Christoph Franceschini

Geheimdienste, Agenten, Spione


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erklärte dann, dass seine Frau krank sei und dass sie sich in großer finanzieller Not befinden. Er beschloss deshalb in die Tschechoslowakei zu gehen, wo er vermutet, dass er für seine vergangene gute Arbeit Hilfe bekommen wird.102

      Dann tischt „Tryska“ eine sensationelle Geschichte auf. Heinrich Berger erklärt, dass er am 12. Januar 1954 seinen Dienst als Angestellter der italienischen Botschaft in Wien aufgenommen habe. Sein Arbeitsplatz sei am Empfang, wo er den Telefondienst mache und Besuche ankündige. Sein monatliches Gehalt betrage 1.200 Schilling sowie Essen und Wohnung. Er lebe und wohne im Gebäude der italienischen Botschaft am Rennweg. Daher biete er dem StB seine Dienste an. Seinem Führungsoffizier erklärt Berger, dass vor allem am Sonntag die Botschaft sehr oft unbeaufsichtigt bleibe und es für ihn nicht sehr schwierig sein würde, einen Schlüssel für den Tresor zu beschaffen. Er würde dann Fotos von Dokumenten liefern können. Zudem würde er Mitte März eine Dienstreise in die Türkei mitmachen. Auch dabei wolle er für den tschechoslowakischen Nachrichtendienst tätig werden. Doch der StB ist längst vorgewarnt. Hans Morandell hatte mehrmals darauf hingewiesenen, dass „Tryska“ ein Doppelspiel treibt.

      Man fragt Berger über die Vorgänge in der Botschaft und die Namen des Personals aus, und als er nicht einmal den Namen des Botschafters nennen kann, ist für die Nachrichtendienstler klar, dass es sich hier um eine Aktion des italienischen Nachrichtendienstes handelt. Berger dürfte über seine Kontakte zum SIFAR Kontakte zum Briefpapier der Botschaft gekommen sein. Ob es die zeitweilige Anstellung in Wien wirklich gab, konnte der Autor nicht nachprüfen. „Der Fall scheint eine Provokation zu sein“, schreibt der StB-Führungsoffizier in seinem Dienstbericht. Und weiter: „Ich reagierte passiv auf seine Angebote und erklärte ihm, dass wir uns melden werden, falls wir interessiert sind.“ Man überlegt ernsthaft, Heinrich Berger in der ČSR zu verhaften, doch weil man kaum Beweise in der Hand hat, bringt man Agent „Tryska“ am Abend des 21. September an die Grenze, wo er zurück nach Österreich geht.103 Zwei Monate später wird der Akt „Tryska“ geschlossen. In einem „Endbericht zum Fall Heinz Berger“ kommt die StB-Zentrale in Prag dabei zu einem vernichtenden Resümee:

      Berger ist der Fall eines nicht ordnungsgemäß verwalteten Agenten. In dem Bestreben, sein Netzwerk zu erweitern, erlaubte die Führung die Bildung eines SubNetzwerks. Der Informant wurde nicht konsequent und systematisch überprüft, man unternahm keine Schritte, um gewisse Zweifel vollständig zu klären und die Zusammenarbeit rechtzeitig auszusetzen, um ernsthafte Bedrohungen des gesamten italienischen Netzes zu verhindern.

       Dieser Fall zeigt, dass die sogenannten Hauptagenten des italienischen Netzes höchstwahrscheinlich von feindlichen Geheimdiensten kontrolliert werden. Weniger wahrscheinlich ist es, dass es sich nur um Geheimdienstbetrüger handelt, die überwacht werden, um sie dann nach Abklärung ihrer Kontakte zu verhaften.104

      Der Bericht bringt ein interessantes Detail am Rande ans Licht: Geheimdiensten ist voll bewusst, dass sich ihnen auch Betrüger andienen, die kaum verwertbare oder falsche Informationen liefern. Doch lässt man diese gewähren und überwacht sie, um ihre Kontaktpersonen zu erfahren. Zu einer Verhaftung kommt es erst dann, wenn sie diesen Zweck erfüllt haben und für den Dienst nutzlos werden.

       Tragisches Nachspiel

      Doch nicht für alle endete die Zusammenarbeit mit dem StB so glimpflich wie für Berger. Erich Bertol arbeitete im Sommer 1953 weiterhin für den StB, nun ist Agent „Sizunk“ vorwiegend in Österreich tätig, da ihn der StB warnte, nach Italien zu fahren. Er würde dort verhaftet werden. Erich Bertol lebt zu dieser Zeit bei seiner österreichischen Verlobten, der Lehrerin Lucia Wittrich im niederösterreichischen Retz direkt an der Grenze zur ČSR. Die beiden bekommen 1953 eine Tochter und werden im August 1955 heiraten.105 Im Herbst 1953 unterbricht der StB aber die Zusammenarbeit mit „Sizunk“. Bertol, der immer noch italienischer Staatsbürger ist, schafft es in Österreich – laut eigener Aussage – nicht, eine geregelte Arbeit zu finden. Weil sein italienischer Pass verfällt, lässt er diesen im Herbst 1953 am italienischen Konsulat in Wien verlängern. Im Dezember desselben Jahres will er nach Bozen fahren und übernachtet dabei in einem Innsbrucker Hotel, wo er allerdings von der österreichischen Polizei festgenommen wird. Der Grund: Seit März 1953 ist Bertols Aufenthaltsgenehmigung in Österreich verfallen. Er wird wegen Verstoßes gegen die Ausländerbestimmungen zu einem Monat Arrest verurteilt. Nach seiner Freilassung wird er der Staatspolizei (Stapo) überstellt, die den Bozner nach Italien ausweisen soll.

