die damalige Denkungsart und das konspirative Verklauseln in geheimdienstlichen Briefschaften nachempfinden.
In diesem ersten Band dominieren die nachrichtendienstlichen Hintergründe, Personen und Aktionen, die im Zusammenhang mit dem teils brutal ausgetragenen Nationalitätenkonflikt stehen. Der zweite Band legt seinen Fokus auf die Aktionen des bundesdeutschen Nachrichtendienstes (BND), die Ausspähung der Südtiroler Patriotenszene durch die ostdeutsche Staatssicherheit (STASI) und die Bespitzelung der Südtiroler Linken.
Den beiden Bänden ist über eine Heimatgeschichte des Klandestinen für die Südtiroler Landsleute hinaus eine breite Leserschaft zu wünschen.
Weilheim, im November 2020
Erich Schmidt-Eenboom
Hochzeit in Böhmen
Tschechoslowakischer Ausweis für Hans Morandell: Ausgestellt auf den Namen Jan Moravec.
Die tschechoslowakische Staatssicherheit StB wirbt Anfang der 1950er-Jahre insgesamt elf namentlich bekannte junge Südtiroler an, darunter in einer Schlüsselposition einen SVP-Mitarbeiter sowie einen Neffen von Kanonikus Michael Gamper. Zwischen Bozen, Rom, Innsbruck und Wien entsteht ein Informantennetz, das jahrelang Militärspionage für den Ostblock betreibt. Gleichzeitig geraten die Beteiligten aber auch ins Visier des italienischen Geheimdienstes. Ein junger Bozner landet am Ende gar für acht Jahre in einem Prager Gefängnis.
Der Brief aus Brno, der in der ehemaligen Tschechoslowakei (ČSR) liegenden Stadt Brünn mit hauptsächlich deutschsprachiger Bevölkerung, trägt das Datum 4. Dezember 1948. Kurz gefasst auf einer Schreibmaschinenseite wird mit diesem Schreiben ein Informant für den tschechoslowakischen Geheimdienst „Státní bezpečnost“ (StB) angeworben. Der Briefschreiber kommt in einem etwas ungelenken Deutsch direkt zur Sache:
Ich erfuhr von einem Freund, mit dem ich in Verbindung stehe, über Ihren Aufenthalt in der ČSR u. über Ihren jetzigen Aufenthalt in Linz.
Falls Sie nicht voll beschäftig sind, erlaube ich Ihnen eine erträgliche Beschäftigung anzubieten. Es sind mir über Ihre Person gewisse Einzelheiten bekannt, sind jedoch nicht ausreichend, damit ich über unsere Geschäftsverbindung unmittelbar handeln könne.
Ich bitte mir mitzuteilen, ob Sie Ihre jetzige Beschäftigung voll ausnützt u. ob Sie die Möglichkeit haben, von Zeit zu Zeit eine Reise zu uns zu unternehmen. Legal oder illegal.
Falls Sie beabsichtigen mein Angebot anzunehmen, ist unseres persönliches Zusammentreffen unbedingt erforderlich.
Junger Hans Morandell oder Giovanni Sostero: Sekretär der SVP Bozen.
Eltern Hedwig Morandell und Licurgo Sostero: Vater verschwindet aus Südtirol.
Es ist selbstverständlich, daß ich alle mit Ihrer Reise nach ČSR zusammenstehenden Auslagen u. Reisekosten ersetzen werde. Wenn Sie sich um mein Angebot ernst interessieren, bitte ich Sie um eine postwendende Antwort, in der Sie mir auch Ihren, kurzen Lebenslauf mitteilen wollen.
Ich erwarte, daß Sie diese außerordentliche Gelegenheit, die Ihnen angeboten wird, ausnützen. Ich ersuche Sie jedoch um eine rechtzeitige Antwort die ich bis zum 12.12.1948 erwarte.
Ich bitte Sie dieses geschäftliche Schreiben als vertraulich zu halten.1
Für die Rückantwort gibt der Briefschreiber eine Deckidentität in Brünn an: „Karel Vlasaty, Zábrdovice 21, Brno, Arbeiterjournalist“. Noch vor Weihnachten 1948 trudelt dort ein Brief auf Tschechisch aus Innsbruck und am 6. Jänner 1949 dann ein weiteres Schreiben aus Bozen ein. Der Absender der beiden Briefe: Hans Morandell, Venedigerstraße 37, Bozen.
