meldet Testa alias „Schatten“ schriftlich seinem Vorgesetzten Caputo nach Rom.36 Wie eng diese Zusammenarbeit zwischen diesen hohen italienischen Polizeifunktionären und den amerikanischen Nachrichtendiensten in Sachen Südtirol ist, wird aus einem Brief deutlich, den Ulderico Caputo Ende Juni 1960 an Giuseppe Testa schreibt. Darin heißt es:
Ich habe Grund zur Annahme, dass sich die Südtiroler Situation im Herbst zuspitzen wird. Was plötzliche und unerwartete Wendungen betrifft, kann ich dir nur sagen, dass das Ganze in Absprache mit den Freunden in Verona und in Frankfurt am Main verfolgt wird, mit denen ich heute einen langen Gedankenaustausch hatte. Dabei hat man mir Ermittlungen im pangermanistischen Umfeld versprochen.37
Freunde aus Verona und Frankfurt? Es sind die „Southern European Task Force“ (SETAF) mit Hauptsitz in Vicenza und Verona, gegründet im Oktober 1955 von der US-Army, und in Frankfurt das Hauptquartier des „United States European Command“ (USEUCOM), 1952 gegründet und später nach Frankreich verlegt. In beiden Städten sind Dienststellen des CIC untergebracht.
Bespitzelung der Volkspartei
Ulderico Caputo war jahrelang an der Bozner Quästur tätig, er kennt die Situation in Südtirol damit bestens und aus eigener Hand. Der Leiter des UAR unterschätzt deshalb die Sprengkraft der politischen Entwicklung Anfang der 1960er-Jahre keineswegs. Sowohl in Rom als auch in der Quästur Bozen weiß man, dass sich im Untergrund etwas zusammenbraut. Ende September 1960 schreibt Caputo an den Bozner Quästor Giuseppe Testa in seiner Funktion als Agent „Schatten“:
Ich bin keineswegs pessimistisch, was die zukünftige Situation der öffentlichen Sicherheit in Südtirol betrifft, wie es aber bei uns üblich ist, müssen wir gut vorbereitet sein.38
Zu dieser Vorbereitung gehört auch, dass der Bozner Quästor im Frühsommer 1960 in Zusammenarbeit mit dem Kommandanten des Militärdistrikts Listen möglicher gefährlicher Personen erstellen lässt und sie nach Rom übermittelt. So lässt Testa die ehemaligen Südtiroler SS-Angehörigen genau katalogisieren und auflisten, weiters die Mitglieder der berüchtigten Division „Edelweiß“ der Gebirgsjägertruppe, die für die Massenerschießungen auf der griechischen Insel Kefalonia verantwortlich waren, die Mitglieder der Waffen-SS und die Pioniere der Wehrmacht. Dass diese Erfassung in Rom auf großes Interesse stößt, zeigt ein Schreiben Caputos an Testa:
Ich leite dir einen Brief weiter, mit dem der Chef der Staatspolizei dir und seinen Mitarbeitern die höchste Anerkennung dieses Ministeriums in Bezug auf die genannten Listen ausdrücken will. Ich kann dir nur versichern, dass man hier sehr zufrieden ist mit dem Rhythmus, den du der Quästur auferlegt hast, und dass deine Aktien dauernd steigen.39
Gleichzeitig tut der Leiter des UAR alles, um die Quästur Bozen auf die neue Herausforderung der sich zuspitzenden politischen Situation vorzubereiten:
Gestern Abend hat der Chef, in meiner Anwesenheit und auf mein Ersuchen hin, der Division FAP [der Personalabteilung der Staatspolizei – Anm. d. Autors] die Anweisung gegeben, die Möglichkeit einer Erhöhung der Belegschaft deiner Polizeitruppe zu prüfen. Ich hoffe auch, dass ich die Sache eines außerordentlichen Fonds, der dir monatlich für die Intensivierung der Spitzeltätigkeit zu Verfügung gestellt wird, positiv zu Ende bringen kann. Wie du siehst, verfolge ich – soweit es mir möglich ist – die Entwicklungen in deiner Provinz und es ist keineswegs meine Schuld, wenn es bürokratische Verzögerungen gibt.40
