Monique R. Siegel

Espresso mit Zitrone - Mein wechselvoller Weg als Unternehmerin


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vor. Ob sie beabsichtigten, ihre Tochter auf die Höhere Schule (Gymnasium), wie es damals hieß, zu senden. Selbstverständlich, meinte mein Vater, der eine doofe Tochter als Schicksalsschlag empfunden hätte. Gut. Dann würde sie folgendes vorschlagen: Da sie mir in der zweiten Klasse offenbar nichts mehr beibringen konnten – bis auf die Rechenaufgaben natürlich –, schlug sie vor, mich in die dritte Klasse zu nehmen, wo ich gefordert wäre und die anderen mit meiner Frustration nicht mehr verunsichern würde. Und was die Rechenaufgaben anging: Sie würde mir kostenlos Nachhilfestunden geben, um mich auf den nötigen Stand zu bringen. Toll. Wir hatten gleich zwei Probleme aus der Welt geschafft: meine Langeweile in der Schule und die Demonstrationen des pädagogischen Talentes meines Vaters. Jetzt liebte ich die Lehrerin, die sich so liebevoll um mich kümmerte und mir den Einstieg in den Stoff der dritten Klasse so leicht wie möglich machte, geradezu. Ich war also sieben Jahre alt und in der dritten Klasse.

      Das wäre vielleicht auch sonst nicht leicht; unter den gegebenen Umständen war es unmöglich. Die älteste Schülerin war eine vollentwickelte Dreizehnjährige, die einfach aufgrund des Krieges einige Schuljahre ausgesetzt hatte. Na ja, vielleicht nicht nur aufgrund des Krieges, den viele andere ja mit ganz normalen Versetzungen überstanden hatten; vielleicht hatte eher ihr IQ etwas damit zu tun. Die anderen Kinder waren zwischen neun und zwölf, was nicht nur über das Altersgefälle, sondern auch über die gesammelte Intelligenz in dieser Klasse etwas aussagt. Die meisten wären vielleicht gar nicht mal so bildungsunfähig gewesen, wenn sie nicht unter der Knute der dreizehnjährigen Waltraud gestanden hätten, die ein Terror-Regime ausübte. Sie war die Tochter einer Prostituierten, die sich wohl nie richtig um sie gekümmert hat. Dafür müssen Sie wissen: Duisburg war (oder ist immer noch?) der zweitgrößte Binnenhafen der Welt; dementsprechend ausgedehnt war das Rotlichtviertel, das ich später noch gut kennenlernen sollte. Ein Riesenbrocken, dieses Kind, das mitten in der Pubertät stand und die Dehnbarkeit eines jeden Pullovers auf gefährliche Weise testete. Spätestens wenn sie zuschlug, hatte man begriffen, wer in dieser Klasse das Kommando hatte.

      Und ich bot mich in geradezu idealer Weise als Objekt fürs Zuschlagen an. »Die Neue« war nicht aus Duisburg, viel zu intelligent und offensichtlich feige. Letzteres hieß: Ich ließ mich verprügeln, ohne zurückzuschlagen. Und das fand an fast jedem Tag statt. Meistens wartete zu Hause niemand auf Waltraud, und sie hatte daher keine Eile, ihr trautes Heim aufzusuchen. Als Zeitvertreib bot ich mich an, und die Horde anderer Kinder, die sich um ihre Gunst bemühten, johlte und zollte ihr nach der Schule den Beifall, den sie während des Unterrichts nie bekommen würde.

      Als ich eines Tages mit sehr sichtbaren Spuren der Attacke nach Hause kam – Waltraud besaß als einzige in der Klasse Stiefel und hatte damit meine Kniekehlen traktiert, die mehrere Blutergüsse aufwiesen –, verlangte meine Mutter von meinem Vater, daß er dieser Sache ein Ende mache. Er sollte zur Schule gehen, diese Behandlung seiner Tochter öffentlich anprangern und dafür sorgen, daß dieser Waltraud das Handwerk gelegt würde. Ach, meine naive Mutter, die immer noch nicht begriffen hatte, wie wenig mein Vater sich für solche Dinge eignete ...

      Er kam also zur Schule, gleich zum Rektor natürlich. Der mimte Betroffenheit – als ob er nicht schon längst gewußt hätte, was sich da abspielte – und schlug eine öffentliche Konfrontation vor der versammelten Schule am Ende der großen Pause vor. Die Kinder aller Klassen standen also, zu zweit aufgereiht, vor den Stufen, die zum Schulhaus führten. Oben standen der Rektor, meine Lehrerin, mein Vater und ich. Szenen, die sich unauslöschlich einprägen – ich habe dieses Bild fest in meinem Kopf! Wer denn das sei, die mich so traktierte, wurde ich vom Rektor gefragt. Ich zeigte auf die liebe Waltraud, die nach oben befohlen wurde. Der Koloß schlenderte provozierend langsam nach vorne. Irgendwie hatte ich da schon das Gefühl, daß sich diese Geschichte in die falsche Richtung entwickelte, und eine Minute später sollte ich hören, daß ich recht hatte. In einer Mischung aus gespielter Empörung und Aggressivität gelang es ihr, den Rektor davon zu überzeugen, daß ich sie dauernd provozierte – und die Prügeleien jeweils selbst anzettelte!!! Ich traute meinen Ohren nicht, dafür aber meinem Vater, was wieder mal ein Fehler war. Der Rektor wandte sich an ihn und sagte gedehnt: »Ja, wenn das so ist...«, und was tat der liebe Papi? Er sah mich wütend an und zischte zwischen den Zähen so etwas hervor wie: »Also, wenn du damit anfängst, bist du ja mitschuldig. Warum hast du mir das nicht gesagt?!« Ich machte den Mund auf, um zu protestieren, aber da hörte ich schon, wie sich mein Vater bei dem Rektor entschuldigte für die Umtriebe, die er verursacht hatte, worauf er sich verabschiedete und mich da oben stehen ließ! Es ist wirklich kaum zu glauben, daß ich nicht eine einzige Chance hatte, irgend etwas in diese Gerichtsverhandlung einbringen zu können, aber so war es. Die Kinder fingen an zu kichern und zu flüstern, und ich hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, wie mein Heimweg aussehen würde ...

