Christoph Franceschini

Geheimdienste, Agenten, Spione


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Informant in der Wiener Sicherheitsdirektion sogar dem „Chef“ vorgestellt. Die Beschreibung des Treffens und der Person, die Bertol ein Jahr später bei seinen Verhören in Prag wiedergibt, passt perfekt auf den damaligen Leiter der österreichischen Staatspolizei Oswald Peterlunger (1909–1985). Immer wieder versucht „Sizunk“, Kontakt mit dem StB aufzunehmen. So schreibt er unter seinem alten Decknamen „Arnold“ am 25. September 1955 an seinen ehemaligen Führungsoffizier:

       Da es Neuigkeiten gibt, ersuche ich Euch, es so zu arrangieren, dass wir uns so schnell wie möglich treffen können. Deshalb bitte ich Euch, ein Treffen zu fixieren. Lasst mich per Post an meine alte Adresse in Retz Tag und Uhrzeit wissen. Es ist überflüssig zu erwähnen, wie wichtig dieses Treffen ist, denn es gibt einige Neuigkeiten, die Euch sicher interessieren.109

      Erich Bertol arbeitet im Sommer/Herbst 1955 im Wiener Hotel Wandel und lernt dort einen kanadischen Diplomaten kennen. Er will den StB nun mit diesen Informationen versorgen, doch auch dieses Mal lässt die Antwort aus der ČSR auf sich warten. Erst im Jänner 1956 schreibt ihm sein Führungsoffizier zurück und lädt ihn zu einem Treffen in die ČSR ein. Bertol informiert umgehend seinen Kontaktmann bei der Wiener Stapo. Letztlich kommt es aber erst zu Ostern 1956 zum Treffen. Einmal geht Erich Bertol zwar zum verabredeten Termin illegal über die Grenze, wird dort aber nicht abgeholt. In der Nacht des 13. April 1956 überquert „Sizunk“ erneut die Grenze und wird dann von den StB-Leuten nach Prag gebracht. Dort kommt es zu einer Aussprache und Bertol erhält einige Aufträge. Danach kehrt „Sizunk“ wieder nach Österreich zurück, wo er der Stapo umgehend einen detaillierten Bericht erstattet. Erich Bertol arbeitet zu diesem Zeitpunkt als Elektriker bei den Donaukraftwerken in Persenbeug bei Melk an der Donau. Auch auf Druck der Stapo hält er den Kontakt zum StB aber weiterhin. Mitte Juni schreibt er erneut an den StB:

       Da ich mit meiner Arbeit schon fertig bin, möchte ich nachfragen, wann ich heiraten kann. Ich bin soweit bereit. Bitte setzen Sie den Termin an einen Freitag, denn die Zeit ist ja schon bekannt. Der Ort ist immer noch derselbe.110

      Eigentlich hätten bei Erich Bertol aufgrund der mehrmaligen Nichtbeachtung längst die Alarmglocken läuten müssen. Doch das tun sie nicht. Der StB weiß nämlich längst, dass Agent „Sizunk“ für die Stapo arbeitet. Darüber hinaus vermutet die tschechoslowakische Staatssicherheit, dass Bertol über die österreichische Staatspolizei auch Informationen an den englischen und amerikanischen Nachrichtendienst weiterleitet. In einem langen Bericht analysiert der StB am 17. September 1956 den gesamten Fall. Der Beamte kommt am Ende zu einem klaren Resümee:

       Aus den obigen Befunden geht hervor, dass Bertol ein Agent der Österreichischen Polizei und ein Spion ist. Ich schlage daher vor, Bertol in die Tschechoslowakei einzuladen und ihn dort als Agent einer feindlichen Macht zu verhaften.111

      Genau dieser Plan wird dann auch umgesetzt. Agent „Sizunk“ soll am 5. Oktober 1956 in die ČSR kommen. Erich Bertol lässt dieses Treffen aber platzen. Als er dann am 12. Oktober 1956 zum nächsten geplanten Treffen kommt, wird er unmittelbar nach dem Überschreiten der Grenze von der militärischen Spionageabwehr des StB verhaftet und nach Prag gebracht. Zwischen dem 14. Oktober und dem 7. Dezember 1956 wird „Sizunk“ über ein Dutzend Mal verhört. Die Verhöre werden auf Deutsch geführt und sowohl auf Deutsch als auch tschechisch protokolliert. Zudem schreibt Erich Bertol in der Untersuchungshaft eine 30 Seiten lange Sachverhaltsdarstellung, in der die gesamte Geschichte des StB-Netzwerks noch einmal aufgearbeitet wird. Im StB-Akt von Erich Bertol sind auch die Vorgaben enthalten, die die Abteilung Spionageabwehr dem Verhörbeamten macht. Dort heißt es unter anderem:

       Stellen Sie Bertol während des Verhörs in Aussicht, in der Tschechoslowakischen Republik bleiben und hier eine Familie gründen zu können. Gleichzeitig erklären Sie ihm, dass er unter keinen Umständen nach Österreich zurückkommen kann. Denn dort werde er festgenommen, verurteilt und dann nach Italien ausgeliefert.112

