Christoph Franceschini

Geheimdienste, Agenten, Spione


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der UAR-Informanten (März 1961): Ulderico Caputos Südtiroler Zuträger.

       Informant Franco

       Ein Südtiroler Kommunist liefert jahrelang dem UAR wichtige Informationen aus dem PCI.

      Die „Squadra 26“, die verdeckt operierende Bozner Dependance des UAR, ist nicht nur für Südtirol und das Trentino zuständig, sondern auch für die Provinz Verona. Antonio Zidda, 1915 in Nuoro auf Sardinien geboren, arbeitet seit 1948 als Polizeibeamter in Verona. Offiziell ist Zidda in der Telefonzentrale der Quästur beschäftigt, doch in Wirklichkeit übt er genau jene Aufgabe aus, die Ciro Patelli in Bozen innehat. Zidda hält diskret den Kontakt mit UAR-Informanten. Dem Veroneser Polizeibeamten gelingt es dabei, eine hochkarätige politische Quelle anzuwerben, die in Südtirol ansässig und tätig ist. Es handelt sich um einen Vertreter des Südtiroler Ablegers des Partito Comunista Italiano (PCI), der gut zwei Jahrzehnte lang dem Innenministerium Informationen über die Kommunistische Partei liefert. Doch er berichtet nicht nur aus Südtirol, sondern weit darüber hinaus.

      „Während meiner Tätigkeit war ich im Kontakt mit einem gewissen Franco, der meine direkte Quelle war und mir Meldungen über die Organisation des PCI weitergab“, sagt Antonio Zidda 1997 in einem Verhör aus.10 Der Informant mit dem Decknamen „Franco“ wird in den 1950er-Jahren angeworben und ist bis mindestens Mitte der 1970er-Jahre für das UAR tätig. „Franco“ liefert unzählige Berichte aus jenem Bereich, den die italienischen Polizeibehörden und Nachrichtendienste am schärfsten beobachten: dem italienischen Kommunismus. Dafür erhält der Informant monatlich vom UAR 50.000 Lire. Dass ein Informant aus Bozen von einem verdeckt operierenden Polizeibeamten aus Verona geführt wird, ist kein Zufall. Denn „Franco“ hat für seine Zusammenarbeit mit dem Innenministerium klare Bedingungen gestellt, damit seine bezahlte Spitzeltätigkeit nicht auffliegt. Antonio Zidda schreibt in einem Dienstbericht vom Herbst 1958 an das UAR in Rom:

       Für den Verfasser ist es äußerst mühevoll und teuer, sich immer wieder mit dem vorgenannten Franco zu treffen, weil Bozen 150 Kilometer von Verona entfernt ist und die Treffen nur an Orten weit weg von dieser Provinz stattfinden können, zudem nur in Privatautos, um die Anwesenheit von Fahrern zu vermeiden. All das wird vom Genannten als „sine qua non“-Bedingung gestellt.11

      Dass „Franco“ Informationen von nationalem Interesse liefert, wird 1969 klar. Das Jahr geht als eines der turbulentesten und tragischsten in die italienische Nachkriegsgeschichte ein. Gekennzeichnet von immer größer werdenden sozialen Spannungen, wachsenden Studenten- und Arbeiterprotesten und einem Auftauchen sowohl links- als auch rechtextremer Gruppierungen, die offen die Gewalt predigen, steht Italien am Rande eines Bürgerkrieges. Die Spannungen erreichen am 12. Dezember 1969 ihren traurigen Höhepunkt. An diesem Nachmittag explodiert am Hauptsitz der Banca Nazionale dell’Agricoltura auf der Mailänder Piazza Fontana eine Bombe, die 17 Menschen tötet und über 80 verletzt. Man geht davon aus, dass das Attentat von Rechtsextremisten mithilfe staatlicher Institutionen durchgeführt wurde. Trotz Dutzender Prozesse konnten bis heute die Schuldigen nicht ermittelt werden.12

      Nach einer Spaltung der italienischen Sozialisten muss Ministerpräsident Mario Rumor am 5. Juli 1969 zurücktreten. Vor allem die italienischen Kommunisten befürchten, dass rechte Kräfte diese politische Übergangsphase zu einem Militärputsch und zur Ausschaltung des PCI nutzen könnten. Am 19. Juli 1969 meldet „Franco“, dass alle Landessekretäre des PCI in Nordost-Italien für diesen Abend zu einer außerordentlichen Dringlichkeitssitzung nach Venedig eingeladen wurden. Der UAR-Informant schreibt im Juli 1969:

      Diese Einberufung hängt mit der aktuellen politischen Situation in Italien zusammen. Sollte Ministerpräsident Rumor es nicht schaffen, eine neue Regierung zu bilden, so befürchtet man im PCI, dass man andere Gewaltmittel anwenden wird, um eine neue Regierungsform durchzusetzen (mit Unterstützung der Streitkräfte).

