Rachael Denhollander

Wie ich das Schweigen brach


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– auf Krücken und mit Gips, aber wenigstens war ich zurück. Der Bruch war so weit geheilt, dass Larry keine Bedenken mehr hatte, der Knochen würde sich auch dann nicht mehr verschieben können, wenn ich mir versehentlich den Fuß stieß. Also hatte er grünes Licht gegeben. Ich durfte zwar keine Turnübungen machen, aber ich konnte meine Kondition trainieren, mich dehnen und einen Teil meiner Übungen aus der Physiotherapie machen. Es war eine lächerliche Angelegenheit, einen Turnanzug über den Gips zu bekommen, aber ich wollte es so gerne, dass es mir völlig egal war, wie lange es dauerte.

      In den nächsten Monaten machte ich bei jedem Training meine Konditionsübungen – erst mit Gips, später mit einer Orthese – und wartete … wartete, dass der Knochen heilte. Den Gips konnte ich nicht leiden, aber ich mochte die Muskeln, die ich durch ihn bekam, weil ich bei jedem Klimmzug und jedem Beinheben sein zusätzliches Gewicht von mehr als vier Kilo stemmen musste. Schon vorher war ich ziemlich muskulös gewesen, aber es dauerte nicht lange, bis ich ahnte, dass ich im Armdrücken gegen die meisten Jungs in meinem Alter gewinnen würde. Das war immerhin auch schon etwas. Auch ein Sixpack zu haben, das sich unter dem Turnanzug abzeichnete, war ziemlich cool. Und ich wusste, dass es einfacher werden würde, den Sport wieder aufzunehmen, je fitter ich war. Sobald Larry sein »Okay« dafür gab.

      In alldem war Larry da. Für die regelmäßigen Nachuntersuchungen ging ich zu ihm statt zu einem Orthopäden. Er blieb mit meiner Physiotherapeutin in Kontakt, sodass ich mit der Reha für mein Bein und meinen Fuß beginnen konnte, sobald der Gips abgenommen wurde. Und jedes Mal, wenn ich zu Larry kam, fragte er nach meinem Rücken. Das Gehen an Stützen brachte alles wieder aus dem Gleichgewicht. Ich ging nicht wegen meines Rückens zu ihm, aber er wusste, dass er wehtat, deshalb bot er bei jedem Termin an, ihn zu behandeln.

      »Komm, auf die Liege, Kleine«, sagte er, und ich tat es. Ein paarmal rutschte seine Hand von vorne in meine Hose.

      Sie muss ihm ausgerutscht sein.

      Ist es möglich, so auszurutschen?

      Natürlich war es ein Ausrutscher. Was sollte es sonst sein?

      Einmal, als meine Mutter und ich aus dem Untersuchungszimmer kamen, waren Flur und Anmeldebereich bereits dunkel, scheinbar waren alle schon nach Hause gegangen. Ich hatte keine Ahnung, dass wir so lange drinnen gewesen waren, und war überrascht, dass Larry mit einer Patientin ganz allein gelassen wurde.

      »Wen sollen wir morgen anrufen, um sicherzustellen, dass das über unsere Versicherung abgerechnet wird?«, fragte meine Mutter. »Wir waren ja eigentlich gar nicht wegen ihres Rückens hier, also sollte ich jemandem Bescheid sagen.«

      Larry winkte ab, als wollte er ihre Bedenken beiseiteschieben. »Oh, keine Sorge. Sie brauchte die Hilfe. Das geht aufs Haus. Werde einfach schnell wieder gesund, ja, Rach?«

      Er umarmte uns beide und wir gingen. Er war so anders als die anderen Ärzte, die nicht einmal von ihrem Papierkram hatten aufsehen oder zuhören können, wenn ich versucht hatte zu erklären, was mir wehtat. Gedankenverloren humpelte ich an den Fotos der »Glorreichen Sieben« vorbei. Ihre Unterschriften waren in der Dunkelheit kaum zu erkennen. Kein Wunder, dass USAG und die MSU ihn bei sich haben wollen.

      »Also … das war komisch«, flüsterte meine Teamkollegin Ashley.

      Wir saßen auf der Rückbank des Minivans meiner Mutter und fuhren von Lansing nach Hause. Jetzt, wo ich die Orthese nicht mehr tragen musste, nahm ich zwar wieder am Turntraining teil – obwohl ich immer noch sehr eingeschränkt war und nur wenig mitmachen konnte –, setzte aber gleichzeitig meine Reha und Physiotherapie fort. Larry beaufsichtigte natürlich alles.

      Da Ashley seit einiger Zeit erhebliche Rückenprobleme hatte und ihre Mutter sie nicht zu Larry bringen konnte, fuhren wir gemeinsam zu unseren Terminen bei ihm. »Behandelt er deinen Rücken auch so?«, fragte sie.

      Ich dachte darüber nach, was Ashley mir anschließend beschrieben hatte.

