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Fußballkritik


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Sinne reduziert, man kann das nachlesen: Goethe, Italienische Reise, Verona.

      Noch einmal zurück zum Pop, wo auch „live“ allerhand Zauber vorgeführt zu werden pflegt: ob Playback oder Teilplayback, wer nun was und wie spielt, kann oft nur der Kenner ausmachen oder derjenige, der nah genug dabeisteht, um den Künstlern oder Dilettanten genau auf Finger und Maul schauen zu können. Dennoch: Dass uns da was vorgemacht wird, ist durchaus möglich, ja in den meisten Fällen Teil einer stillschweigenden Übereinkunft. Man könne den ganzen Studioaufwand nicht angemessen auf einer Bühne reproduzieren – dieser Schmarrn geht sogar oft als Argument durch, was nichts anderes bedeuten will, als dass es in diesen magischen zwei Stunden eigent- und buchstäblich nur um die „Inkarnation“, die Erscheinung des Herrn oder der Dame geht, um die vorübergehende körperliche Präsenz – eine kurze Weile werdet ihr mich sehen, dann werdet ihr mich nicht mehr sehen, aber davon träumen –, was nicht notwendigerweise einschließen muss, dass die Brüder und Schwestern auch ihr Handwerk verstehen. Viel Lärm also um manchmal sehr wenig, und wenn’s ordentlich raucht und stinkt, so ist das Teil des Gesamtkunstwerks.

      Im Stadion hingegen wird erst dann gespielt, wenn sich gegebenenfalls der Rauch verzogen hat. Und man genau zuschauen kann, ob einem nun ein X oder ein U präsentiert wird: oder eben ein X für ein U. Was man dann auspfeifen oder nach Leibeskräften verhöhnen darf. Das wiederum liegt in der Natur der Sache, am Wesen des Spiels selbst: Es ist leicht zu durchschauen, wenn auch gelegentlich und auf höherer Ebene durchaus schwer zu „lesen“. Die Fakten aber liegen klar, in oft auch schonungs- und schutzloser Nacktheit offen zutage.

      Natürlich kann uns nachher ein Defensivdesperado etwas von Indisponiertheit und taktischen Abstimmungsproblemen schwadronieren. Nur haben wir alle genau gesehen, dass er schlicht und einfach im Raume herumstand wie Falschgeld. Und wer uns etwas von mangelnder geistiger Frische und bedenklichen Laktatwerten vorlabert, dem kann man ungerührt entgegnen, dass er im Vergleich zu seinem Gegenspieler einfach nur das Tempo einer lahmen Ente entwickelt habe. Oder auf Hochdeutsch: „Haben gespielt wie Flasche leer.“ Und wer dreimal an Ball oder Tor vorbeigesäbelt hat, kann natürlich auf noch nicht eingelatschtes Schuhwerk verweisen: Nur darf er sich nicht wundern, wenn er mit derlei Erklärungsversuchen nichts als brüllendes Gelächter erntet …

      Quod erat demonstrandum: Was uns auch immer an Drumherum, an Weihrauch und Teeniegekreisch präsentiert wird – es ist ein Nebenschauplatz, glaubt es uns, eine Spielwiese, ein Laufstall! Dort mag man mit allerlei glitzerndem Tand operieren und auch weidlich absahnen. Nur: Unsere Sache, die Substanz (wie wir doch hoffen wollen), das Fußballspiel selbst, ist wesentlich pop-fremd, weil hier in neunzig Minuten alles die Woche über Verborgene, Übertünchte, „Überspielte“ oder Zugequasselte ans Tages- oder Nachtlicht kommt: und bloße körperliche Anwesenheit – im Urteil, jemand habe lediglich „sein Trikot spazieren getragen“, zur treffenden Formel geworden – eben nicht ausreicht! Oder, wie es knapper und unsterblich formuliert ward: Die Wahrheit ist auffem Platz. Und nicht im Fernseh- oder Fotostudio, nicht im Interviewraum, nicht beim Designer oder in der Werbeagentur und auch nicht im Aufnahmestudio: Es sollte im Übrigen aufgefallen sein, wie peinlich – und das ehrt sie! – den meisten unserer Kicker solche Sessions für jene schauerlichen WM- oder EM-CDs sind. Wohingegen der Popstar gerade davon und dafür lebt …

      Und deswegen ist Mehmet, ein für alle Mal, auch kein Popstar: weil nämlich eine Nebenrolle nicht zur Chefsache aufgeblasen werden darf. Oder allenfalls mit fatalen Folgen, die allerdings – was die Gesamtverfassung unserer großen Herde in der Spätphase der Kohl-Ära betrifft – schon wieder entlarvend wären: die Inszenierung der Irrelevanz als abendfüllendes Hauptstück, das Schwänzen der Hausaufgaben als PR-gesteuerter Supercoup. Das wäre ungefähr so, als würde man über erwähnten Kanzler unter Ignorierung seines grandiosen Verdienstes, die Arbeitslosenzahlen nicht halbiert, sondern verdoppelt zu haben, anerkennend feststellen: Aber schöne neue Schuhe trägt er!

