gelingt es auch, einen namentlich genannten Mechaniker, der während des Kriegs in Wien war und deshalb Deutsch spricht, als Informanten anzuwerben. Vor dieser Reise war Agent „Puzzi“ von seinem Führungsoffizier in die Arbeit des Geheimdienstes eingewiesen worden. Im Akt finden sich ein „Besprechungsplan mit Flies“, mit dem die Griechenlandreise genau vorbereitet wird, und auch klare Anweisungen und Sicherheitsmaßnahmen, an die sich der „Puzzi“ halten soll. So muss er sich die Deckung für seine Reise und auch Erklärungen für seine finanziellen Mittel zurechtlegen:
Er muss sein Arbeitsverhältnis beenden und braucht eine Begründung für die Verwandten. Zudem braucht er auch ein Cover für den Kontakt mit den Personen, an denen er ein Nachrichteninteresse hat.35
Dazu kommen die Standard-Anweisungen, die jeder neue Agent erhält: sich unauffällig zu benehmen, Zuträger erst nach einer gründlichen Prüfung anzuwerben und keine kompromittierenden Materialien oder Notizen bei sich zu haben, vor allem aber auf keinen Fall preiszugeben, für wen man arbeitet. Diese Anleitungen erhält Franz Flies persönlich in der Tschechoslowakei, als Hans Morandell nach monatelangem Drängen vonseiten des StB den jungen Flies am 13. November 1952 nach Brünn bringt. Auf der Rückreise passiert aber etwas, was die gesamte StB-Aktion ernsthaft in Gefahr bringt. Morandell und Flies treffen sich in einer StB-Wohnung mit ihren Führungsoffizieren. Die beiden Südtiroler StB-Agenten übergeben dabei Dokumente und Berichte, gleichzeitig erhalten sie neue Aufträge. In der Nacht des 14. November 1952 überqueren Hans Morandell und Franz Flies in der Gegend von Šatov über einen Schmugglerpfad die grüne Grenze zurück nach Österreich. Im oberösterreichischen Retz nehmen sie den ersten Zug in Richtung Wien. Doch als der Zug gegen 6.23 Uhr in Hollabrunn einfährt, werden sie von der österreichischen Polizei kontrolliert. Weil das Duo sich schlafend stellt und auch vom Aussehen her verdächtig scheint, werden die beiden von den Gendarmen festgesetzt. In einem vertraulichen Bericht der österreichischen Staatspolizei, der Ende 1952 an das römische Innenministerium und an die Quästur Bozen geht, wird die Verhaftung der beiden Bozner detailliert beschrieben. Dort heißt es:
Als man die beiden einer Kontrollvisite unterzog, stellte sich heraus, dass der eine mit einem österreichischen Personalausweis Nr. 441/49, ausgestellt am 28.4.1949 auf den Namen Hans Waldner, Handelsangestellter, geboren in Linz am 25.2.1925, ledig, wohnhaft in Wien 7, Neubaugasse Nr. 72, und der andere mit einem italienischen Reisepass, ausgestellt auf Francesco Flies, geboren in Bozen am 19.6.1928, Nr. 4107299 P., Registernummer 6878, ausgestattet war. […] Bei einer Leibesvisitation und der Durchsuchung des Gepäcks wurden 662.105 italienische Lire, 500 amerikanische Dollar, 1.000 tschechische Kronen, 2.145 österreichische Schilling sowie ein Aktenbündel gefunden, geschrieben mit einer Schreibmaschine und in italienischer Sprache, das ausschließlich militärische Nachrichten zum Inhalt hatte.36
Als die Grenzpolizei die beiden in ihr Büro begleitet, versucht Hans Morandell zu flüchten und in das Gebäude der dortigen sowjetischen Grenztruppen zu gelangen. Der österreichischen Polizei gelingt es aber, diesen Versuch zu vereiteln. Daraufhin legt man Morandell und Flies Handschellen an. Die Haft des Duos dauert aber nur knapp eine Stunde, denn bereits um 8 Uhr desselben Tages muss die österreichische Polizei die beiden Inhaftierten auf Anforderung dem sowjetischen Kommando in Hollabrunn übergeben. Es dürfte sich um einen sogenannten „Bruderdienst“ gehandelt haben, den der sowjetische KGB (Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR) für den StB hier leistet. Unmittelbar danach werden Hans Morandell und Franz Flies freigelassen und kehren nach Wien zurück.
