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Fußballkritik


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sein muss. Auf jeden Fall aber hat es gar nix mit unser aller Alltag zu tun: So jemand darf Mundschutz tragen, den Affen machen oder sich solche rudelweise halten, ja sogar Jungs anfassen und sich davon wieder loskaufen. Oder von seinem privaten Fitnesstrainer schwängern lassen. I drive a Roll’s Royce, ’cause it’s good for my voice, wie Marc Bolan – Gott hab’ ihn selig – zu formulieren pflegte. Dagegen kann man schlechterdings nicht mehr argumentieren.

      Und dorthin soll nun auch Mehmet gehören, der uns heute als Beispiel dient beziehungsweise mit immensem medialen Sperrfeuer aufoktroyiert wurde, da sich im gleichen Becken momentan nur Lars Ricken tummelt, der aber noch ein bisschen nacharbeiten muss, falls er sich nicht gleich zu einem Wechsel ins Charakterfach („die Typen in Nadelstreifen …“, ach Gott) entschließt. Hysterie, kreischende Kids, delirierende Teenies, nasse Augen oder Kleidungsstücke: Aha, das also ist Pop? Dabei gab’s für diese unverzichtbaren Begleiterscheinungen – die man freilich nicht mit dem Phänomen in toto verwechseln sollte – spätestens seit Nik Cohns epochalem AwopBopaLooBopALopBamBoom (im Original 1969 als Pop from the beginning) einen wesentlich präziseren terminus technicus: ,hype‘.

      Wo im Übrigen vor nahezu 30 Jahren auch schon nachzulesen war, was es damit auf sich hatte, weshalb hier nur in aller Kürze daran erinnert sein soll: Pop, die pure Oberfläche, der schöne Schein, herrlich hohltönender Schund und nichts als das. Gelegentlich bis kurz vors Zerplatzen aufgepumpte Trivialmythen, ein Spiel mit Seifenblasen, schön schimmernd und flimmernd, und unter diesem Film nichts als laue Luft. Seifenblasende Kindsköpfe haufenweise, das schöne Gehege der Infantilität, viel frühreife Gesichter und adoleszente Altersweisheit, eine geschlossene Gesellschaft, die man nur unter dem Verlust der Unschuld verlässt. Und wen interessieren Popstars, die ihre Unschuld verloren haben? Allenfalls griesgrämige Feuilletonisten.

      Dieser infantile Autismus steht übrigens in keinem Gegensatz dazu, dass der Popstar – welcher zuletzt selbstverständlich auch und eigentlich „ganz anders“ ist als sein ihm von cleveren Managern kreiertes Image, mit welchem Quark wir heute allerdings niemand weiter langweilen wollen – wesentlich eine öffentliche und öffentlich produzierte Person ist; und wer sich dahinter „tatsächlich“ verbirgt, mag allenfalls den Beichtvater, Bäcker, Zahnarzt oder Friseur desselben interessieren. So unverwechselbar sich jemand in diesem „Bussiness“ gerieren muss, mit einem Spleen oder besser noch mehreren: Jede Dissidenz ins Individuelle, jede persönliche Facette wäre dabei ein hässlicher Kratzer auf der blitzenden Fassade. Dies sei ein Widerspruch in sich, am End’ sogar eine Zwickmühle? Auch das: wofür es in der Regel aber ordentlich Schmerzensgeld gibt.

      Und das wiederum sei zynisch? Aber ja! Womit ein weiteres wesentliches Kriterium genannt wäre: Pop ist zynisch, und zwar zutiefst. Was nicht bedeutet, dass der ganze Zirkus nicht gewissen Regeln und Regularien gehorchte: nur bestimmt nicht Kategorien wie „ehrlich“, „wahr“ und „authentisch“. Die Werte des Pop tragen strenge Verfallsdaten, und dauerhaft mag allenfalls der Wechsel der Moden sein.

      Und wo bleibt Mehmet, wie passt er da rein, passt er da überhaupt rein? Zumal er sich ja mittlerweile immerhin auch schon einen gravierenden Seitensprung ins Seriöse geleistet hat: sich nimmer duzen lassen wollte, in Interviews halbwegs so intelligent gab, wie er durchaus sein mag, sich alles in allem als einer präsentierte, der nun seinen Stimmbruch auch hinter sich gebracht hat. Über die wenigen ehrlichen Freunde redete, die man im Leben habe, sich – auch du, mein Sohn Brutus – als „ganz anders“ outete oder – der Gipfel – als gebranntes Kind über die Verlogenheit der Medien faselte. Du lieber Gott, dachten wir da, another angel fallen from grace, aufrecht, erwaxen und langweilig wie eine abgestandene Fanta.

      Nicht, dass er etwas Falsches gesagt hätte, das meiste war sogar durchaus gescheit und korrekt. Nur – wenn ein wahrhafter Popstar eines nicht sein darf, dann eben dieses: korrekt. Der nämlich darf sich Biografien erfinden und falsche Väter dazu: nur nicht darüber lamentieren, falsch verstanden oder zitiert worden zu sein. Im Gegenteil: Ein Popstar streut falsche Zitate, wirft Nebelkerzen und flunkert, was das Zeug hält. Immerhin: Dass Herr Scholl seine Physiognomie zwischen Nasenspitze und Unterkinn nicht auch noch stromlinienförmig stylen ließ, weiterhin so sprach, wie ihm ganz buchstäblich der Schnabel gewachsen war, und zuletzt Thomas Herrmann gegenüber auch wieder zu wahrhaft herzerfrischend pubertären Späßle fand („Wir haben einen Homosexuellen in der Mannschaft, aber wer das ist, sag’ ich dir nur, wenn du mir einen Kuss gibst …“), gab uns begründeten Anlass zu Hoffnung und Zuversicht.

