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Fußballkritik


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merken – ‚Scheiße‘: Es gibt einen Freistoß für den VfL Bochum – Wosz – und Tomasz Waldoch nach 60 Minuten das eins zu null.“ Und sogleich die metaphorische An- und Umwendung: „Ich möchte Otmar Hitzfeld nicht noch mal zitieren, aber es passt wie die Faust aufs Auge.“ Wie bitte? Scheiße passt wie die Faust aufs Auge? Da schlägt sich der Gast mit Grausen den Boden ins Gesicht, oder so ähnlich.

      Sein technisches Know-how auf der Höhe der Zeit beweist unser Mann dann im obligatorischen Personality-Clip der Halbzeitpause. „Dieser Mann hatte heute Abend Premiere, Matthias Sammer, er hat im Moment nur ein gesundes Bein, das kranke konnten Sie diese Woche im Internet besichtigen, Sportmedizin auf dem elektronischen Jahrmarkt …“ – so, und hoppla, jetzt kommt der moralische Mittelfinger: „…, widerlich!“ Weiß Werner H., wovon er spricht? Er, Verbalstalinist der clownesken Art und somit ganz und gar einer unter vielen bunten Lockvögeln auf dem Jahrmarkt der (elektronischen) Eitelkeiten? Er, dem in einer seiner künftigen Reportagen durchaus ein Versatzstückchen wie „Ein geiles Foul!!“ zuzutrauen wäre? Biederlich.

      Werner H. kann allerdings auch philosophisch. Ja ja, hättense nich’ gedacht, wa? Keiner kann so wie er nackte Zahlen ins rechte Verhältnis ihrer gesellschaftspolitischen Dimension zwingen: „36.400 Besucher, endlich mal wieder ausverkauft, das sind die wahren Helden des Alltags, liebe Zuschauer…“ Aber können wir Durchschnittszuschauer uns die Anspielung auf DDR-Zeiten („Helden der Arbeit“) von einem Bediensteten eines profitorientierten Privat-TV-Unternehmens erklären?

      Das Spiel endet, das Bild zeigt Spieler, die aufblasbare Plastikhämmer in die Kabine tragen, und Werner H. entlässt uns mit einer letzten Schlüpfrigkeit für heute aus seinem Ruhrgebiet: „… aber ein Hammer, ein Hammer war’s nicht, dieses Revierderby, aber vielleicht hat der Jörg Wontorra ja ’n Hammer im Studio!“ Was Jörg gerade noch so parieren kann, indem er („heh-heh… und der hat zumindest ’n Kompliment, Werner…“) ganz gentlemanlike den grünen Glücksklee streut.

      Folgt die Zusammenfassung des Spieltags. Ein Aufhänger dafür muss her, je abwegiger, desto SATeinser. Diesmal: „Wie passen die Bundesliga, der Bundesfinanzminister und Vicky Leandros zusammen?“ Keine Witzfrage, it’s infotainment, stupid … Antwort: „Heike Weigert und Dirk Frohberg werden Ihnen das verraten.“ Wer bitte sind Heike Weigert und dieser Frohberg Dirk? Doch was kümmert uns die Schar der namlosen Datenbankangestellten, wir wollen nach den fabelhaften Ballgeschichten endlich die Moral – und gütig reicht sie uns Vater Jörg: „Der SPIELtag“, liebe Kinder, „der Spieltag …“ Mehr sagt er nicht, denn nun heißt es aufpassen und mit dem Chipstütengeraschel aufhören.

      Los geht’s im SchweinsTVgalopp. Zunächst trifft uns Tante Vickys brüllige Knautschlacklederstiefelstimme mit „THEO“ tief ins Mark, dann erscheint ERSELBST, Theo Waigel, bergwandernd (???) und im 60er-Käppi wie frisch vom Kostümball. Gnadenlos wird nun alles arbeitsmarktmetaphorisch von Heike und Dirk zu Tode geritten. Streiks, Sparpaket, „der soziale Friede scheint in Gefahr – auch auf dem Platz“, „Arbeitskampf – Zwangsurlaub – und einer wurde sogar ausgesperrt“, dazwischen O-Ton O. Lafontaine („Wo wird denn hier gespart? Reden Sie doch nicht einen solchen Unsinn“), Off-Ton: „Die Opposition hat recht: In der Liga wurde heute geklotzt und nicht geknausert“, und wem der hirnrissige Schwachsinn immer noch nicht reicht, der erhält nach Abstechern über Elber und Eckfahnen, Wiedervereinigung, Kalter Krieg und Lothar Matthäus, Blüm, FKK und Jörg Berger sowie Votavas fundamentalscholastischer Erkenntnis zum Trainerlehrgang („wo man … äh … jetzt … äh … wirklich 15 beziehungsweise 20 Jahre jetzt … äh … nur Fußball gespielt haben, dann ist es natürlich, fällt es natürlich einem schwer, sich erst mal wirklich … äh … ein Buch zu Gemüte zu führen“) den Rest. „Die Großverdiener dürfen jubeln – Senkung des Spitzensteuersatzes. Theo hat ein Herz für Spieler: ‚[O-Ton] Ich hab immer schon gesagt, lieber ein echter Sechziger als ein falscher Fuffziger.‘ Vielen Dank!“ Was für ein Schenkelklopfer, und Jörg erklärt noch dem Letzten den Zinnober: „Wer sagt denn, dass Politik nicht unterhaltsam sein kann …“ Haben Sie’s gemerkt? Da war es wieder, das entscheidende Wort – unterhaltsam.

