von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zu den Komparativisten und Junggrammatikern des 19. Jahrhunderts war letztlich gleichermaßen angewandt motiviert. Die Erkundung und Beschreibung von Sprachen außerhalb der eigenen Sprache sowie des Griechischen und Lateinischen lieferte zwar ein nicht überschätzbares Fundament für deren historische sowie synchrone Analysen mittels der theoretisch-methodischen Instrumentarien der gegenwärtigen Linguistik. Indes waren diesen übergeordnete, angewandte Interessen der Auslöser für jene bahnbrechenden sprachwissenschaftlichen Erkenntnisse: Wo stehe ich mit meiner Sprache, meinem Denken, meiner Kultur im Verhältnis zu anderen? Verstärkt durch die Romantik ergab sich beispielsweise auch die Frage: Was sagt mir die nunmehr thematisierte Geschichte meiner Sprache über meine sprachlich-kulturellen Wurzeln?
3 Albert Raasch: frühe Schwerpunkte und Wegweisungen für heute
Wer sich des Titels dieser Festschrift bewusst ist und mit der Biobibliographie des Jubilars einigermaßen vertraut ist, wird (kritisch) erkannt haben, dass die Absätze 1 und 2 dieses Beitrages in ihrer Auswahl auf Anwendungen die Arbeiten von Albert Raasch bereits im Blick hatten.
Mit seiner vorangehend nur knapp umrissenen angewandten Tradition verbinden ihn – wie auch aus seinem sehr umfänglichen Schrifttum gut entnehmbar – insbesondere:
Die Sprachwissenschaft als Schlüssel zu Kulturen und deren Interaktion, so für den deutsch-französischen Grenzraum seines Saarbrücker Wirkungskreises als Ordentlicher Professor an der Universität des Saarlands von 1973 bis 1999. Somit war als konstitutives Element seiner Forschung das grenzübergreifende Verstehen ein finalisierendes Element. Als Handlungsanweisungen dieses konstituierenden Ziels als dessen präzisierende Finalisierung ergaben sich konkret vorgeschlagene Verbesserungen des Fremdsprachenunterrichts.
Die Sprachwissenschaft als ancilla der Politik – so Deutschland, insbesondere sein Saarland, und dessen westliche Nachbarn sowie auch (damals noch selten!) dessen östliche Nachbarn, besonders Polen, als konstituierender Auslöser seiner Arbeiten mit konkret finalisierenden Handlungszielen und -materialien innerhalb der Fremdsprachendidaktik.
Die Sprachwissenschaft als Kern für weiterreichende, anzustrebende interkulturelle Kompetenz, stets wieder in konkrete sprachdidaktische Handlungsanweisungen als Finalisierung mündend.
Die Betonung des Altersparameters der Lernenden, so insbesondere sein für viele Seminare, Vorträge und Publikationen konstituierendes angewandtes Element: ‚Spezifika des Erlernens einer Fremdsprache als Erwachsene‘, die zu stets wieder konkreten Anweisungen für einen derart differenzierten Fremdsprachenunterricht führten, dessen es so noch ermangelt(e).
Ein auch bildungspolitisch durchgängiges Plädoyer für die Angewandte Linguistik in ihrem derzeitigen und erstrebenswerten Verhältnis zur Theoretischen Linguistik. Allein in diesem Kontext agierte er als Co-Autor – meist aber als Co-Editor – mit dem Verfasser in circa zehn Buchpublikationen, meist mehrbändigen GAL-Kongressberichten.
Fazit: Albert Raasch weist Anwendungs-Wege – dies aber nicht im Sinne direkter Projektionen theoretischer Linguistik ins Klassenzimmer oder auf den Computer. Sein sprachwissenschaftliches Tun war und ist vielmehr stets geleitet von einem jeweils gesellschaftsrelevanten Problem als konstitutiver Motivation, sondierte dann die aktuell von linguistischen Theorien bereitgestellten Instrumente bezüglich deren Tauglichkeit zur Handhabung des jeweiligen Problems und führte qua bereitgestellter, ausgewählter Theorien zu konkreter Finalisierung, d.h. zu nachvollziehbaren Handlungsanweisungen.
Ergo: die derzeitige Angewandte Linguistik tut gut daran, dem Jubilar Albert Raasch als Wegweiser weiterhin zu folgen.
Literatur
Althaus, H. P. et al. (21980) (Hrsg.). Lexikon der Germanistischen Linguistik. Tübingen: Niemeyer.
Chomsky, Noam (1957). Syntactic Structures. 's-Gravenhage: Mouton.