      Denn eigentlich kann er ja nichts dafür, dass man ihn so partout zum Popstar trimmen will, wo ihm doch so vieles und Entscheidendes dazu fehlt. Und zwar nicht als individueller Mehmet mit geschorenem oder mittlerweile wieder wucherndem Haupthaar, sondern als Typus, meinetwegen auch als Repräsentant seiner Berufsgruppe am Ende dieses Jahrtausends. Dieser ist – und hier liegt der Grundwiderspruch – auf Wunsch von oben nämlich diametral anders angelegt und prinzipiell pop-inkompatibel.

      Denn was muss ein Fußballer, vor allem in seinen Lehrlings- und Gesellenjahren, vor allem mitbringen oder sich mühsam anlernen (lassen), jedenfalls allwöchentlich unter Beweis stellen? Genau: „Volkstümlichkeit“, die Nähe zum Fan, allenfalls wohldosierte Extravaganz. Der Typ „von nebenan“, einer „wie du und ich“ (mit dieser fatalen Formel, die zudem ein halbes Jahrtausend abendländischer Philosophiegeschichte locker vom Hocker kippt, beginnt bekanntlich die Subjektschwäche), einer „zum Anfassen“ – einer Umgangsform also, die sich die meisten halbwegs vernünftigen Zeitgenossen spätestens im Vorschulalter abzugewöhnen pflegen. Es muss wohl nicht mehr eigens betont werden, dass Pop ganz fundamental anders funktioniert und wesentlich auf Entrücktheit, auf Ferne und Unnahbarkeit basiert: Man denke nur an Jackos Aufund Abtritte, bei denen er wahlweise vom Himmel hoch niederkommt oder aber final in eben jenen entschwindet. Und ansonsten erscheint er kurz als Silhouette hinter einem Hotelvorhang im neunten Stock, und wer einen Blick auf ihn erhascht hat, bricht zusammen und erzählt noch seinen Enkeln davon. Täte ein Fußballer dergleichen Elitäres respektive Spinnertes, hätte er – vulgo – jegliche „Bodenhaftung“ verloren, wüsste nicht mehr, „wo er herkommt“ (wer weiß das schon so genau?) und stünde – welch Sprachbilder! – kurz vor dem „Abschuss“! Andererseits: Wie soll denn einer auch eine halbwegs haltbare Aura aufbauen, wenn ihm in Süd- oder Nordkurven, auf dem Trainingsgeläuf oder auf dem Weg zu Coupé oder Geländewagen ständig daran herumgefingert wird?

      Und darauf reduziert sich letztlich dieses ganze aufgemotzte Gelaber von Mehmets Pop-Star-Status: Er ist ganz einfach schön anzuschauen, ist süß oder lieb oder beides, vermutlich zum Knuddeln oder was auch immer. Und das ist doch auch schon eine ganze Menge. Nur, für Hollywood oder Tin Pan Alley reicht das noch nicht ganz: wohl aber für die Säbener Straße in München-Harlaching.

      II. DIE ARENA

      Vielleicht noch ein kurzer, aber möglicherweise erhellender Seitenblick auf die räumliche Anordnung, die Inszenierung der Spektakel. Nein, nichts Ausführliches mehr über das bekanntermaßen Kultische, beileibe nicht nur Befreiende von Pop- und Rockkonzerten, was sensiblere Gemüter durchaus auch verstören kann: wenn rundum die Fäuste geballt und gereckt werden, Feuerzeuge entflammt und zuletzt in gleichförmiger Einheitlichkeit rhythmisch geklatscht wird und man an bewegte Bilder in Schwarzweiß aus einer anderen Zeit denkt. Auch nicht über die Konzerthalle als säkularisierten sakralen Raum: dem Altar entspricht – in seiner exponierten, gleichermaßen abgesetzten wie erhöhten Stellung – die Bühne, auf der das Spektakel nach zuweilen verblüffend ähnlichen Ritualen und Versatzstücken zelebriert wird. Man kennt die Dramaturgie solcher Auftritte und auch ihre Liturgie: vom einleitenden good to see you übers obligate do you feel good? (mit meist mehrmaligen, sich steigernden Wiederholungen, bei denen zuletzt kein Hahn kräht, aber viele Fans in Ekstase bitterlich zu weinen beginnen) bis zu den finalen Zugaben. Und wenn Rod Stewart einst in Anaheim am Ende eines recht lausigen Auftritts mit den Faces die Besucher mit den Worten „Thank you for your time and your money“ auf den Heimweg schickte, so ließen sich durchaus Parallelen zu Kollekte und Ablasswesen ziehen …

      Ganz anders jedoch beim Fußball: Dort blickt der Zuschauer nicht andächtig hinauf, sondern ganz im Gegenteil von (s)einer erhöhten Position aus aufs Spielfeld hinab. Das ist nicht unwichtig und entspricht im Übrigen auch