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Fußballkritik


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      Der Meinung kann man durchaus sein.

      BASICS, SUBJEKTIV: FELDSTUDIEN

      Nein, nicht der tausendundzweite Definitionsversuch, was denn Pornografie eigentlich sei. Eher ein Gedankenexperiment, das nachvollziehen möge, wer über Zeit, Lust und das entsprechende Basismaterial verfügt: der Zeitraffer als Erkenntnisbeschleuniger.

      Man lasse einen pornografischen Film – und von bewegten Bildern soll hier bevorzugt die Rede sein – einmal im Schnelldurchlauf vorandüsen: Sehr rasch, ebenso unvermeidlich wie vorhersehbar und geradezu manisch wird das am Geschehen beteiligte Figurenensemble jeweils zur Sache kommen; und immer wieder „zur Sache“. (Dies wird sich einem auch in Normalgeschwindigkeit früher oder später mitteilen, nur sei man gewarnt, dass man solche wie alle anderen Aktivitäten mit Lebenszeit bezahlt, die bekanntlich begrenzt ist und mit der man nicht aasen sollte.)

      Das strukturiert das Ganze, indem es jene Fixpunkte kreiert, auf die letztlich alles zuläuft und in die alles mündet: Knäuel und Verknotungen, in denen sich das „Geschehen“ im wahrsten Sinne des Wortes „zusammenballt“. Diese Choreografie schafft eine verlässliche Gleichförmigkeit, die zugleich aber auch wahlweise etwas Peinliches, oft Lächerliches, à la longue vor allem Ermüdendes und nicht zuletzt auch Todtrauriges an sich hat. Diesen Zusammenhang von Erregung und Ennui hat keine Wendung besser in Worte gefasst als jenes „omnis animal post coitum triste“, an das uns Ecos Name der Rose wieder erinnert hat; ebenso prägnant ja die Formel vom „großen Tod“. Gebildete bevorzugen hier den Verweis auf den untrennbaren Konnex von Eros und Thanatos, mittlerweile freilich auch inflationär: Als im letzten oder vorletzten Titel Thesen Temperamente der ARD drei Filme vom Lido vorgestellt wurden, in denen sich die Protagonisten via Sexualität „erkannten“ (oder verfehlten) und eine griechische Actrice uns im Interview den unmittelbaren Konnex von Sex und Tod erläutern wollte, entkam mir nicht nur der fortgeschrittenen Stunde wegen doch ein herzhaftes Gähnen: Agiere, Künstlerin, und schwätz’ nicht!

      Und wenn die Propagandisten sexueller Permissivität auch immer wieder die Unerschöpflichkeit erotischer Konfigurationen preisen und dazu die gesamte Kulturgeschichte unseres Globus über Tantra, Kamasutra, die große Mutter Erde bis hin zum Marquis de Sade bemühen; wenn sie ganz im Stile wackerer Staubsaugervertreter uns Spielarten sexuellen Tuns von der Soloperformance über den Paarlauf bis zum unbeschwerten Gruppengeschehen nahezubringen versuchen: so kann einen doch der Verdacht beschleichen, dass es bei all diesem Aufwand letztlich doch nur um „eines“ geht und die Zahl der Konstellationen bei aller Variationsbreite womöglich ebenso beschränkt ist wie die Anzahl menschlicher Körperöffnungen.

      Es im Eigentlichen immer und immer wieder um another new skin for the old ceremony geht und diesem – ja durchaus auch süßen – Wiederholungszwang etwas zutiefst Illusionäres innewohnt. Wer darüber zum Melancholiker wird, der hat unser vollstes Verständnis!

      PORNOGRAFIE: EINE KETTE VON HÖHEPUNKTEN

      Ermüdend. Lächerlich. Peinlich. Traurig. Und auch so tapfer angestrengt: muss doch eingestandenermaßen das Script eines jeden Hardcore-Films – so ein solches schriftlich fixiert überhaupt vorliegt – immer von Neuem die ganze Palette diverser Vergnügungen abarbeiten: Vor dem Drehbuch steht die Checkliste. Apropos angestrengt: von oft bemitleidenswerter Verbissenheit ja auch die Erfolgsnachweise pornografischen Tuns und Treibens, in aller Regel inszeniert als demonstrative Interrupti, in denen calvinistische wie kapitalistische Leistungsethik auch auf diesem Terrain buchstäblich „kulminieren“. Denn so, wie in dieser Kombination etwa kaufmännische Tüchtigkeit nicht verschämt versteckt wird, sondern sich in einem entsprechenden Lebensstil, in Ambiente und Auftreten niederschlägt, wird hier der „Höhepunkt“ im Fließen diverser Körpersäfte ebenfalls coram publico inszeniert, um sein Gelingen dergestalt öffentlich zu beglaubigen, auch wenn es sich dabei ja eigentlich nur um einen technischen Nachweis, eine Art TÜV-Plakette handelt. Wie Pornografie überhaupt aus dem unseligen semantischen Konnex von Erotik oder gar Liebe entlassen und viel eher im Umfeld des (Leistungs)Sports angesiedelt werden sollte: Horizontalakrobatik.

