hochkamen, schüttelte ich mich in Gedanken. Es gab nichts, was ich tun konnte, argumentierte ich vor mir selbst, also hatte es auch keinen Sinn, darüber nachzudenken. Wann immer ich Wut oder Angst verspürte, wies ich mich zurecht. Ich wiederholte die Lügen, die die Gesellschaft jedem Opfer von sexueller Gewalt vermittelte: Hör auf damit, überdramatisch zu sein. Es war keine so große Sache. Du interpretierst zu viel hinein und machst es schlimmer, als es war.
Warum … warum kam ich einfach nicht darüber hinweg?
Im Laufe der Zeit wurde ich immer aufgewühlter. Meine Toleranzgrenze für die allgemeinen Anzüglichkeiten, mit denen Frauen regelmäßig konfrontiert sind, war niedrig bis inexistent. Ich wusste nun, dass sich Gedanken ohne Vorwarnung in Taten verwandeln konnten, und ständig fühlte ich mich unsicher und ungeschützt. Plötzlich bekam ich Albträume, und die Erinnerungen an meinen ersten Missbrauchstäter kehrten mit aller Macht zurück. In Gedanken ging ich alles durch, was Larry von Anfang an getan hatte, um mein Vertrauen zu gewinnen – einfache Komplimente, unschuldige Berührungen, lockere Unterhaltungen, Interesse an meiner Person.
Wie kann ich wissen, dass jemand aufrichtig ist?, fragte ich mich.
Die grundlegendsten Handlungen menschlicher Beziehungen waren missbraucht worden.
Mein eigenes Vertrauen war als Waffe eingesetzt worden. Meine Bitte um Hilfe war ausgenutzt worden. Vielleicht war die einzige Möglichkeit, einen erneuten Missbrauch zu verhindern, diese Dinge einfach abzuschalten. Niemandem mehr zu vertrauen. Niemals mehr. Punkt.
Auch meine Mutter bemerkte meine Veränderung. Überfüllte Orte, Männer, die hinter mir standen, und einfache Ausflüge in Einkaufszentren oder Fast-Food-Restaurants wurden zu einem Problem. Was als lustige Mutter-Tochter-Unternehmung begann, verwandelte sich plötzlich und ohne Vorwarnung in den Auslöser einer Stimmung, die mich nervös und bissig machte. Meine Mutter wusste, dass etwas nicht stimmte.
Nach einem besonders katastrophalen Ausflug zu Subway, wo sich die normalerweise ausgewogene Rachael in eine schimpfende, nervöse Version ihrer selbst verwandelte, die auch auf die einfachste Frage keine freundliche Antwort mehr geben konnte, war meine Mutter sicher, dass etwas geschehen war, von dem sie nichts wusste. Doch klug und einfühlsam, wie sie war, diskutierte sie es nicht an Ort und Stelle mit mir, sondern blieb ruhig und wartete auf eine bessere Gelegenheit, um nachzuhaken.
»Darf ich dich fragen, was bei Subway los war?«, fragte sie lässig über das Geräusch von fließendem Wasser hinweg. Es war ein oder zwei Tage später, wir spülten gemeinsam das Geschirr. Meine Mutter übernahm das Nachspülen, während ich abwusch. Ich war also mehr oder weniger gezwungen zuzuhören, und das wusste sie.
»Ja, es tut mir leid«, seufzte ich. »Ich weiß, dass ich mürrisch war. Ich hatte einfach nur großen Hunger.« Das Trinkglas in meiner Hand wurde energischer geschrubbt, als es notwendig war. Um ehrlich zu sein, verstand ich meine unvorhersehbaren Reaktionen nicht einmal selbst. In den seltenen Fällen, in denen ich ahnte, warum ich aufgewühlt oder ängstlich war, schüttelte ich jede aufkeimende Erinnerung schnell mit der Ermahnung ab, nicht so dramatisch zu sein.
»Bist du sicher, dass das alles ist?«, fragte sie, während sie das Glas aus meiner Hand nahm und es unter das heiße Wasser hielt. »Mir ist aufgefallen, dass es dir nicht nur so geht, wenn du hungrig bist. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass es dich so nervös macht, wenn jemand hinter dir steht?«
Ich legte eine weitere Tasse ins Spülbecken und täuschte Unschuld vor. »Ist das so?«
»Schatz …« Mama hielt inne. »Ist irgendetwas passiert, von dem ich nichts weiß?« In dem Schweigen, das darauf folgte, nahm sie die Tasse, die ich ihr hinhielt, und spülte sie ab.
»Ich weiß es nicht.« Okay, ja, das ist eine Lüge.