      Eine meiner ausgeprägtesten Eigenschaften ist mein Harmoniebedürfnis. Ich litt unter den Krächen meiner Eltern, unter der Kälte und Verlogenheit der Verwandten und natürlich unter der Gewalt dieser Mitschülerin bzw. der Tatsache, daß sie die Klasse so im Griff hatte, daß kein anderes Kind wagte, sich auf meine Seite zu schlagen. Aber ich hasse Ungerechtigkeit. Und diese Regung ist immer stärker gewesen als die Sucht nach Harmonie. Ich bin heute überzeugt, daß ich dafür an diesem denkwürdigen Tag das erste Beispiel geliefert habe.

      Ich verstand die Welt nicht mehr. Mein Vater hatte mich vor der ganzen Schule gedemütigt, und nicht einmal meine geliebte Lehrerin war mir verbal zu Hilfe gekommen. Im Laufe der zweiten Morgenhälfte verwandelte sich die Erinnerung an die Demütigung in helle Wut; ich würde meinen Vater zur Rede stellen, wenn ich nach Hause kam. Allerdings freute ich mich nicht auf diese Auseinandersetzung und trödelte mit dem Zusammenpacken meiner Schulsachen herum, als ein Kind atemlos in das leere Klassenzimmer kam und mir zurief: »Sie wartet draußen auf dich.« Das hatte ich ja schon selbst vermutet, aber ich war nicht darauf gefaßt, daß die anderen Kinder Spalier standen und auf das Spektakel warteten, das sich auf dem jetzt leeren Schulhof abspielen würde.

      Erinnern Sie sich an die Szene in From Here to Eternity, wenn Frank Sinatra zum zweitenmal ins Militärgefängnis eingeliefert wird und am Ende des langen Ganges Ernest Borgnine, der sadistische Wärter, auf ihn wartet? So ungefähr müssen Sie sich das vorstellen: Nicht alle, aber die meisten Kinder der Klasse standen rechts und links und bildeten die Gasse, durch die ich mußte und an dessen Ende der wütende Koloß stand, mit einem hämischen Grinsen auf dem Gesicht, die Hände in Vorfreude zu Fäusten geballt.

      Ich hatte eigentlich keine Chance, aber ich hatte meine Wut. Und was dann passierte, ist ebenso unwahrscheinlich wie das, was ein paar Stunden zuvor geschehen war. Ich rannte durch das Spalier, und ohne richtig nachzudenken – wofür mir ja auch keine Zeit blieb –, schmiß ich meine Schulmappe in die rechte Kinderreihe. Dann stürzte ich mich mit einem Urschrei auf den Koloß, warf ihn zu Boden, schüttelte den massigen Körper wie eine Besessene und schrie – ja was habe ich gesagt? Keine Ahnung mehr, aber es müssen die gesammelten Emotionen des Morgens gewesen sein. Alle waren verblüfft, am meisten die Attackierte, die plötzlich anfing zu heulen und zu jammern. Sie trug einen Flauschmantel, und ich hatte mich in einem der Knopflöcher verfangen, das sich zu einem beträchtlichen Riß erweitert hatte. Vielleicht ahnte sie, daß sie mit diesem erklärungsbedürftigen Kleidungsstück zu Hause Ärger bekommen würde – die Zeiten waren nicht so, daß man einfach hinging und einen neuen Mantel kaufte. Sie hat mich nicht angerührt, sondern stand einfach heulend da mit dem herausgerissenen Knopf in der Hand. Die anderen Mädchen trauten ihren Augen nicht; keine wußte, was jetzt angesagt war. Ich hob meine Mappe auf und war sicher, daß ich diesmal einen sicheren Heimweg haben würde.

      Damit war das Drama jedoch noch nicht ausgespielt. Im Zustand höchster Aufregung kam ich nach Hause, wo ich zuerst einmal meine Mutter aufklärte, wie wenig sich mein Vater für die Rolle des unerschrockenen Rächers seiner Tochter eignete, und ihr dann, ziemlich aufgelöst und jetzt auch heulend, berichtete, was sich bei Unterrichtsende zugetragen hatte. Dann kam natürlich der Krach mit meinem Vater, der noch bemerkte, nachdem er meine Geschichte mitgehört hatte, da sähe man ja, wer diese Prügeleien anfinge, und bevor das Ganze eskalieren konnte, klingelte es an der Haustüre. Wir wohnten im vierten Stock, und ich konnte schnell sehen, wer da die Treppen hinaufhastete: Waltraud mit einer Frau, die wohl ihre Mutter war. Ein neuer Showdown bahnte sich an.

      Auf