      Meine Mutter hatte sie und mich in das gleiche Behandlungszimmer mitgenommen. Sie wollte sichergehen, dass jemand bei Ashley war und ihrer Mutter berichten konnte, wie es weitergehen sollte. Larry kam herein, verteilte Umarmungen, machte Smalltalk und stellte Fragen über die Schule und das Turnen. Dann kam er zur Sache. Er untersuchte Ashleys Rücken gründlich und stellte dann einen umfassenden Plan zusammen – es war ja schließlich Larry. Er sagte ihr, dass er gerne etwas Weichteilmassage machen wollte, um die Muskeln zu lockern und alles wieder richtig auszurichten.

      »Möchtest du, dass sie hinausgehen, oder ist es okay, wenn sie im Zimmer bleiben?«, fragte er. Ich fand es gut, dass er ihr die Möglichkeit gab, ihre Privatsphäre zu schützen.

      »Nee, wir sind Teamkolleginnen. Wir sehen sowieso alle alles«, lachte sie.

      Larry erwiderte das Lachen. »Keine Geheimnisse in der Umkleide!«, kicherte er.

      Er ließ sie auf die Liege hüpfen und sich auf den Bauch legen, so wie auch ich immer lag. Ich sah, wie er ihre Hüfte mit einem Handtuch bedeckte, ihre Hose und ihr Shirt ein wenig zur Seite schob und begann, ihren Rücken mit seiner rechten Hand und seinem rechten Unterarm zu massieren, wie er es auch bei mir tat. Dann bemerkte ich, dass er seine linke Hand beiläufig unter das Handtuch gleiten ließ, während er sprach. Er scherzte und lachte mit ihr, während er ihre weichen Muskeln mit seiner sichtbaren Hand knetete.

      Ich hatte die Hand unter dem Handtuch kaum bemerkt. Wow. Wenn ich nicht wüsste, was er da tut, würde ich es nie erraten. Ich wusste gar nicht, wie diskret er sein kann.

      Bis Ashley es durch ihre Frage bestätigte, war ich mir tatsächlich nicht einmal sicher gewesen, ob Larry bei ihr das Gleiche gemacht hatte wie bei mir, obwohl ich diese innere Behandlung inzwischen schon oft erlebt hatte. Ich war erleichtert, festzustellen, dass es beinahe unmerklich war. Wir wollen ja schließlich, dass Ärzte unsere Privatsphäre schützen, oder? Die Fähigkeit, eine so heikle Behandlung durchzuführen, ohne etwas nach außen zu zeigen oder Aufmerksamkeit darauf zu lenken, schien der Notwendigkeit geschuldet zu sein, solch persönliche Anwendungen diskret zu behandeln.

      Meine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. »Ja, es ist unangenehm.« Ich schwieg einen Moment. »Aber, ja. Meinen Rücken behandelt er auch immer so. Eigentlich jedes Mal.«

      Seine Bewegungen waren so routiniert, dass es für mich offensichtlich war, dass es eine normale Behandlungsmethode für ihn sein musste. Die Tatsache, dass Ashley und ich das Gleiche erlebt hatten – während wir auch noch im selben Raum waren –, bestätigte es.

      »Na ja … ich meine, es ist Larry, richtig? Also …« Ihre Stimme verlor sich. Ich murmelte etwas Zustimmendes, während wir die Autobahn entlangfuhren. Ashley hatte recht. Es war Larry. Er behandelte tagtäglich von morgens bis abends Mädchen. Sogar die Olympiateilnehmerinnen. Es musste normal sein.

      Auf dem restlichen Heimweg sprachen Ashley und ich nicht mehr viel.

      Wochen später informierte mich meine Mutter, dass wir das Datum unseres nächsten Termins ändern mussten, weil eines unserer Autos ein mechanisches Problem hatte.

      »Ach, das ist in Ordnung«, antwortete ich beiläufig. »Wir hätten den Termin wahrscheinlich sowieso verschieben müssen, ich bekomme in der Zeit meine Tage.« Ohne einen weiteren Gedanken fuhr ich fort, den Boden zu kehren.

      »Warum sollte das eine Rolle spielen?«, unterbrach mich die verwirrte Stimme meiner Mutter.

      Ich lachte. Peinlich! Äh, muss ich das jetzt wirklich erklären? »Na ja, ich meine … Er kann mich nicht wirklich behandeln, wenn ich meine Periode habe!«, sagte ich mit einem kurzen Lachen und warf ihr einen schiefen Blick zu, der meiner Meinung nach eindeutig war.

      »Warum kann er dich nicht behandeln?«, sagte meine Mutter mit etwas mehr Dringlichkeit in der Stimme. »Rachael, macht er … macht er etwas Innerliches?«

      Ich hielt verwirrt inne und stellte den Besen ab. »Äh, … ja?«

      Warum ist das neu für sie? Wir gehen doch schon seit Monaten hin. Ich verstand es nicht.

      »Rachael, das wusste