      Die Taktik geht auf. Erich Bertol plaudert in den Verhören mehr oder weniger alles aus, was er weiß. Besonderes Interesse hat der StB dabei an den Vorgängen und den Personen der Stapo. So legt man Bertol zum Beispiel eine Reihe von Fotos von österreichischen Polizeibeamten vor, die er identifizieren soll. Am 22. März 1957 verurteilt das Landesgericht Prag Erich Bertol zu 15 Jahren Haft wegen Spionage. Der langjährige StB-Agent „Sizunk“ verschwindet in einem Prager Gefängnis. Gut eineinhalb Jahre lang kümmert sich niemand um ihn. Am 21. März 1958 spricht Bertols Ehefrau Lucia bei der italienischen Botschaft in Wien vor und erklärt, dass sie seit 1957 keine Nachricht mehr über den Verbleib ihres Mannes habe. Sie habe nur schriftlich eine Postfachadresse in Prag erhalten. Doch niemand antwortet auf ihre Briefe. Am 25. Juli 1958 antwortet die italienische Botschaft aus Prag: Erich Bertol verbüße in Prag eine 15-jährige Haftstrafe wegen Spionage. Die Nachricht wird auch umgehend dem italienischen Nachrichtendienst SIFAR übermittelt.113

      Erich Bertol sitzt sieben Jahre Haftstrafe in Prag ab, bevor ihm die Reststrafe erlassen wird. Am 14. September 1964 wird er dann nach Österreich abgeschoben. Danach verliert sich seine Spur bis zum Tod im Jahr 2004.

       Der Mann mit den vielen Namen

      Auch um Hans Morandell wird es ruhiger. Auf einer Zugfahrt zwischen Innsbruck und Wien lernt er seine spätere Frau Anna Gasparik kennen. Die beiden heiraten am 5. Oktober 1955 in Wien. Giovanni Sostero, wie er offiziell heißt, meldet am 16. November 1955 seinen offiziellen Wohnsitz in Bozen ab.114 1956 wird der erste Sohn Marc und wenig später der zweite Sohn Pino geboren. „Er war nie ein Familienmensch, sondern er hat immer sein eigenes Leben geführt“, sagt sein Sohn Marc heute.115 Am 22. Oktober 1959 erhält Hans Morandell, der ja in Italien Gianni Sostero heißt, die österreichische Staatsbürgerschaft. Der StB-Agent arbeitet danach jahrelang als Angestellter des halbstaatlichen italienischen Reisebüros CIT (Compagnia Italiana Turismo) in Wien. Nach einem kurzen Zwischenspiel beim Österreichischen Verkehrsbüro versucht er sich als Mietwagenunternehmer selbstständig zu machen, doch das Abenteuer dauert nicht lange. In den 1970er-Jahren ist er hauptsächlich als Fremdenführer im Schloss Schönbrunn tätig – vorwiegend für Führungen in Spanisch und Italienisch. Bereits um die 50 Jahre alt, holt Hans Georg Sostero, wie er sich inzwischen amtlich nennt, die Lehramtsprüfung nach. Er wird zum Englischlehrer an einer Schule in Wien und kann so als Beamter in Rente gehen. „Er ist zeit seines Lebens sehr viel gereist“, erinnert sich sein Sohn. In den 1960er-Jahren fuhr er auffallend oft in die Tschechoslowakei. „Meine Mutter war überzeugt, dass er dort eine Freundin hat“, sagt Marc Sostero. Einmal ist Anna Sostero samt Sohn ihrem Mann nach Prag sogar nachgefahren, ohne ihn aber zu finden. Vieles spricht dafür, dass die Zusammenarbeit Sosteros mit dem StB auch in diesen Jahren noch weiterging. Als Marc Sostero 16 Jahre alt ist, nimmt ihn sein Vater im Auto nach Rumänien mit. „Nach zwei Tagen hat er Rumänisch gesprochen“, sagt der Sohn heute.116 Sein Vater habe sich mit Sprachen unheimlich leichtgetan. Er beherrschte neben Deutsch und Italienisch Englisch, Französisch, Spanisch, Tschechisch, Serbokroatisch und auch Russisch. Immer wieder arbeitete Sostero deshalb auch als Übersetzer. Laut eigenen Erzählungen soll er auch beim historischen Treffen zwischen John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow am 3. und 4. Juni 1961 im Wiener Hotel Imperial als Übersetzer im Einsatz gewesen sein. Als 1987 Sosteros Mutter Hedwig Morandell in Bozen stirbt, erbt er die große Wohnung in der Venedigerstraße. Gianni Sostero lebt deshalb Ende der 1980er-, Anfang der 90er-Jahre für einige Zeit wieder in seiner Geburtsstadt. Am 26. September 2010 stirbt Gianni Sostero in Wien. Seine Geschichte nimmt er mit ins Grab.

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      Hans Georg Sostero (kurz vor seinem Tod in Wien): Ein Mann mit vielen Gesichtern.

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