      Womit wir im Mainstream-Fahrwasser des Pornografie-Diskurses angelangt sind: dem Moralisieren. Wofür es ja auch gute Gründe gibt: Wer in achtzig oder neunzig Minuten in dutzendfacher Wiederholung miterlebt, dass Frauen, eines Männerkörpers ansichtig, unverzüglich in Wallung geraten und nichts anderes zu tun haben, als sich flugs die Bekleidung vom Leibe zu reißen, der kann und wird angesichts der Ideologeme, die hier mittransportiert werden, das Ganze eben nicht mehr so spaßig oder harmlos finden. Sondern vor allem dumm. Und ärgerlich.

      Ich will aber lieber von einem Unbehagen anderer Art sprechen.

      Was uns das Zeitrafferexempel lehrte: Pornografie – in der visualisierten Form eines Spielfilms – ist eine Aneinanderreihung von Darstellungen sexuellen Inhalts. Das ist ihre Substanz, und die Zwischensequenzen haben lediglich die dramaturgische Funktion, mehr oder weniger plausibel von einem pornografischen Schauplatz zum nächsten überzuleiten. Dies ist der einzige Sinn und Zweck jener Passagen, die oft ja nicht einmal mehr den Eindruck einer sinnvollen oder eigenständigen Handlung erwecken. Ganz abgesehen davon, dass sie als Füllsel auch deshalb notwendig sind, weil ununterbrochene sexuelle Aktivitäten sehr rasch jenen oben apostrophierten, übersättigenden und in der Folge nur noch langweilenden Effekt hervorrufen würden.

      Natürlich ist auch dieses Grundmuster längst in den „seriösen“ Bereich der KUNST gewandert, man denke etwa an Michael Winterbottoms 9 songs (2004), in denen diverse Konzertmitschnitte, vom Black Rebel Motorcycle Club, den Primal Scream, Dandy Warhols bis zu Franz Ferdinand – soll man sagen: „lediglich“? – als akustische Unterbrechungen eines einzigen Geschlechter-Aktes fungieren und, anders als etwa in Catherine Breillats Romance X (1999) oder Patrice Chéreaus Intimacy (2001), keine eigenen Handlungsstränge generieren oder vorantreiben. Spannend und diskussionswürdig in diesem Gelände wechselseitiger Grenzüberschreitungen, dass und warum etwa Michaela Schaffrath oder Linda Lovelace zeit ihres Lebens „Porno“- beziehungsweise „Ex-Porno-Darstellerinnen“ blieben und bleiben, während sich Caroline Ducey oder Margo Stilley nicht etwa durch ihre Filme „vögelten“, sondern Mut zu „expliziten“ Szenen unter Beweis stellten. Dass die 9 songs freilich auch seinerzeit als „schlichtes Gebumse mit popmusikalischer Kontrastierung“ – so Harald Peters in der taz vom 20. Januar 2005 – gesehen wurden, durchbrach, ob man dem Rezensenten nun zustimmt oder nicht, auf erfrischende Weise den durchaus restriktiv herrschenden liberal-aufgeklärten KUNSTDiskurs …

      ZWEITER EINSCHUB: DAS KIRCHENJAHR

      Nun haben wir alle – mehr oder weniger intensiv christlich sozialisiert – schon von früh auf eingetrichtert bekommen, dass das Leben weder ein Zuckerschlecken noch eine permanente Party ist, und wie immer man im fortgeschrittenen Alter dazu stehen mag, so lässt sich dem Kirchenjahr eine bestechende immanente Logik ja nicht absprechen. Phasen der Kasteiung wechseln mit Perioden ab, in denen auch mal nix los ist und still und unspektakulär der Alltag betrieben werden soll, bevor nach Wochen der Buße, Reue und Einkehr (Geist!) wie des Fastens (Körper!) Feste anstehen, an denen man gehörig die Sau rauslassen darf. Ein up and down, das in kleinen und großen Entsprechungen ja durchaus mit anderen Lebenserfahrungen korrespondiert.

      Und eben keine Dauersause, wie sie uns das Pornografie, aber auch Werbeindustrie pausenlos suggerieren. Genau an diesem Punkt aber wird es unbehaglich, lässt sich doch der Verdacht nicht mehr von der Hand weisen, dass wir es hier mit einem einzigen großen Schwindel zu tun haben, uns im wahrsten Sinne des Wortes etwas vorgemacht wird.

      TRANSFERVERHANDLUNGEN

      Kommen Sie zum Thema, John!

      Bin ich doch längst. Wiederholungszwang. Höhepunkt. Wahrnehmungsstörungen. Schwindel. Fußball im Zeitalter seiner elektronischen Präsentation.

      Wie schon die Wendung von den „neunzig Minuten“ überdeutlich signalisiert, spielt sich Fußball auf einer festgelegten, genau bemessenen Zeitachse ab und hat schon durch diese Fixierung eine ganz eigene Dramaturgie, und dies ganz abgesehen von der jeweiligen Paarung oder dem aktuellen Spielstand. Der „psychologisch“ ungünstige oder aber überaus wichtige Moment vor dem