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      Erich Bertol alias „Sizunk“: Foto nach seiner Verhaftung (1956).

      Bei seiner Verhaftung hatte die Polizei in einer Aktentasche militärische Landkarten aus Holland und andere Dokumente gefunden, die er für den StB organisiert hatte. Ein Innsbrucker Stapo-Beamter erklärt Bertol, dass die österreichische Polizei über seine Arbeit für die Tschechoslowakei informiert sei und die italienischen Behörden schon sehnsüchtig auf seine Auslieferung warten würden. Er würde in Italien wegen Spionage zu 15 Jahren verurteilt werden. Der Stapo-Beamte macht Bertol daraufhin ein klares Angebot. Er soll auspacken und in Zukunft als Informant der österreichischen Staatspolizei arbeiten, dann würde er freikommen und in Österreich bleiben können. Den Namen des Beamten gibt Bertol drei Jahre später bei den Verhören vor der militärischen Spionageabwehr des StB in Prag mit „Oberpolizeirat Peschel“ an.106 Bertol geht auf das Angebot der Österreicher ein. Sofort erhält er dann auch in Innsbruck eine Aufenthaltsgenehmigung für Österreich und wird auf freien Fuß gesetzt. Peschel begleitet Erich Bertol nach Wien, wo er sich mit zwei Beamten der Stapo trifft, die ihn in eine Wohnung in der Salesianergasse 2/13 bringen. Es handelt sich um Friedrich Jäger und Johann Riedel, beide Beamte in der Abteilung I, Staatspolizei. In der Wohnung nicht unweit vom Sitz der Staatspolizei wird Bertol laut eigenen Angaben verhört. Er gibt bereitwillig Auskunft über seine Arbeit, die illegalen Schleichwege über die Grenze, die toten Briefkästen in Wien und die Aufträge, die er vom StB erhalten habe. Während des Verhörs ist – laut Bertol – auch ein Engländer in der Wohnung anwesend. „Dieser Engländer war vom englischen Nachrichtendienst“, gibt „Sizunk“ später im Verhör in Prag zu Protokoll.107 Nach dem Aufenthalt in Wien kehrt Bertol mit dem Auftrag, sich sofort bei Jäger oder Riedel zu melden, wenn er einen Kontakt zum StB hergestellt habe, nach Retz zurück. Die Stapo-Beamten animieren ihn, auch ohne Einladung in die ČSR zu gehen. Genau das tut „Sizunk“ im Februar 1954 dann auch. Doch sein StB-Führungsoffizier erklärt ihm, dass die Zusammenarbeit mit ihm offiziell unterbrochen sei, und schickt ihn unverrichteter Dinge nach Retz zurück.

      Bertol hält weiterhin Kontakt zur Wiener Stapo. Gleichzeitig trifft er sich wieder mit seinem früheren Weggefährten Friedrich Stefaner, der ihm dabei sein Leid klagt. Er sei von den italienischen Behörden des Landes verwiesen worden und müsse sich jetzt in Innsbruck irgendwie durchschlagen. In Wahrheit hat der Bozner StB-Agent „Horalsky“ aber wegen eines kleineren Betrugsdeliktes Südtirol und Italien verlassen und fürchtet eine Haftstrafe, wenn er zurückkommt. Zudem ist Friedrich Stefaner zu diesem Zeitpunkt längst für einen zweiten Nachrichtendienst tätig, die „Organisation Gehlen“ (Org.). Friedrich Stefaner arbeitet in den 1950er-Jahren als bezahlter Informant der Org. In dieser Rolle wurde er auch vom BND übernommen. So ist Stefaner wohl in den 1960er-Jahren in Innsbruck unter dem Decknamen „STAN“ für den deutschen Nachrichtendienst tätig.108

      Im Sommer 1954 meldet sich Friedrich Stefaner bei Erich Bertol und lädt diesen nach Innsbruck ein. Beide fahren am nächsten Tag nach Konstanz am Bodensee, wo Stefaner Bertol einen gewissen Herrn „Müller“ vorstellt. Müller ist ein Org.-Mann, der an diesem Tag Bertol für den deutschen Nachrichtendienst anwerben will. Laut der Schilderung Bertols habe der Abgesandte der Org. ihm ein Dossier vorgelegt, in dem die gesamte Arbeit des StB-Netzes rund um „Sizunk“ dokumentiert war, unter anderem mit Aussagen Stefaners. Erich Bertol unterzeichnet am Ende eine Verpflichtungserklärung, doch will er in Wirklichkeit nie für den deutschen Nachrichtendienst tätig geworden sein, sehr wohl aber für die österreichische