      Eigentlich könnte die Sendung damit vorbei sein. „Drei Spiele heute Abend“ – Sie erinnern sich? Jetzt, vor Ende der Sendung, kommt das vierte. „Schnell ein Sprung in die zweite Liga“ – wahrlich schnell, denn der „Spielbericht“ kommt mit schnörkellosen 90 Sekunden aus. Aber wen interessiert denn auch zweitklassiger Fußball, wo SATeinsFußball so viel schöner sein kann?

      Die Schnellmeldung noch: „Marc-Kevin Goellner und Bernd Karbacher haben jeweils das Halbfinale im ATP-Tennisturnier von Marbella erreicht.“ Mit dieser fußballfernen, aber ganz ins Großverdienerische passenden „Nachricht“ verlässt uns unser Moderator endgültig, „danke schön, tschüüß, schön’ Abend“, irrt kurz noch durch die Kulisse, der Regler seines Mikros ist noch auf („ach DA muss ich rauf “), und ab durch die Zuschauermitte, zurück in die Asservatenkammer.

      Noch ein paar Worte zum Zeitrahmen. Von 60 Minuten Gesamtsendezeit fielen gerade mal 32 handgestoppte Minuten für „Spielberichte“ ab – das sind 53,3 Prozent. Der Werbung gönnte man 14 Minuten, also 23,3 Prozent, sodass unterm Strich sage und schreibe 14 Minuten lang die heiße Luft des Moderators durchs Studio wehte. Bedenken Sie: Man hätte getrost alles in eine halbe Stunde packen können – und wäre so schlau als wie eine halbe Stunde später gewesen. Die SATeinser als time bandits – und das in einer Zeit, in der keiner mehr welche hat. Wir schalten um? Wir schalten ab.

       Heft 8/1997

      STEFAN ERHARDT

      Fußball und Moderne

      Ist Fußball ein Geheimnis? Ein Faszinosum? Ein Massenspektakel? Eine Droge? Oder ein Politikum? Alles und nichts zugleich, so die postmoderne Antwort, und der neuerdings allerorten postulierte große und medial stetig größere Zulauf, den diese Sportart genießt, gibt diesem Erklärungsansatz recht sowohl in Abgrenzung zur längst vergangenen und schleunigst überholten Moderne als auch in Entsprechung zu dem, was im Namen dieses Überholmanövers verkündet und angepriesen wird, und das ist nicht mehr und nicht weniger als – alles.

      Hat sich der Fußball in dieser unserer Zeit verändert? Hat er einen Stellenwert eingenommen, der den Zulauf auch soziologisch, wenn nicht gesellschafts- oder gar zivilisationsphilosophisch erklärt? Was ist anders im Vergleich zu Brot und Spielen?

      Die Gesellschaft hat sich unleugbar verändert. Das starre, stets kontrollierte und kontrollierbar gemachte Baukastensystem des Mittelalters wurde ebenso von rationalen wie von irrationalen Zentrifugalkraftmeiern Block für Block abgetragen, die Stadtmauern der festen Burg geschleift und durch die geteerten Bungalowsiedlungen überdeckt. Nach Verheerung, Wiederaufbau, Wirtschaftswunder und Werterevolution hat sich die Gesellschaft in ein mäanderndes Geströme und Gerinne verflossen, das zwischen den Klippen der absoluten Leistung, ihren Zähnen, Klauen und Felsspitzen und den Marschen des unanfechtbaren wie selbstideologisierenden Einzelseins richtungslos dahinschwappt, bis dass es versickert, verströmt oder versiegt. Die (offizielle) Geradlinigkeit früherer Zeiten wurde aufgehoben, zumindest abgelöst von jeglicher Wertigkeit. Geblieben ist Beliebigkeit und Absolutheit des Individuums.

      So viel an Prämisse (und nachzusehender Metaphorikdichte). Nun Vergleiche.

      Vergleich Kunst: Man nennt es postmodern, im Grunde aber ist modern, also ‚vor kurzer Zeit entstanden‘, nur die Proklamation und zaghafte Umsetzung flüchtiger Ideen, Einfälle, und die Einfältigkeiten der gegenwärtigen Kunstproduktion zeigen sich umso deutlicher, je verstiegener und unnachvollziehbarer die Beschreibung verfasst ist, die wortreich zum Kunstwerk geliefert wird. Der Ausstellungskatalog wird zur barock-grotesken Exegese der Nichtssäglichkeit.

      Vergleich Medien: Die Flut der Bilder und ihre unbestimmbare Wertigkeit ist inzwischen nicht nur permanent und persistent, sie droht auch das Bewusstsein vom Da-Sein durch virtuelle Welten gänzlich zu verwirren. Wer weiß obendrein noch, was richtig und falsch, was wahr und unwahr, was Fälschung, Verallgemeinerung, Nachlässigkeit, Manipulation oder Lüge ist? Hat die Tagesschau mehr recht als das heute journal,