ganz andere Anforderungen an seine Agenten, und es herrschen ab jetzt auch völlig andere, weit strengere Umgangsformen. Das führt im Sommer 1952 zu einem Konflikt. Sowohl Massimo Uffreduzzi als auch Hans Morandell beklagen sich in einem langen Briefwechsel über das Verhalten des StB ihnen gegenüber. „Korsičan“ erklärt in einem geharnischten Schreiben an „Jaroslaw“ Ende Mai 1952, dass er unter diesen Voraussetzungen nicht mehr in die Tschechoslowakei kommen werde. Hans Morandell kategorisch:
Wenn ihr mit diesem Modus Vivendi nicht einverstanden und ihr mit meiner Arbeit nicht mehr zufrieden seid, bin ich zu jedem Zeitpunkt bereit, meine Kündigung einzureichen. Dass wir zu diesem Punkt gekommen sind, ist nur eure Schuld. Macht also mir keine Vorwürfe. Ich jedenfalls habe alles so organisiert, dass unsere Arbeit weitergeht, ohne dass wir uns persönlich treffen müssen.73
„Korsičan“ wird danach demonstrativ einige Monate lang nicht mehr in die ČSR reisen, obwohl der StB alles versucht, um ihn umzustimmen. Ebenso versucht man Massimo Uffreduzzi zu einem weiteren Treffen auf tschechoslowakischem Boden zu bewegen. Am 1. August kündigt „Hrabec“ mit einer Postkarte, die an eine Deckadresse in Pohořelice, einem Dorf 25 Kilometer südlich von Brünn adressiert ist, sein Kommen für den 15. August an. Weil diesmal „Korsičan“ nicht zur Verfügung steht, gibt der StB-Mann „Jaroslaw“ wenig später seinem römischen Agenten genaue schriftliche Anweisungen, wo und wie die Kontaktnahme in Wien erfolgen soll. Das Schreiben erinnert an einen Spionageroman.
Lieber Freund,
Danke Ihnen herzlich für Ihren Kartengruß und bin sehr erfreut, dass Sie mich am 15. August 1952 besuchen werden. Für Ihre Reise gebe ich Ihnen folgende Richtlinien:
Am 15.8.1952 um 17 Uhr warten Sie in Wien II, Praterstraße, vor dem bekannten Teppich- und Vorhängegeschäft „Orient“, es liegt an der linken Seite Richtung Praterstern, wo Sie von meiner Vertrauensperson pünktlich abgeholt werden. Als Erkennungszeichen nehmen Sie in die linke Hand Ihre Aktentasche und in die rechte Tasche Ihres Anzuges, resp. Mantels, geben sie die Zeitschrift „Die Wegwarte“, so dass der Titel gut sichtbar ist.
Meine Vertrauensperson spricht Sie mit: „Guten Abend Herr Primo“ an und Sie antworten: „Es freut mich sehr, dass ich Sie wieder sehe.“ – Und nun wird alles Weitere veranlasst. Ware nehmen Sie keine mit, senden Sie diese wie vereinbart am 14.8.1952.
Bin überzeugt, dass nach unserer Unterredung Ihre und meine Zufriedenheit und Arbeit sich um hundert Prozent erhöht.74
Doch das Treffen findet nicht statt, denn Massimo Uffreduzzi sagt am 12. August per Brief sein Kommen ab. Nach einem angeblichen Burnout dürfe er derzeit nicht reisen und deshalb erhole er sich in Südtirol. Nach wie vor arbeitet „Hrabec“ weiter für den Dienst und schickt gleichzeitig mit dem Brief einen Bericht zu einem NATO-Manöver im Mittelmeer vom 11. bis 14. Juni 1952, an dem sich auch die italienische, griechische und türkische Marine beteiligt. „Jaroslaw“ hatte diesen Bericht zehn Wochen zuvor schriftlich angefordert.