      Nein, auch Mehmet soll gefälligst tun, was er kann, wofür er angestellt ist und schließlich auch bezahlt wird. Nämlich Fußball spielen, und zwar so, dass uns das Herz im Leibe lacht. Und sich den Popstar für den Feierabend aufheben: oder seinen Hund.

       Got it?

       I love you!

       Heft 15/1999

      JOHANNES JOHN

      Die Zeitlupe – das pornografische Element der Fußballberichterstattung

      Wenn hier gleich im ersten Satz stünde, dass alle die, die sich jetzt vielleicht irgendwelche Schweinereien eindeutiger Art erwarten mögen, am besten gleich weiterblättern, weil es im Folgenden eben um ganz andere, selbstverständlich seriösere Angelegenheiten gehen wird, so wären wir schon mitten im Thema. Beziehungsweise auf dem Weg dorthin.

      DER ÄSTHETISCHE VORBEHALT, ZÄHNEKNIRSCHEND

      Man kennt dies aus Rezensionen, Vorankündigungen, aus Moderationen und Kommentaren. Da steht uns ein Buch oder ein Film mit reißerischem, womöglich diverse four-letter-words enthaltendem Titel ins Haus, flankiert von raunenden Vorankündigungen oder in Maßen skandalösen Vorabfotos. Und dann die kalte Dusche, das Wort zum Sonntag: „Wer sich Pornografisches erwartet oder gar darauf spekuliert hat, der sei gewarnt!“ Davon keine Bohne, ja nicht einmal ein Fitzelchen Nacktheit; vielmehr spiele der Film auf ebenso subtile wie – wir ahnten es! – ironische Weise gerade mit solch spekulativer Neugier und geifernder Erwartung.

      Die Kunst ist damit also wieder mal gerettet, ebenso Niveau und Intellektualität. Und der Effekt ebenso uniform wie latent verlogen. Denn natürlich hätte man von Frau X oder Herrn Y – nein: eigentlich doch eher von Frau X – schon gern ein bisserl mehr gesehen. Ich weiß, dass man so etwas in diversen Diskursen nicht sagt, wie ich es ja auch immer nur mit Zeitgenossen zu tun habe, die den Playboy allein wegen der ausgezeichneten Kurzgeschichten lesen. Oder den knallharten Interviews. Möglicherweise auch wegen der Witze: auf der Rückseite des Centerfolds …

      Bezeichnend ja auch, dass das Wort „Schaulust“ hierzulande so eindeutig negativ besetzt ist. Was sich vor mittlerweile 16 Jahren aus der Feder eines aufgeklärten Geists in einer Besprechung von David Lynchs Blue Velvet noch als Beschreibung einer medialen Übergangsphase las – „Wir leben im Zeitalter der Skopophilie, im Zeitalter der Lust am Sehen, der Lust zu schauen, der Lust am Zuschauen, der Schausucht: Jeder glotzt jeden Tag in die Flimmerkiste im eigenen Wohnzimmer, Kinder sind wie verhext von Video- und Computerspielen, keiner entkommt der Flut von Bildern, die von Werbeflächen, aus Zeitschriften, von Videomonitoren auf alle einstürmt, niemand, so scheint es, will ihr entkommen“ – ist heute nicht nur längst common sense, sondern auf entscheidende Weise zu erweitern. Der ehemals reine Bilderkonsument nämlich ist, jedenfalls potenziell, auf vielfältige, weil vielfältig vereinfachte Weise zugleich Bildproduzent. Zur Rezeption tritt gleichberechtigt, wenngleich (noch) nicht gleichgewichtig, die Produktion: Exhibitionismus und Voyeurismus (was in beiden Fällen wiederum rein phänomenologisch und nicht etwa pejorativ gemeint ist) bilden dabei das verbindende – ich kann’s nicht anders ausdrücken – Glied.

      Kaum ein Wort von der möglicherweise ja segensreichen Funktion solcher Schaulust. Wer hinschaut, wer zuschaut, der nimmt, wenn er dies gelernt hat und einigermaßen reflektiert tut, ja auch „wahr“. Der versucht, mit „offenen Augen“ durch die Welt zu gehen und auch auf gewisse kleine, aber bedeutsame Nuancen zu achten: etwa die Differenz von Wort und Körpersprache. Und wer sagt eigentlich, dass es immer nur bei der Schaulust bleiben muss, diese also nicht auch zu aktivem Eingreifen führen kann? Schaulust als Akt sozialer Neugier, die – unter anderer Zielbestimmung – dem Wohl der großen Herde durchaus zuträglich sein kann. Die Einsicht „Ich schau mir das nicht mehr länger an“ kann in letzter Konsequenz so durchaus in ein entschiedenes „Ich mach da(s) nicht mehr mit“ münden.

      ERSTER EINSCHUB: TUNNELS

      Von Alfred Hitchcock, dessen Schlussszene aus North by Northwest, als der Zug nach einem letzten Bild auf Eva Marie Saint und Cary Grant mit Getöse in den Tunnel braust, natürlich zum Kanon unvergesslicher Filmsequenzen gehört, ist das