staatsgebiet. 1949 wird an allen Quästuren das „Ufficio Vigilanza Stranieri“ (UVS) eingeführt. Offiziell soll das Büro die Ausländerangelegenheit bearbeiten, in Wirklichkeit ist es eine Struktur, die vor allem in Grenzregionen oder Minderheitengebieten – wie in Südtirol oder Triest – nachrichtendienstlich tätig ist, indem die Beamten nicht nur Ausländer überwachen, sondern auch Spionage und politische Aufklärung im Inneren betreiben. Dafür werben sie Spitzel und Informanten an.

      1957 arbeiten im römischen Zentralsitz 14 Beamte für das UAR, dazu kommen noch ein Außensitz in Mailand und zehn UVS-Büros in den Regionen.5 Italienweit werden in den wichtigsten Städten „Squadre“ (Mannschaften) gebildet. Es sind verdeckte, nicht offizielle Strukturen, die Informationen beschaffen, Spitzel und Agenten führen und Ermittlungen durchführen. Die verschiedenen „Squadre“ werden in der römischen Zentrale durch Zahlen gekennzeichnet. So steht die „Squadra 33“ für Bologna, die „Squadra 23“ für Florenz, „Squadra 51“ für Triest, „Squadra 53“ für Bari, „Squadra 54“ für Mailand und „Squadra 55“ für Turin. In Bozen operierte die „Squadra 26“.6 Angeführt werden diese Gruppen von eigenen verdeckt operierenden Polizeibeamten. Offiziell gehören diese Beamten dem autonomen Regiment des Innenministeriums an, sind aber für Sondereinsätze freigestellt oder formal bereits in Rente. Diese Beamten leben und arbeiten in Privatwohnungen außerhalb der Quästur und halten den Kontakt mit Informanten und Spitzeln, nehmen deren Nachrichten entgegen, übermitteln diese dem UAR nach Rom und sorgen für die Kommunikation mit den Informanten und deren Bezahlung. Der Grund für diese Tarnung ist einfach: Gibt einer der Spitzel oder Informanten Dinge und Aktionen preis, die für die Polizei oder Sicherheitskräfte kompromittierend sein könnten, gibt es keinen direkten Zusammenhang mit offiziellen Stellen. Die Spur endet bei einem Namen, einer Privatwohnung, irgendeiner Adresse.

      Ab 1958 sind an die 20 solche verdeckt operierende Beamte tätig, die eine Art Brückenfunktion zwischen der Peripherie und der Zentrale in Rom übernehmen.7 Parallel dazu führen aber auch die Quästuren oder dort vor allem die jeweilige „politische Abteilung“ eigene Informanten und Agenten. Auch diese werden über das UAR bezahlt und dort fließen auch die Informationen zusammen. In einer genauen Auflistung vom 15. März 1961 des UAR-Direktors Ulderico Caputo sind italienweit insgesamt 50 Informanten angeführt, die sich zu dieser Zeit im Dienst befinden. Sie bekommen – je nach Leistung und Wichtigkeit – zwischen 5.000 und 180.000 Lire im Monat bezahlt. Es dürfte kein Zufall sein, dass jene zwei Spitzel, die den größten monatlichen Betrag erhalten, ausgerechnet in Südtirol im Einsatz sind. Insgesamt gibt das UAR im Frühjahr 1961 für die Entlohnung seiner Informanten monatlich 2.093.000 Lire aus.8

      Um verdeckt arbeiten zu können, braucht das UAR Adressen, die unverdächtig sind. Deshalb mietet man in Rom und Mailand Postfächer an, die auf falsche Namen laufen. In diesen Postfächern trudeln die Berichte direkt von Informanten oder über die peripheren Verbindungsleute ein, aber auch die Korrespondenz mit ausländischen Nachrichtendiensten. So führt das UAR zwischen 1955 und 1958 in Rom im Postamt Borgo zwei Postfächer: das Postfach 9088 auf den Namen Giuseppe Cassano und das Postfach 9066 auf den Namen Romolo De Felice. Anfang 1959 werden diese Adressen stillgelegt, das UAR mietet im römischen Zentralpostamt zwei neue Postfächer: Das Fach 299 lautet auf den Namen Gino Lampugnani und das Fach 254 auf den Namen Luciano Francesconi. Anfang 1960 wird das Postfach 254 beibehalten, aber die Anschrift geändert. Das Postfach lautet jetzt auf den Namen Angelo Molenti. Diese Deckadresse bleibt bis in die 1980er-Jahre operativ, als es das UAR schon gar nicht mehr gibt und die Post vom 1978 neu geschaffenen Inlandsgeheimdienst „Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Democratica“ (SISDE) abgeholt wird. Briefkästen hat das UAR in den 1960er-Jahren auch in Mailand (Postfach 732 lautend auf Maria Moneta) und in Genua (1162 lautend auf Rosa Robbiano). In den Akten finden sich auch genaue Aufstellungen, wer welche Adresse zugewiesen bekommen hat. So stellt man sicher, dass die Berichte der Informanten auch an die richtige Adresse kommen.9 image Fortsetzung