Von Anfang an pocht der neue StB-Führungsoffizier „Frantiček Sabotka“ bei „Korsičan“ und „Hrabec“ immer wieder auf eine ganze besondere Lieferung. Der tschechische Geheimdienst will unbedingt ein Verschlüsselungshandbuch der italienischen Armee in die Hände bekommen, also ein Chiffrierbuch, italienisch „Cifrario“. Mit Verschlüsselungsverfahren kann ein Klartext in einen Geheimtext umgewandelt werden (Verschlüsselung) und umgekehrt der Geheimtext wieder in den Klartext rückgewandelt werden (Entschlüsselung). Der Schlüssel dazu ist ein Kodex, in dem die Algorithmen zur Umwandlung genau aufgelistet sind, eine Art Wörterbuch. Der Schlüssel für die Dechiffrierung ist zugleich der Generalschlüssel zur gesamten geheimen Kommunikation des italienischen Militärs und damit eines der am strengsten gehüteten Geheimnisse überhaupt. Trotzdem scheint es, dass Massimo Uffreduzzi das Chiffrierbuch beschaffen konnte. Ende September 1953 kommt es zur Übergabe, Uffreduzzi fährt dafür nach Wien. Begleitet wird er von Carlo Guida, einem seiner Zuträger und Informanten. Guida, angehender Doktor der Medizin, war 1946 zusammen mit Uffreduzzi für den Mord an dem linken Studenten Gizzio verurteilt worden und saß mit ihm auch in Haft. Am Morgen des 23. September 1952 treffen sie Hans Morandell. Agent „Korsičan“ bricht mit der Lieferung noch am selben Abend von Wien aus in die ČSR auf. Mit im Gepäck: der von „Hrabec“ mitgebrachte „Cifrario Diplomatico-Militare (sistema Mengarini Duca)“. Das Handbuch aus dem Jahr 1951 trägt auf dem Deckblatt die Bezeichnung „Verteidigungsministerium, Generalstab des Heeres“ und die Klassifizierung „Geheim“. Weil Uffreduzzi sagt, dass er den streng geheimen Entschlüsselungskodex wieder zurückbringen müsse, liefert „Korsičan“ das Material sofort in die ČSR, wo das Buch vom StB abfotografiert wird. Im Prager Akt von „Hrabec“ findet sich heute ein Teil dieser Fotos.75 Am frühen Morgen des 25. September ist Morandell dann wieder in Wien. „Korsičan“ bringt nicht nur den Kodex zurück, sondern auch den vereinbarten Geldbetrag: 2,8 Millionen Lire. In einer 15 Seiten langen Sachverhaltsdarstellung, die Massimo Uffreduzzi wenig später verfasst, beschreibt er die Stimmung, trotz der vorherigen Unstimmigkeiten, als absolut euphorisch. Hans Morandell jedoch will aus Italien weg und hat dies bereits vorher angekündigt. Führungsoffizier „Sabotka“ hat ihm einen fixen Auslandposten für den kommunistischen Nachrichtendienst versprochen, die Rede ist von Griechenland. Wenig später geht Morandell für den StB aber für einige Monate nach Chile und Uruguay. „Hrabec“ hingegen will das erhaltene Geld nutzen, um ein Netz auf dem Balkan, in Griechenland und in der Türkei aufzubauen. Sein Plan: Hans Morandell („Korsičan“), Edgar Meininger („Pedel“) und Franz Flies („Puzzi“) sollen das Netz leiten. In der Folge kommt es zu mehreren von Uffreduzzi angeregten Treffen, die später noch eine Rolle spielen werden. Am 7. Oktober 1952 kommt Franz Flies zu „Hrabec“ nach Rom und am 21. November 1952 treffen sich Meininger, Morandell und Flies am Bahnhof in Verona. „Korsičan“ und „Puzzi“ erzählen dabei völlig aufgelöst von ihrer bereits beschriebenen Verhaftung in Hollabrunn. Etwas später, im November/Dezember 1952, treffen sich „Hrabec“ und „Korsičan“ mehrmals in Bozen und Innsbruck. Uffreduzzi händigt Morandell dabei Material aus, das dieser in Wien und in Brünn dem StB übergibt. Im Jänner 1953 steht eigentlich der nächste große Coup an. Agent „Hrabec“ will einen „geheimen Kodex der NATO“ beschaffen, nach Wien und von dort in die ČSR bringen.
Doch dazu kommt es nicht mehr. Denn die ganze Geschichte nimmt eine völlig unerwartete Wendung.
Aktion „Stelio“
Es gibt ein Bild, das die Arbeit der Nachrichtendienste treffend beschreibt. „Meistens nagen mehrere Hunde am selben Knochen“, sagt Silvano Russomanno76, ehemaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes und Südtirol-Fachmann des italienischen Innenministeriums, der in diesem Buch noch eine tragende Rolle haben wird.77 Es ist ein Satz, der auch in diesem Fall zutrifft, denn am Südtiroler Agentennetzwerk nagen von Beginn an gleich mehrere Hunde. Oder besser gesagt: Nicht nur der tschechoslowakische Nachrichtendienst hat seine Hände im Spiel. Am 30. März 1949 nimmt in Italien offiziell der „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) seine Arbeit auf. Der neue Nachrichtendienst löst den unter den Faschisten 1927 gegründeten „Servizio Informazioni Militare“ (SIM) ab. Der SIFAR hat sowohl im Inland als auch im Ausland nachrichtendienstliche Zuständigkeiten.
Die Zentrale des SIFAR befindet sich in einer alten Festungsanlage im Forte Braschi in Rom. Die zwei wichtigsten Abteilungen des SIFAR sind das „Ufficio R“ (R steht für „Ricerche“, also Recherche) für die Spionage und Nachrichtenbeschaffung im klassischen Sinn und das „Ufficio D“ (D steht für „Difesa“, also Verteidigung) für die sogenannte Spionageabwehr. Dazu gibt es rund ein Dutzend Büros in ganz Italien auf regionaler Ebene, „Centri C. S.“ genannt, was für „Controspionaggio“, also Spionageabwehr steht. Von diesen hängen wiederum kleinere periphere Außenstellen („Sottocentri“) ab. Für Südtirol ist das SIFAR-Büro Verona mit einer Außenstelle in Bozen zuständig.78
Eine zentrale Aufgabe des neuen