spielerische Element allenfalls als Sahnehäubchen? Sicher, wer mit der Nationalmannschaft der Achtzigerjahre aufgewachsen ist, mag vielleicht entsprechend geprägt worden sein, aber wir Älteren, die zu Zeiten der Teams von ’66, ’70, ’72 und auch noch ’74 zur Schule gegangen sind, können uns doch durchaus an Mannschaften erinnern, die sportliche Erfolge mit gepflegtem Fußballspiel errangen. Muss sich ein Land diesen Stiefel anziehen, das Spieler hervorgebracht hat wie Fritz Walter, Franz Beckenbauer, Günther Netzer, Wolfgang Overath, um Genies zu nennen, die das Leder wirklich streicheln konnten? Aber auch dahinter fallen einem mit Helmut Haller, Jürgen Grabowski, Stan Libuda, Felix Magath (ja, der war ein ganz ordentlicher Fußballer), Karl-Heinz Rummenigge, Pierre Littbarski, Hansi Müller, Karl-Heinz Flohe, Olaf Thon, Wolfram Wuttke und natürlich auch Thomas Häßler und Andy Möller reihenweise Spieler ein, die mit dem Ball umgehen konnten und können, auch wenn nicht alle daraus die bestmögliche Karriere gemacht haben.
Nein, die Vorstellung, nur in Südeuropa oder Lateinamerika wüchsen Spieler heran, denen es gegeben sei, Fußball zu „spielen“ anstatt zu arbeiten, ist genauso rassistisch wie die Vorstellung, dem Neger liege halt der Rhythmus im Blut (Näheres dazu in Gerhard Polts Sketch vom Herrn Tschabobo). Holland liegt auch nicht im Süden, und die Holländer spielten schon mit Cruyff einen technisch hervorragenden Fußball, also bevor die Mannschaft von Spielern dominiert wurde, deren Wurzeln in die ehemaligen Kolonialgebiete zurückreichen. Der Prototyp des deutschen Fußballmalochers, Berti Vogts, war paradoxerweise vor der EM auf dem richtigen Weg, als er neben dem Sieg auch die spielerische Leistung zu einem wichtigen Kriterium erklärte (die Umsetzung ist natürlich schwierig, wenn die Herren Möller und Häßler partout nicht mitspielen wollen).
Ein weiterer Schritt wäre es, wenn man in Deutschland davon abkäme, die banale Selbstverständlichkeit, dass zum Fußball auch Einsatzwille gehört, durch Phrasen wie „durch den Kampf zum Spiel finden“ zum alleinigen Credo eines typisch deutschen Fußballverständnisses zu erklären, um damit den Glauben an die eigene Fähigkeit, auch Fußball-„Spieler“ hervorbringen zu können, zu unterdrücken.
Heft 7/1996
STEFAN ERHARDT
r/analyse. Eine nähere Betrachtung der einschlägigen SAT.1-Belangsendung
Freitagabend, Datum belanglos, 1996 – wir wollen’s sehen, wir wollen’s wissen, wir wollen dabei sein, wir: schalten ein. Bilder, Marsch! Und schon vollführen im Computer erzeugte Athleten Akrobatisches am im Computer erzeugten Ball auf im Computer erzeugtem Rasen und schießen vor im Computer erzeugten Zuschauermassen (alle Computerränge natürlich bis auf den letzten Speicherplatz besetzt) spektakuläre im Computer erzeugte Tore, die im Computer erzeugten Torhüter sind machtlos gegen solche glänzenden im Computer erzeugten Schüsse, und der im Computer erzeugte Jubel ist grenzenlos – es schallt und raucht noch, als schon längst der Zuschauer eine vor’n Bug gekriegt hat von BECK’s männlichmarkantbraungebrannter Stimme: „ran – SATeins Fußball, ein Genuss mit Beck’s“.
Nicht von Fußball wird diese Sendung handeln, sondern von einer speziellen Spielart, dem SATeinsFußball. Der SATeinsFußball muss demnach Merkmale besitzen, die ihn vom ordinären Fußball absetzen, und es ist nicht nur das Bier allein, das hier prominent und drogenmächtig Besonderheit signalisiert. Wie es auch kein Zufall ist, dass genau zeitgleich zum Wort „Genuss“ im Bild zwei grüne (!) Flaschen Bier vor nackten, minimalstberockten Frauen- beziehungsweise Mädchenbeinen phallisch und V-förmig das entsprechende Sendungsbewusstsein schaffen. Merke: An dieser Sendung wurde nichts dem Zufall überlassen.
Die bunten Fahnen wehen: „Der neunte Spieltag – DAS Fußballfest am Freitag!“, verkündigt die satt-beck’s-geölte Off-Stimme, dass nun wieder die Zeit des Feierns angebrochen sei, der Freitag während der Saison ohnehin mindestens für eine Stunde am Abend dem SATeinsFußball gehört, und nun gibt es neben den normalen SATeinsFußball-Freitagen noch einen besonderen Feiertag. Aber warum?