Firth, John R. (1934-1951). Papers in Linguistics. Oxfort: OUP.
Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL e.V.) (n.d.). (https://gal-ev.de/; 21.04.2020).
Ivić, Milka. (1965). Trends in Linguistics. London, The Hague & Paris: Mouton.
Kühlwein, Wolfgang (1980). Angewandte Linguistik. In: Althaus, H. P. et al. 1980: 761-768.
Malinowski, Bronislaw (1986). Schriften zur Anthropologie. Frankfurt am Main: Syndikat.
Sapir, Edward (1921 / 2014). Language: An Introduction to the Study of Speech. London et al.: Oxford Univ. Press / Cambridge et al.: Cambridge Univ. Press.
Saussure, Ferdinand de (31949). Cours de linguistique générale. Paris : Payot.
Whorf, Benjamin Lee (51962). Language, Thought, and Reality: Selected Writings of Benjamin Lee Whorf. Cambridge, Mass.: M.I.T. Press.
„Die Nachbarn verstehen” … in der grenzüberschreitenden Berufsbildung
Sprachenpolitik, Praktiken und Projekte in der Großregion SaarLorLux
Claudia Polzin-Haumann
1 Einführung und Vorüberlegungen
Der Aachener Vertrag (2019), Nachfolger des Élysée-Vertrags von 1963, unterstreicht die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sowie den spezifischen Charakter von Grenzregionen. Er bringt in Kapitel 4 („Regionale und grenzüberschreitende Zusammenarbeit“), Artikel 13 und 15, die Absicht zum Ausdruck, Schwierigkeiten zu überwinden, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit behindern könnten. Darüber hinaus verweist er ausdrücklich auf das Ziel der Zweisprachigkeit und formuliert die Verpflichtung der beiden Unterzeichnerstaaten, die lokalen Akteure bei der Entwicklung geeigneter Strategien zu unterstützen, um dieses Ziel zu erreichen (Bundesregierung 2019).
Einer der vielen Themenbereiche, die sich durch das Lebenswerk von Albert Raasch ziehen, ist das (Fremd)Sprachenlernen in Grenzregionen. Ab dem Ende der 1990er Jahre betont der Jubilar die Notwendigkeit einer spezifischen Fremdsprachendidaktik für Grenzregionen (Raasch 1998 und 1999, 2002) im Kontext einer europäischen Bildungs- und Sprachenpolitik, die sich immer stärker dem Phänomen der Mehrsprachigkeit und seinen verschiedenen Facetten öffnet. Dieses Thema soll daher – ausgehend von Raasch (2003) – im vorliegenden Beitrag aufgegriffen und auf einen gerade in der Gegenwart wichtigen Bereich ausgedehnt werden: die grenzüberschreitende Berufsausbildung. Ganz im Sinne des Jubilars geht es also um Sprachenpolitiken und ihre Umsetzung bzw. die Frage, wie sich politische Programmatiken und Vorgaben in der alltäglichen Kommunikationspraxis spiegeln.
Die grenzüberschreitende Berufsausbildung steht ebenfalls seit langem im Fokus der europäischen Wirtschafts- und Bildungspolitik. So heißt es etwa schon in der Lissabon-Erklärung aus dem Jahr 2000 unter Punkt 26:
Bis Ende 2000 sollten die Mittel zur Förderung der Mobilität von Schülern und Studenten, Lehrern sowie Ausbildungs- und Forschungspersonal sowohl durch eine optimale Nutzung der bestehenden Gemeinschaftsprogramme (Sokrates, Leonardo, Jugend) – durch die Beseitigung von Hindernissen – als auch durch mehr Transparenz bei der Anerkennung von Abschlüssen sowie Studien- und Ausbildungszeiten bestimmt werden. (Europarat 2000)
Auch 20 Jahre später hat der Anspruch der „Beseitigung von Hindernissen“ nichts von seiner Aktualität verloren. Wie noch genauer gezeigt werden wird, spielt hier gerade die Sprachenfrage eine wichtige Rolle. Im Folgenden soll der Blick auf die Region SaarLorLux gerichtet werden, wobei ein besonderer Fokus auf dem deutsch-französischen (saarländisch-lothringischen) Grenzraum liegt.
2 Grenzüberschreitende Berufsbildung in der Großregion SaarLorLux I: Strukturen, Programme, Akteure
Die Großregion SaarLorLux besteht auf deutscher Seite aus dem Saarland und Teilen von Rheinland-Pfalz, in Frankreich aus der ehemaligen französischen Region Lothringen (Departements Moselle, Meurthe-et-Moselle,