»Was ist los?«, beharrte meine Mutter sanft. Ich kannte sie gut genug, um zu wissen, dass ich damit nicht davonkommen würde. Also konzentrierte ich mich auf die Handvoll Besteck, die ich gerade bearbeitete, und erzählte ihr, wie Larry meine Brust begrapscht hatte. Sie sagte keinen Ton, während weitere Blasen unter dem fließenden Wasser ihren Untergang fanden. Dann sah sie mich an.
»Das macht mich so unglaublich zornig.« Die Stimme meiner Mutter war voller Wut, Trauer und Bedauern. »Es tut mir so leid …«
Sie glaubte mir, ich hatte gewusst, dass sie es tun würde. Sie kannte die Erfahrung, wie es sich anfühlte, wenn einem nicht geglaubt wurde.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll.« Fassungslos sah sie mich an. »Es tut mir so leid, mein Schatz. Wie konnte ich das nicht bemerkt haben? Ich war doch im selben Raum!«
Auch das hatte ich gewusst, dass sie sich selbst Vorwürfe machen würde. Der Kummer in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Es war nicht deine Schuld«, versicherte ich ihr. »Er wusste genau, was er tat, und drehte mich so, dass du es nicht sehen konntest. Du hattest keine Chance, es zu bemerken, und ich habe nichts gesagt.« Es war meine Schuld, schloss ich im Stillen.
»Das ist auch nicht zu erwarten, dass du dazu in der Lage sein solltest«, erwiderte sie. »Und es ist nicht deine Schuld.« Ihre Fähigkeiten im Gedankenlesen waren wie immer unschlagbar. Eine Zeit lang spülten wir schweigend weiter. »Dein Vater sollte es ebenfalls wissen. Möchtest du es ihm selbst sagen?«
Ich dachte eine Weile darüber nach. »Es wäre mir lieber, wenn du es ihm erzählst. Es ist mir wirklich unangenehm, darüber zu sprechen.«
»Das dachte ich mir«, gab sie zu. »Ich werde es dich wissen lassen, wenn ich mit ihm geredet habe, damit du Bescheid weißt.«
Vorsichtig hob ich den Stapel Teller ins Seifenwasser und versuchte dabei, nichts in die gelben Gummihandschuhe spritzen zu lassen, die ich immer trug. Die Teller klapperten leise, und das fließende Wasser rauschte sanft, während es über das Porzellan floss.
»Es tut mir so leid«, sagte meine Mutter erneut.
Wir spülten schweigend zu Ende. Es gab nichts mehr zu sagen.
Ein paar Tage später zogen wir uns nach dem Abendessen unsere Turnschuhe an und gingen unsere Runde um den Block.
»Kann ich dich noch etwas über Larry fragen?«, sagte meine Mutter, als wir um die erste Ecke bogen.
Ich nickte.
»Hältst du es für möglich, dass etwas mit der Beckenbodenbehandlung nicht stimmte?«, fragte sie.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Es war die Frage, die ich mir selbst nicht hatte stellen wollen, die aber doch immer wieder leise in meinem Hinterkopf nachklang, egal wie oft ich versuchte, sie zu überhören. Ich schüttelte mich innerlich. Rede dir das aus. Sei nicht überdramatisch und interpretiere nicht zu viel hinein!, ermahnte ich mich streng.
»Das habe ich mich auch gefragt«, gab ich zu, »aber ich glaube nicht. Ich meine, wir wissen ja, dass es eine legitime Behandlungsmethode ist, wie sie auch Physiotherapeuten hier bei uns praktizieren. Und wir wissen, dass Larry Behandlungen durchführt, die sonst keiner macht. Wenn er so oft Beckenbodenbehandlungen durchführt, wie es scheint, muss er auf jeden Fall zertifiziert sein. Sonst hätte ihn schon längst jemand gestoppt. Ich meine …« Ich dachte an den Termin mit Ashley zurück. »Wir wissen, dass er das andauernd tut, mehrmals am Tag.«
Während meine Mutter neben mir lief, konnte ich spüren, dass sie nicht zufrieden war. »Ich frage mich nur, weil … jetzt im Nachhinein kommt mir manches seltsam vor.« Sie zählte ein paar Dinge auf. Er hatte keine Handschuhe getragen. Er hatte sie nicht um Erlaubnis gebeten oder wirklich erklärt, was er tat. Ich nickte und atmete ein paarmal tief durch. Ich hatte nicht wirklich eine Antwort, aber ich war auch nicht bereit, mir selbst einzugestehen, was da passiert war. Dass ich nicht bereit war, war mir nicht bewusst, in meinem Kopf ergaben die Antworten, die ich mir selbst gab, einfach Sinn.
Meine Mutter hielt erneut inne. »Es war beim vorletzten Besuch, dass er deine Brüste berührt hat, oder?«
Ich nickte.
»Das