Hans Morandell, der zu diesem Zeitpunkt in Innsbruck studiert und dort unter der Woche bei einem Onkel wohnt, erklärt in dem handschriftlichen Brief, dass er bewusst aus Italien schreibe. Der Grund: In Südtirol gibt es im Gegensatz zum damals noch französisch besetzten Nordtirol keine Briefzensur. Denn der Inhalt des Briefes, den der damals 24-jährige Südtiroler schreibt, ist durchaus brisant. Hans Morandell zeigt sich am Angebot aus Brünn nämlich sehr interessiert.
Ich schreibe Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, dass ich bereit bin zur persönlichen Verhandlung unseres Geschäftes zu Ihnen zu kommen. Ich muss Ihnen aber auch mitteilen, dass ich ohne Ihre Hilfe eine Reise in die ČSR nicht durchführen kann, weil die Beschaffung eines Visums Ihres Landes mit beträchtlichen finanziellen Auslagen verbunden ist, für welche ich im Augenblick leider nicht aufkommen kann. […] Es wäre natürlich angenehm zu erfahren, was für eine Art erträglicher Beschäftigung Sie mir anbieten möchten. Auf jeden Fall interessiert mich ihr Angebot außerordentlich, weil mir die von ihnen vorgeschlagenen Geschäftsreisen Gelegenheit geben würden meine Freunde und Freundinnen in der ČSR aufzusuchen.2
Rund vier Wochen später ist es dann soweit. Hans Morandell kommt am Abend des 3. Februar mit dem Zug nach Unterretzbach in Niederösterreich und überschreitet dort illegal die grüne Grenze in die Tschechoslowakei. Am Bahnhof von Šatov wird er abgeholt und in das Hotel Drei Kronen (U tri Korun) in Znojmo gebracht. Dort in Zimmer Nr. 17 wird der junge Bozner als Agent der wenige Monate zuvor aus der Taufe gehobenen neuen tschechoslowakischen Staatssicherheit StB angeworben. Drei Tage lange wird Hans Morandell von Männern des tschechoslowakischen Geheimdienstes im Hotel verhört und in seine neuen Aufgaben eingewiesen. Als er in den frühen Morgenstunden des 6. Februar 1949 auf demselben Weg über die grüne Grenze nach Österreich zurückkehrt, hat Morandell nicht nur 1.400 Kronen und 700 Schilling in der Tasche, sondern er hat auch eine handschriftliche Verpflichtungserklärung unterzeichnet.3 Hans Morandell erhält in der StB-Registratur den Decknamen „Korsičan“, was soviel wie „der Korse“ heißt. Geführt wird der junge Bozner Agent von Anfang als „duverník resident“, als ein Informant oder Agent, der ein ausländisches Netzwerk leitet. Genau das sollte auch die Aufgabe von Morandell sein. Er beginnt mit dem Aufbau eines Agentennetzes für den StB, an dem in Italien und in Österreich weit über ein Dutzend Agenten, Informanten und Zuträger hängen. Der Großteil von ihnen sind Südtiroler und Südtirolerinnen.
StB-Agent Hans Morandell alias „Korsičan“ (im Uhrzeigersinn): Als Balilla (faschistische Jugendorganisation) mit Mutter; in der Hitlerjugend; in der Uniform der deutschen Reichsbahn (Bologna 1944) und mit seinem ersten Auto.
Gut sieben Jahre lang arbeitet das Netzwerk für den ČSR-Geheimdienst und liefert vor allem militärische Informationen aus Österreich, Italien, Holland, Skandinavien, Spanien, Griechenland, der Türkei und sogar aus Chile. Schon bald wird das Südtiroler Netz jedoch vom italienischen Militärgeheimdienst „Servizio Informazioni Forze Armate“ (SIFAR) unterwandert und einige der StB-Zuträger beginnen für die Nachrichtendienste gleich mehrerer Länder zu arbeiten. Für einen von ihnen endet dieses Doppelspiel in einem Prager Gefängnis, wo er acht Jahre lang einsitzen wird.
Die Arbeit der StB-Agenten in und um Südtirol ist bisher ein völlig unbekanntes Kapitel der Südtiroler Zeitgeschichte. Es ist eine Geschichte, in der sich auch einige bekannte Namen finden und einige Gestalten, die uns an unterschiedlichen Schauplätzen noch durch dieses Buch begleiten werden.
Der Sekretär von Friedl Volgger
Hans Morandell ist eine Figur, die für die Welt der Geheimdienste wie geschaffen scheint. Das beginnt