Der Vorfall macht deutlich, wie sehr Hans Morandell längst in der Geheimdienstwelt angekommen ist, denn der damals noch italienische Staatsbürger Giovanni Sostero ist laut Polizeibericht im Besitz einer für die Behörden nicht erkennbaren österreichischen Deckidentität und eines gefälschten österreichischen Personalausweises, der auf jenen Namen lautet, den er für seine StB-Arbeit als Alias benutzt: Hans Waldner. Noch bemerkenswerter ist aber etwas anderes: Sowohl das italienische Innenministerium als auch die Bozner Quästur und der SIFAR sind spätestens Ende 1952 nicht nur über die kurzzeitige Verhaftung des Bozner Duos in Hollabrunn informiert, sondern auch über die Tatsache, dass Morandell und Flies für den StB arbeiten. So heißt es über Hans Morandell in einem der vertraulichen Spitzelberichte, die an das „Ufficio Affari Riservati“ (UAR) im römischen Innenministerium gehen: „Aus einem Hinweis geht hervor, dass der Genannte ein tschechoslowakischer Agent ist.“37
Dass die italienischen Behörden dieser wichtigen Information keinerlei Aufmerksamkeit schenken und Morandell & Co unbekümmert weiterarbeiten lassen, hat einen konkreten Grund, der in diesem Kapitel noch beleuchtet wird. Tatsache ist, dass die Verhaftung in Hollabrunn vor allem für Franz Flies eine klare Mahnung ist. Der Elan des jungen Bozners, für den StB zu arbeiten, nimmt deutlich ab. Flies unternimmt wenig später zwar seine Reise nach Griechenland, auf der er detaillierte Berichte für den StB verfasst, aus seinem Personalakt geht aber hervor, dass das Verhältnis nachhaltig getrübt ist. So sollte Agent „Puzzi“ am 19. Februar 1953 zu einem weiteren Treffen nach Brünn kommen, doch das Pflaster dürfte Franz Flies zu heiß geworden sein. Er erscheint zum Treffen nicht und schickt auch keine Absage. Am 26. Februar 1953 schreibt sein Führungsoffiziers mit dem Decknamen „Venceslao“:
Lieber Freund,
ich habe auf eine Nachricht von dir gewartet, habe aber nichts erhalten. Ich weiß nicht, ob du gesund bist. Du hast mir versprochen, dass du mich am 19. Februar besuchst, bist dann aber nicht gekommen. Sei so freundlich und schreibe mir ein paar Zeilen. […] Meine Eltern laden dich höflich ein und ich erwarte dich voller Ungeduld.38
Der StB-Mann schlägt im Schreiben auch einen neuen Termin für ein Treffen in der Tschechoslowakei vor: den 24. April 1953. Franz Flies meldet sich aber weder brieflich noch erscheint er zum Treffen. Deshalb wird der Agent „Puzzi“ wenig später vom StB formal „abgeschaltet“. Das heißt: Die Zusammenarbeit wird beendet.
Der Informant hat seine Arbeit nicht mit der entsprechenden Verantwortung getragen, seine Berichte haben kaum wirklich interessante Nachrichten enthalten. Die Zusammenarbeit ist für diesen Dienst kaum rentabel. Deshalb ist es besser, wenn die Zusammenarbeit unterbrochen wird.39
Damit endet die Karriere von Franz Flies als StB-Agent Ende Mai 1953.
Bozner SS-Seilschaft
Am 27. Februar 2004 stirbt im Wipptal ein unscheinbarer 77-jähriger Rentner: Erich Bertol. Dabei verlief sein Leben alles anderes als unscheinbar, doch dürften nur die Wenigsten die Geschichte und die Vergangenheit dieses Mannes gekannt haben: Erich Bertol hat seit seiner Jugend als Agent und Zuträger gleich für mehrere Nachrichtendienste gearbeitet. Und er zahlt dafür einen hohen Preis: Er sitzt wegen Spionage acht Jahre lang in einem Gefängnis in Prag. Erich Bertol wird am 22. August 1927 in Bozen geboren. Er besucht in Bozen die Grund- und Mittelschule und dann eine Berufsschule, in der er zum Radiotechniker ausgebildet wird. 1944 arbeitet er kurzeitig bei der Firma Telefunken in Bozen, bevor er im Februar 1945 zur SS eingezogen und in Nienburg an der Weser stationiert wird.40 Nach dem Krieg kehrt er nach Südtirol zurück, wo er sich anfänglich mit verschiedensten Gelegenheitsarbeiten z. B. als Elektriker oder Kinovorführer durchschlägt. Im Februar 1948 erlangt er mit der sogenannten Rückoption wieder die italienische Staatsbürgerschaft. Noch im selben Jahr wird er zum italienischen Militärdienst einberufen. 1949 stirbt Bertols Mutter Maria Maier.41
Doch wie kommt es zur Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst? Es ist eine der Hauptaufgaben von Hans Morandell alias „Korsičan“, für den StB Informanten anzuwerben, und er scheint dafür keine Gelegenheit auszulassen. Auf einer Zugfahrt im Spätsommer 1949 trifft „Korsičan“ Erich Bertol, der in Rom gerade seinen Militärdienst ableistet, und die beiden kommen sich schnell näher. Als Bertol wenig später in Bozen auf Heimaturlaub weilt, wirbt Morandell ihn an. Er soll militärische Nachrichten und Dokumente sammeln und diese „Korsičan“ gegen Bezahlung übergeben. Bertol, der immer wieder in Geldnöten steckt, sagt umgehend zu. Jahre später wird Erich Bertol aussagen, dass ihm