      In Anbetracht dieser Situation haben die Landesverbände den Befehl erhalten, die Listen der eingeschriebenen Parteimitglieder sowie jenes Material zu verstecken, das (im Falle von Hausdurchsuchungen) für den PCI kompromittierend sein könnte.

       Der Befehl für diesen „Voralarm“ wurde auch auf alle Führungskräfte und die Mitglieder der Landeskomitees ausgedehnt, damit auch diese die nötigen Vorsichtsmaßnahmen bei sich zu Hause umsetzen können.13

      Bis heute ist es den Beteiligten gelungen, die Identität von „Franco“ geheim zu halten. Antonio Zidda hat 1997 in zwei Verhören bewusst keine Angaben gemacht. Sicher ist, dass es sich bei diesem Spitzel um ein hohes und langjähriges Mitglied des Südtiroler PCI handeln muss.

       Südtiroler Spitzel der italienischen Dienste

      Als der von 1959 bis 1961 amtierende UAR-Direktor Ulderico Caputo am 25. Jänner 1991 in Rom stirbt, nimmt er einige Geheimnisse mit ins Grab. Der am 22. November 1917 geborene Caputo war in den 1930er-Jahren Funktionär der faschistischen OVRA gewesen und hatte dabei unter anderem mit Gesualdo Barletta zusammengearbeitet. Nach dem Krieg finden sich dann beide im „Ufficio Affari Riservati“ wieder. Caputo ist bestens mit Südtirol vertraut. Er wird im Mai 1946 von Florenz an die Bozner Quästur versetzt. Im Herbst 1947 wird er vom Hauptkommissar zum Vize-Quästor befördert. Bereits damals ist er für „den vertraulichen Informationsdienst über die Rückoptanten“ zuständig. Im Juli 1952 wird Caputo dann zum Quästor ernannt und mit 1. August 1952 nach Trapani versetzt.14 In seiner Zeit in Bozen wirbt er selbst als Mitglied des UAR Informanten an. Seine Kontakte nach Südtirol hält der Polizeifunktionär auch in den Jahren danach, als er direkt im Innenministerium in Rom arbeitet. 1957 wird Ulderico Caputo in das UAR versetzt und leitet dort die „Segreteria Speciale Patto Atlantico“, das Verbindungsbüro Italiens zur NATO und den USA. Anfang November 1959 wird Caputo dann zum Leiter des UAR befördert.15

      Ulderico Caputo richtet umgehend sein Augenmerk auf die Südtiroler Situation. Er weiß, dass nicht nur die politischen Loslösungstendenzen von Italien zunehmen, sondern auch, dass sich mit dem „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) längst eine illegale Untergrundbewegung gebildet hat. Der UAR-Leiter forciert deshalb die verdeckte Tätigkeit in Südtirol. Das UAR ist in diesen Jahren in Bozen gut aufgestellt. Neben den Informanten des „Ufficio Vigilanza Stranieri“, ist seit Jahren auch die „Squadra 26“ im Einsatz. Der Mann, der diese verdeckte Einheit in Bozen von 1957 bis zum Mai 1970 führt, heißt Ciro Patelli und stammt aus Potenza Picena bei Macerata. Offiziell aus dem Polizeidienst ausgeschieden, wird er „aus Mangel an geeignetem Personal während der heißen Phase in Südtirol wieder eingesetzt“16. 1963 wird der Polizeibeamte zwar dienstmäßig in den Ruhestand versetzt, bleibt aber weitere sieben Jahre in seiner verdeckten Rolle in Bozen tätig. Von seiner Wohnung in der Bozner Turinstraße 95/5 aus schickt er die Berichte der UAR-Spitzel nach Rom. Ebenso übernimmt er die Bezahlung der Informanten. Erst Ende Mai 1970 wird Ciro Patelli dann aus Bozen abgezogen. Patelli zieht mit seiner Frau in sein Heimatdorf zurück.17 In einem streng geheimen Bericht vom 15. März 1961 fasst Ulderico Caputo die lokale Situation zusammen.18 Demnach hat das UAR zu diesem Zeitpunkt mindestens fünf verschiedene Informanten in Südtirol, die zum Großteil von Caputo selbst angeworben wurden. Einer dieser Informanten hat den Decknamen „Manicor“. Der Spitzel stellt sich aber – nach der Beurteilung Caputos – im Laufe der Zeit als eher unzuverlässig heraus und wird deshalb mehrmals fallen gelassen. Ende Februar 1961 wird „Manicor“ endgültig entlassen.19 Der eindeutig wichtigste Agent ist „Erich Stolz“. Dabei dürfte es sich nicht um den richtigen Namen handeln, sondern um einen Decknamen. „Erich Stolz“ wird nicht von Bozen aus geführt, sondern vom damaligen Leiter der „Segreteria Speciale Patto Atlantico“ innerhalb des UAR, Antonio Carlino, der zwischen November 1980 und Jänner 1984 Bozner Quästor ist und somit direkt mit Südtirol befasst. Ulderico Caputo schreibt:

       Erich Stolz: Die Kontakte werden