vorhin dein Chemiebuch gesehen?«, begann er. »In welchem Kapitel bist du? Ich werde hier nur etwas Massagelotion auftragen«, fügte er lässig hinzu und schmierte mit einem Holzspatel eine große Portion auf die Innenseite meines Oberschenkels. Dann nahm er etwas davon auf die rechte Hand und begann, meinen unteren Rücken zu massieren. Er knetete die schmerzenden Muskeln erst mit seiner Faust, dann mit seiner geöffneten Handfläche und zum Schluss führte er mit seinem Unterarm feste, gleitende Bewegungen über den ganzen Rücken aus. Bei einem kurzen Blick über die Schulter sah ich, dass er konzentriert die Augen schloss. Es störte mich nicht, ich hatte häufig Physiotherapeuten gesehen, die bei der Behandlung von Weichteilgewebe die Augen schlossen, damit sie sich auf das konzentrieren konnten, was sie in den Muskelfasern spürten.
Doch dann glitt seine linke Hand wieder zum Oberschenkel und nahm dabei etwas Massagelotion auf. Sie fuhr unter meine kurze Hose. In meine Unterhose. Zwei Finger in mich hinein. Beiläufig massierend. Ich blickte zu meiner Mutter, die nur einige Zentimeter von mir entfernt saß. Sie lächelte beruhigend und beantwortete Larrys letzte Frage über meine Chemielektion.
Ich sah zu Larry hoch. Er hatte noch immer die Augen geschlossen, während er mit meiner Mutter plauderte. Das muss die Therapie sein, über die Mama und ich gesprochen hatten, überlegte ich wieder. Sagen wollte ich nichts. Das Ganze war unangenehm genug, und wenn er wüsste, wie peinlich es mir war, wäre es noch unangenehmer. Mama weiß von dieser inneren Therapie, dachte ich. Sie würde etwas sagen, wenn es komisch wäre. Larry stand genau zwischen ihr und mir. Sie könnte ihm leicht eine Frage stellen, wenn etwas für sie nicht richtig aussah. Es muss diese Therapie sein.
Ich dachte an all die Bilder an der Wand zurück. USAG vertraut Larry seine allerbesten Turnerinnen an und die Michigan State University auch. Ich dachte an Larrys selbstsichere, schamlose Bewegungen. Das ist eindeutig etwas, was er regelmäßig macht. Ich bin kein Testfall. Das ist eine normale Behandlung für ihn. Andere Patientinnen hatten sicher ihren Eltern von dieser Behandlung erzählt. Es war unmöglich, dass man an der MSU oder bei USAG noch nichts davon gehört hatte. Und wenn es je einen Zweifel daran gegeben hätte, was er tat, hätte es mit Sicherheit schon jemand überprüft.
Wenn etwas nicht in Ordnung wäre, hätte ihn jemand gestoppt.
Oder?
FÜNF
»Also gut, Kleine, ich denke, das reicht für heute«, sagte Larry, als er meine Hose wieder zurechtrückte. Er drehte sich um und ging zum Waschbecken, wo er die Massagelotion abwusch, während er sich weiter mit meiner Mutter unterhielt.
»Wir kriegen sie wieder hin«, zwitscherte er fröhlich und warf die Papierhandtücher in einen kleinen Mülleimer, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder mir zuwandte. »Ich werde dir eine Liste mit Dehnungen und anderen Übungen mitgeben, und ich würde dich in nächster Zeit gerne regelmäßig sehen, um deinen Fortschritt im Auge zu behalten. Ich denke, wir sollten dir etwas Physiotherapie zwischen den Terminen verschreiben, um an der Stabilisierung deines Rückens und deines Beckens zu arbeiten. Ich bin mit den Therapeuten in regelmäßigem Kontakt, um ihnen Anweisungen zur besten Vorgehensweise zu geben. Warte einen Moment, ich hole, was du brauchst.«
Als er das Behandlungszimmer verlassen hatte, wandte sich meine Mutter mir zu und fragte: »Nun, was denkst du?«
Ich dachte darüber nach, bevor ich ihr antwortete. Er war gründlich. Er machte Ursachen ausfindig, die bisher niemand gefunden hatte. Er konnte mir genau sagen, was ich tun musste, um an dem jeweiligen Problem zu arbeiten, gab mir genaue Anweisungen, was ich beim Turnen tun durfte und was nicht. Er nahm sich sehr viel Zeit, um die Behandlung mit einem Physiotherapeuten zu koordinieren und einen auf mich angepassten Plan zu erstellen. Und wir wissen, dass die interne Beckenbodentherapie auch von vielen anderen Therapeuten praktiziert wird, rief ich mir in Erinnerung.