Giuseppe Testa bedankt sich wenige Tage später bei Caputo für dessen „Einsatz“, gleichzeitig berichtet der Bozner Quästor, dass der verdeckte Polizeibeamte und Leiter der „Squadra 26“ Ciro Patelli bei ihm war und einen Bericht über einen Mann aus Olang abgegeben habe, der im Verdacht steht, am Sprengstoff- und Waffenschmuggel des BAS beteiligt zu sein.41 „Ich habe einen Spitzel über die Grenze geschickt und hoffe, etwas über die Absichten der amtsbekannten Übeltäter zu erfahren“, vermeldet Ulderico Caputo Ende September 1960.42 In den Monaten danach schickt der UAR-Leiter immer wieder Berichte dieses Informanten nach Bozen und ersucht um die Einschätzung Giuseppe Testas. Gleichzeitig legt Caputo dem Bozner Quästor immer energischer die Notwendigkeit nahe, endlich „jemand aus der Basis als Informanten anzuwerben“. Gemeint ist damit jemand aus der Südtiroler Volkspartei (SVP). Am 25. September 1960 vermeldet Giuseppe Testa:
Erhebungen in diesem Sinne sind schon seit Längerem im Gange, trotz höchster Bemühungen war es bis jetzt aber leider nicht möglich, etwas in dieser Sache zu erreichen. […] Auf jeden Fall wird die Aktivität der amtsbekannten Partei aber genauestens verfolgt.43
Am 10. Oktober 1960 kommt es zu einem Wechsel an der Spitze der italienischen Polizei. Polizeichef Giovanni Carcaterra wird durch Angelo Vicari ersetzt. Ulderico Caputo schreibt neun Tage später nach Bozen:
Der neue Polizeichef erkennt die außergewöhnliche Wichtigkeit unseres Dienstes an und im Rahmen unserer Möglichkeiten möchte ich eine gute Figur machen. Ich hatte bereits die Möglichkeit, mich mit ihm zu unterhalten und ihm dabei auch deine Arbeit zu beschreiben. […] Ich nutze diese Gelegenheit, um dich daran zu erinnern, dass du aufmerksam die Möglichkeit prüfen sollst, jemanden aus der Basis anzuwerben, damit wir endlich aus dem vagen Wissen herauskommen und immer wieder einmal eine interessante Nachricht aus dem operativen Bereich der SVP und ihrer Verbündeten in Österreich erhalten können.44
Zwei Tage später antwortet „Schatten“ aus Bozen:
In Bezug auf dein Schreiben vom 19. dieses Monats kann ich dir mitteilen, dass was die Möglichkeiten einer Anwerbung eines „Elementes aus der Basis“ betrifft, wir seit Längerem an zwei Personen arbeiten, „die für diese Zwecke geeignet wären“.
Wir befinden uns aber immer noch in der Phase der diplomatischen Annäherung, auch weil es sich um Personen handelt, die wegen ihrer Stellung in der Partei sehr weit in die „geheimen Dinge“ eingeweiht sind. Natürlich weiß keiner der beiden vom Annäherungsmanöver gegenüber dem anderen. Obwohl sie bisher gewisse Annäherungen noch nicht abgelehnt haben, sind die beiden noch sehr misstrauisch und zögerlich, was eine aktive, tatsächliche und dauernde Zusammenarbeit betrifft. Wie du natürlich leicht begreifen kannst, ist das Ganze eine Geduldsarbeit mit dem Ziel, das volle Vertrauen der beiden in Frage kommenden Subjekte zu erhalten. Eine Arbeit, die einige Schwierigkeiten mit sich bringt, die es zu überwinden gilt, und die mit einer daraus resultierenden Langsamkeit bei der vorsichtigen Abklärung behaftet ist.
Bezahlter Standpunkt
Das UZC finanziert eine Südtiroler Zeitung und mehrere Redakteure arbeiten auch für den SIFAR.
Am 29. August 1947 erscheint erstmals eine neue Zeitung in Südtirol. „Der Standpunkt“ ist eine Wochenzeitschrift, die sich zehn Jahre lang halten wird, bekannte Journalisten, Literaten und Denker vereint und eine Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Sprachraum anstrebt. Gegründet wird die Zeitung von Hans Fuchs, Erbe der Besitzerfamilie der Bierbrauerei Forst bei Meran. Der Südtiroler Historiker Philipp Trafojer hat bereits vor über 20 Jahren die Geschichte dieses Medienprojekts detailliert nachgezeichnet.45 Seine Untersuchung trägt den Titel „Der Standpunkt. Politisch-historische Analyse über Funktion, Form und Wirkungsweise eines Propagandamediums“. Denn die Wochenzeitschrift wird in Wirklichkeit vom „Ufficio per le Zone di Confine“ (UZC) finanziert und gefördert. Es ist vor allem Silvio Innocenti, der dieses Projekt vorantreibt. Der ehemalige Präfekt von Taranto wird am 9. Jänner 1946 als neuer Präfekt nach Bozen geschickt. Innocenti erkennt von Anfang an die Bedeutung propagandistischer Maßnahmen in der Auseinandersetzung um Südtirol. Er beginnt bereits in seiner Rolle als Präfekt, durch die