Der unfolgsame Maler
Auch der bekannte Künstler Vladislav Kavan, der 1968 aus der Tschechoslowakei nach Bozen auswanderte, hat eine Vergangenheit als StB-Spitzel. Die Geschichte des Agenten „Malíř“.
In den 1970er-Jahren ist er eine der Größen in der Südtiroler Kunstszene und auch weit über Südtirol hinaus als Künstler und Grafiker bekannt: Vladislav Kavan (1924–2003). Zusammen mit seiner Frau Marcela Schützova (1927–2011) und ihrem dreijährigen Sohn flieht er im August 1968, eine Woche nach dem Einmarsch der Sowjettruppen und der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings, aus der ČSSR nach Italien. Nach einer kurzen Zwischenstation in Trient und Neumarkt lässt sich die Familie Kavan in Bozen und am Ritten nieder. Kavan wird in Südtirol vor allem durch seine „Löwenbilder“ bekannt. Weitgehend unbekannt dürfte sein, dass Vladislav Kavan kurzzeitig als Informant und Zuträger für die tschechoslowakische Staatssicherheit StB arbeitet und dabei auch in eine Geheimdienstoperation gegen einen bekannten Prager Literaten und Regimekritiker eingebunden ist.
Vladislav Kavan wird am 30. Juni 1924 in Baška, einem Dorf im Nordosten der Tschechoslowakei geboren. Kavans Vater ist Gendarmerie-Wachtmeister. Nach Abschluss der Grundschule tritt Kavan eine Stelle als Lehrling beim Eisenhüttenwerk Witkowitz in Mährisch-Ostrau an. Hier absolviert er bis 1943 eine Ausbildung zum Metalldreher. Im Herbst 1945 geht er nach Prag, wo er zuerst eine Grafikschule besucht und dann von 1946 bis 1951 an der Hochschule für Kunstgewerbe studiert. Kavan ist Mitglied des Verbands tschechoslowakischer bildender Künstler. Er zeigt seine Arbeiten in einer Reihe von Ausstellungen. Im März und April 1958 arbeitet er an der bildnerischen Ausgestaltung einiger Teile des tschechoslowakischen Pavillons auf der Weltausstellung in Brüssel. Außerdem unternimmt er im Jahr 1956 Studienreisen nach Polen und in die UdSSR.50 Am 19. Jänner 1959 wird Vlasislav Kavan von der „IV Verwaltung des Innenministeriums“ vorgeladen. Zwei StB-Offiziere kommen dabei schnell zu Sache. Sie werben den Künstler für den StB an. Kavan unterzeichnet eine handschriftliche Verpflichtungserklärung und erhält den Decknamen „Malíř“, was auf Tschechisch nichts anderes als „Maler“ bedeutet. In seinem Personalakt heißt es:
Kavan ist seit dem Jahr 1945 Mitglied der KPČ. In den zur Verfügung stehenden Beurteilungen wird angeführt, dass er eine Reihe verschiedener Parteifunktionen durchlaufen hat. In diesen Funktionen hat er sich als gewissenhafter Parteiarbeiter bewährt. Er wird als bewusstes Parteimitglied bewertet. […] Von seiner Persönlichkeit her ist Kavan als anständiger und intelligenter Mensch bekannt. Er hat ein gesellschaftliches Auftreten mit unerlässlichem gesellschaftlichem Takt, er kann sich Leuten in passender Art und Weise nähern und sie für sich gewinnen. Er hat ein kameradschaftliches und uneigennütziges Wesen. Zu Leuten hat er ein sehr gutes Verhältnis.51
Agent „Malíř“ wird direkt auf zwei Personen angesetzt. Eine davon ist František Šigut (1910–1970). Der in Stará Ves bei Přerov geborene Priester, Hochschulprofessor für Religion und Autor hat die österreichische Staatsbürgerschaft und wird vom StB der Spionage gegen die ČSSR verdächtigt. Das große Interesse der tschechoslowakischen Staatssicherheit gilt aber Ivan Diviš (1924–1999). Der bekannte Dichter und Literat wird 1941 noch als Gymnasiast in Prag von der Gestapo inhaftiert. Von 1942 bis 1949 arbeitet er als Lehrling in einer Buchhandlung sowie als Angestellter und Redakteur eines Verlages. Nach dem Abitur studierte er von 1945 bis 1949 Philosophie und Ästhetik an der Karls-Universität. Von 1960 bis 1968 ist er als Redakteur bei der Zeitung „Mlad fronta“ (Die junge Front) und kurz bei der Zeitschrift „Seity“ (Hefte) tätig. Auch Diviš geht im August 1969 ins Exil, und zwar nach München, wo er als Redakteur beim Rundfunksender Freies Europa tätig ist. Er wird erst 1997 nach Tschechien wieder zurückkehren.