Kameras, die auf Rasen zurasen – „Balakov fit – Elber frei – Dreieck komplett: Stuttgart gegen Freiburg.“ – „Zum 250. Mal auf der Bank – Daum will zum Jubiläum auf Platz eins: Leverkusen gegen Rostock.“ – „Dortmund ohne zehn – na und? Ein paar Meister sind noch da – zum Revierderby in Bochum.“ – „Bundesliga in ran – heute mit Jörg Wontorra.“ Wir verharren vor den Lochgittertüren des ran-Studios, die gleich, altbekanntes Ritual seit anno Kulenkampff, sich uns und dem Moderator das Sesam öffnen werden.
Zurück zum Anreißertext. Das ran-Sprachprinzip wird bereits auf der Grundlinie sichtbar: Schlagwörter, Superlative und Baustellenjargon. Dieser „Stilmix“ wird uns durch die gesamte Sendung geleiten. „Ooooooonnd daaa sendwerdennauch! Ein wunderschöngunAbnd!“ – nein, kein „allerseits“, dennoch setzt der tosende Applaus ein, der sicher vor der Sendung mehrmals eingeübt worden ist, während die Kamera vollgas an Jörgs Gesicht ranfährt, so dass alle 57 Lachfalten in der extremgedehnten Visage genau zu studieren sind.
Gab es früher nicht Personality-Shows? Genau das gibt es hier: Das Studiopublikum begrüßt nicht die nun folgende Berichterstattung, sondern die Jörg-Wontorra-Show. Fast eine halbe Minute (29 Sekunden) dauert der Beifall (oder soll man sagen: wird der Beifall gefahren?), bis Jörg nach mehreren Dankeschöns und Kopfnickern die beinahe schon olympische Aufforderung loslässt: „Drei Spiele heute Abend – lasst uns anfangen.“ Fehlt noch: „…, Kinder!“, denn seine Stirn legt sich plötzlich in tiefe Sorgenfalten, weiß er doch als erfahrener TVler, wie leicht die Kindergeburtstagspartystimmung überschwappen und die Werbeblöcke sprengen kann.
Das walte Papa Jörg – mit einem pädagogischen Trick. Es geht nämlich nicht los mit einem der drei Spiele, sondern ein nettes Geschichtchen will vorher noch zum Besten gegeben sein. „Die Bundesliga, liebe Zuschauer, hat schon wieder was Neues: Eine Trainerentlassung wie aus heiterem Himmel. So jedenfalls muss den Außenstehenden der Sturzflug von Jörg Berger bei Schalke 04 vorgekommen sein. Stimmt allerdings nicht so ganz, denn zwischen Trainer und Mannschaft gärte es schon seit Langem, nur, die Öffentlichkeit, die hat davon nichts erfahren. Genau das aber ist zurzeit das Dilemma in Gelsenkirchen: Früher, da haben sie geredet ohne Ende, da gab’s überhaupt keine Geheimhaltung, und deshalb war Schalke 04 Skandalklub Nummer eins. Heute dagegen schimpfen die Fans, dass durch zu lange Geheimhaltung sie nicht auf dem Laufenden waren, dass zwischen Mannschaft und Trainer die Chemie eben nicht stimmte. Wie man’s macht, macht man’s verkehrt, aber darum war es umso wichtiger, dass sowohl die Spieler als auch der Manager heute Klartext geredet haben.“ Folgen die entsprechenden Interviews.
Wir folgen noch einmal dem Text: Vor dem Spielalltag also die Sensation („schon wieder was Neues“), wobei diese quasi superlative Wendung spätestens im dritten Satz („stimmt allerdings so nicht ganz“) vom Sprecher selbst wieder desensationalisiert wird. Wozu also diese Einleitung? Verwiesen werden soll auf einen ganz anderen Umstand: nämlich auf die mangelhafte Informationspolitik dieses Vereins. Verbal gerät das zur Anklage qua Emphase („nur die Öffentlichkeit, die“) mit folgerichtiger Verunglimpfung („Dilemma“, „Skandalklub Nummer eins“), folgerichtig zumindest in den Augen der Öffentlichkeitshersteller von Beckmann und Konsorten, denn auch sie hat ja keiner vorher informiert. Empörend, das!
Nach der Volksweisheit präsentiert sich ran dann bescheiden („war es“) als Retter in der Informationsnot, wobei sich der versprochene „Klartext“ zum Beispiel seitens des Managers dann so anhört: „Es sind Punkte, die schon mal vor einem halben Jahr angesprochen worden sind; so. Und das ist hier sicherlich die entscheidende Geschichte mit gewesen, dass man gesagt hat, okay, man hat vor einem halben Jahr schon diese Dinge angesprochen, und, äh, die sind nicht, sag ich mal in dieser Form, äh, abgearbeitet worden…“ Alles klar im Text? Danke, wir sind voll auf dem Laufenden.
Wieder unser Jörg: „Also doch eine Trainerentlassung, ja, die für Insider nicht wirklich überraschend gekommen ist. Morgen übrigens wird Jörg Berger dann Rede und Antwort stehen. Und wir kommen nahtlos zur ersten Partie des heutigen Abends, der VfB Stuttgart gegen den Sportclub Freiburg.“ Punkt. Drei Minuten vorbei, vertan mit einer Information, die eigentlich keine war. That’s