Nach dem letzten Fehlversuch bei dem Arzt in Kalamazoo war Larrys Ansatz ehrlich gesagt fantastisch. Im Gegensatz zu jenem Weißkittel, der kaum dazu bewegt werden konnte, von meiner Akte aufzusehen, war Larry aufmerksam. Er stellte Fragen, um herauszufinden, was genau meine Schmerzen verursachte und an welchen Trainingseinheiten ich gerade arbeitete. Er schien aufrichtig an mir interessiert zu sein – daran, wer ich war, nicht nur als Patientin, sondern als Person. Er unterhielt sich mit meiner Mutter über die alltäglichen Dinge im Leben – Schule, Familie, Kirche. Statt von einem Arzt behandelt zu werden, der sich nicht einmal die Mühe machte, auch nur einen einzigen praktischen Vorschlag anzubieten, bekam ich von ihm einen maßgeschneiderten Plan, der darauf abzielte, jeden Aspekt meiner aktuellen Beschwerden zu behandeln und zu verhindern, dass sie erneut auftraten. Der Arzt, dem unsere Olympionikinnen anvertraut waren, war bereit, einer unbekannten Turnerin auf Level 5 Zeit zu widmen, nur weil sie seine Hilfe benötigte.
»Ich denke, er ist wirklich gut«, sagte ich beinahe ungläubig. »Was meinst du?«
Meine Mutter war ziemlich praktisch veranlagt. Sie hatte weder Angst, Fragen zu stellen noch auf Antworten zu bestehen, und ein Arzt, der nichts erklärte oder Fragen als Belästigung ansah, war mehr als abschreckend für sie. Aber Larry schien alles richtig zu machen. Besser als jeder Arzt, bei dem ich je gewesen war. Er hatte sogar ein Skelett hervorgeholt, um zu erklären, was mit meiner Wirbelsäule geschah, und mir alle Namen der Muskeln, Knochen und Sehnen genannt, die mit meinen Rücken- und Handgelenksschmerzen zusammenhingen. Selbst die Physik der jeweiligen Abläufe in Handgelenk und Rücken, während ich bestimmte Übungen machte, hatte er erklärt und erläutert, warum die Dehnübungen, die er mir gegeben hatte, helfen würden.
»Ja, er scheint sehr gut zu sein«, stimmte meine Mutter mir zu. »Ich schätze seine Gründlichkeit und seine Bereitschaft, über das zu sprechen, was los ist. Das ist deutlich mehr Hilfe, als wir anderswo bekommen haben.«
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Larry kam zurück, er blätterte durch einen Stapel Papiere. »Das sind die Übungen und Dehnungen, über die wir gesprochen haben. Du machst sie zu Hause und in der Turnhalle, in Ordnung?« Er ging mit mir die Seiten durch und reichte mir dann einen zweiten Stapel. »Das ist für deinen Trainer, falls er weitere Details über deine Probleme wissen möchte.« Dann holte er ein paar weitere Blätter hervor, die seine medizinische Diagnose und ein paar handschriftliche Notizen darüber enthielten, welche Art von Aktivitäten ich vermeiden sollte. »Nimm dieses ganze Paket mit zur Physiotherapie. Es enthält die technischen Informationen für deinen Therapeuten. Meine Nummer steht auch darauf, sie können mich jederzeit anrufen, wenn sie deinen Behandlungsplan oder erste Fortschritte mit mir besprechen wollen.« Er lächelte und wandte sich an meine Mutter. »Oh, und sie könnte nach der Korrektur der Hüfte ein wenig wund sein, geben Sie ihr also ruhig eine Schmerztablette, wenn nötig.«
Ich zuckte leicht zusammen. Das schien einfach so … persönlich. Meine Mutter lächelte zurück. »Ja, das können wir machen!«
»Alles klar«, sagte Larry. »Ich bringe sie noch nach vorne. Du kommst dann alle paar Wochen her, okay?« Ich sah meine Mutter an, nickte und lächelte verlegen. »Vereinbaren Sie etwa sechs Termine mit der Sprechstundenhilfe, damit wir die Zeit freihalten, und dann werden wir sehen, wie es weitergeht.«
Er legte seine Hand auf meine Schulter und führte mich sanft nach draußen. Wir gingen zurück durch den Flur, an den Fotos der Olympiateilnehmerinnen vorbei und zu meinen Geschwistern, die immer noch geduldig im Wartezimmer saßen und ihre Schularbeiten erledigten. Larry hatte mir die Tür aufgehalten, als wir gingen, und enthusiastisch seine nächste Patientin begrüßt. Ein Mädchen, das etwas jünger war als ich. »Heyyy! Schön, dich zu sehen! Wie geht es dem Knie? Komm herein, Kleine. Wir kriegen dich schon wieder hin.«
Wieder hinkriegen. Das klang gut.
Am nächsten Tag kehrte ich mit einem klaren Ziel und fester Entschlossenheit in die Turnhalle zurück. Die Handgelenksbandagen waren bestellt, meine Handgelenke mit der neuen Methode, die Larry mir gezeigt hatte, getapt, und zum ersten Mal hatte ich eine Orientierung. Ich folgte seinen Anweisungen wie einer Religion, mied gewissenhaft