Der StB verdächtigt Ivan Diviš Ende der 1950er-Jahre der Spionage und der Vorbereitung der Flucht ins Ausland. Vladislav Kavan lernt Diviš Ende 1958 zufällig in einem Prager Lokal kennen, schnell entwickelt sich eine enge Freundschaft zwischen den beiden. Weil ein anderer StB-Agent die beiden beobachtet, wirbt die tschechoslowakische Staatssicherheit Kavan als Informanten gegen den regimekritischen Literaten an. Im StB-Akt des Agenten „Malíř“ heißt es über das Anwerbungsgespräch:
Im Anbetracht dessen, dass sich Kavan bei der Unterredung als überzeugter, aufgeweckter und parteiisch ergebener Kommunist mit Verständnis für die Arbeit des Ministeriums des Innern zeigte und seine Bereitwilligkeit äußerte, bei dieser Arbeit behilflich zu sein, wurde er ersucht, mit Diviš engere Kontakte zu knüpfen. Dieses Ersuchen wurde Kavan gegenüber damit begründet, dass uns Diviš als Feind der volksdemokratischen Ordnung bekannt ist und wir daher mit dem Bemühen um engere Kontakte mit Kavan Interesse haben festzustellen, welche Ziele Diviš verfolgt. Kavan erklärte sich mit der Ausführung dieser Aufträge einverstanden. Innerhalb kurzer Zeit knüpfte er Kontakte zu Diviš, die sich rasch zu engeren freundschaftlichen Beziehungen entwickelten. Daraus ergab sich die Möglichkeit, Kavan zur weiteren „Erarbeitung“ von Divis einzusetzen.52
Maler Vladislav Kavan: Agent Malíř auf einen bekannten Schriftseller angesetzt.
„Malíř“ liefert 1959 dem StB mehrere Berichte über František Šigut und über Ivan Diviš ab. Der Agent arbeitet dabei durchaus zur Zufriedenheit seiner geheimen Auftraggeber. „Die übertragenen Aufgaben erledigte er überwiegend gut. Die Informationen, die er lieferte, waren wahrheitsgemäß“, schreibt einer seiner Führungsoffiziere später in einem Dienstbericht.53 Die Geheimdienstoperation hat dabei von Beginn an einen durchaus beunruhigenden Codenamen. Sie heißt Aktion „Unos“, was auf Tschechisch „Entführung“ heißt. Schon bald gerät Vlasta Slager (*1937), eine amerikanische Freundin des Prager Dichters, in den Fokus der kommunistischen Staatssicherheit. Doch zu diesem Zeitpunkt hat sich das Verhältnis zwischen dem Künstler und der Staatssicherheit deutlich verändert. Im StB-Akt werden „beträchtliche Launenhaftigkeit und zeitweise auch Undiszipliniertheit“, „Nichteinhaltung einiger Instruktionen“ und „eigenes unüberlegtes Vorgehen beim Erfüllen der Aufträge“ erwähnt. Anfang 1961 will die Staatssicherheit unbedingt, dass „Malíř“ einen Briefkontakt mit der US-Amerikanerin Vlasta Slager aufnimmt. Im StB-Akt heißt es dazu:
Malíř widersetzte sich diesem Ansinnen […] mit der Begründung, dass die Erfüllung weiterer Aufträge eine „Bremse“ für seine künstlerische Tätigkeit darstelle, und er drängt auf Erfüllung der Zusage, die ihm bei der Anwerbung gegeben wurde.54
Denn Vladislav Kavan stellt bereits bei seiner Anwerbung durch den StB eine klare Bedingung: Er arbeite nur bei der Operation „Unos“ gegen Ivan Diviš mit, danach wolle er nichts mehr mit den StB zu tun haben. Ende 1960 ist die Abklärung und Ausforschung von Diviš abgeschlossen und Kavan pocht nun auf die Einhaltung des Versprechens. Am 18. Jänner 1961 stellt der StB-Führungsoffizier deshalb offiziell den „Antrag zur Beendigung der Zusammenarbeit mit Agent Malíř“. Der Antrag wird wenig später genehmigt. Erst 14 Jahre später beschäftigen sich die tschechoslowakischen Behörden wieder mit Vladislav Kavan. Der inzwischen in Bozen lebende Künstler und seine Frau Marcela Schützova werden am 21. Dezember 1974 vom Bezirksgericht Prag 1 wegen Republikflucht (Strafgesetzbuch § 106) zu einer Freiheitsstrafe von jeweils 15 Monaten verurteilt.
Der Kurier
„Meine Jugend ist sehr traurig gewesen und meine schönen Zeiten haben erst nach dem Militär angefangen“, heißt es fast am Ende der vier handschriftlich eng beschriebenen Seiten. Dieser Satz steht im selbstverfassten Lebenslauf, den Heinrich (Heinz) Berger am 12. Dezember 1950 in Brünn an den StB übergibt.55 Fritz Stefaner