Viktor Löwen

Die zwölf Jünger Jesu


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Thronverheißung 19,28 (jedoch nicht Mt 10) die hervorgehobene Rolle der Zwölf im MtEv. Andererseits seien die Zwölf hauptsächlich Vorbilder für alle Jünger.43

      Die „Zwölf (Jünger)“ als „historisierte“ oder „transparent“ gemachte Personen? Im Zusammenhang der (zwölf) Jünger-Thematik verdient eine Debatte besondere Beachtung: auf der einen Seite steht Georg Strecker mit seiner These, dass Mt die Jünger „historisiert“ habe, und auf der anderen Seite steht Ulrich Luz mit seiner These, dass Mt die Jünger „transparent“ gemacht habe.44 Strecker hatte in Der Weg der Gerechtigkeit (1962)45 für drei heilsgeschichtliche Phasen im MtEv plädiert46 und im Hinblick auf die letzten beiden Phasen gefordert, dass man im MtEv zwischen der „heilsgeschichtlichen Vergangenheit und dem Verständnis der Gegenwart grundsätzlich differenzieren“ solle.47 Weil für den Redaktor die Zeit Jesu – und damit auch die Zeit seiner Jünger! – ein „einmaliger, unwiederholbarer, heiliger, idealer Abschnitt im Ablauf der Geschichte […]“ sei, seien die Jünger historisch von der eigenen Kirche distanziert einer heilsgeschichtlich einmaligen Vergangenheit zugeordnet.48 Für das „historisierende“ Vorgehen entdeckt Strecker mehrere Hinweise im MtEv, erstens im μαθητής-Begriff, zweitens in der Idealisierung der Jünger, drittens in ihrer Verkündigung und viertens in ihrer Augenzeugenschaft.49 Für die Frage nach dem Verhältnis zwischen den zwölf Jüngern im Speziellen und den Jüngern im Allgemeinen sind Streckers Überlegungen zum matthäischen μαθητής-Begriff besonders relevant:50 Mt gebrauche die Begriffe μαθηταί und δώδεκα synonym und historisiere dadurch die „Jünger“. Denn Matthäus verbinde in synoptisch einzigartiger Weise οἱ μαθηταί und οἱ δώδεκα (Mt 10,1; 11,1; 26,20). Der Wechsel beider Begriffe deute eine synonyme Gebrauchsweise an,51 und grenze somit die „Jünger“ auf die „Zwölf“ ein. Strecker überprüft seine These anhand folgender Belege, die der These entgegenstehen könnten: 1. Den Schriftgelehrten in 8,19 erkennt Strecker nicht als Jünger an. 2. Dagegen gehöre der „andere Jünger“ in 8,21 vielleicht sogar zum Zwölferkreis. 3. Der Begriff „Jünger“ in 10,24f sei tatsächlich allgemein gefasst und gehe also über die Zwölf hinaus, aber er sei vormatthäischen Ursprungs und falle im Gegensatz zu redaktionellen Veränderungen nicht ins Gewicht. 4. 10,42 sei möglicherweise redaktionell, wobei es dann möglich wäre, „um des Jüngers willen“ entweder auf die voraufgehende Gemeinde oder auf die ursprüngliche Ausrichtung der Rede an die Zwölf zu beziehen. Ein weiteres gewichtiges Argument für Streckers Annahme, dass der μαθητής-Begriff den „Zwölf“ vorbehalten sei, ist das Verb μαθητεύω (13,52; 27,57; 28,19), das Mt nach Streckers Verständnis nie auf die „Zwölf“ beziehe. Das sei bei seiner Vorlage, dem MkEv, noch anders gewesen, dort konnten mit „Jünger“ auch andere Personen als die Zwölf bezeichnet werden, z.B. wenn in Mk 3,13f die „Zwölf“ aus einem größeren Jüngerkreis berufen werden (vgl. 2,15f23; 3,9). Luz hatte in seinem einflussreichen Aufsatz „Die Jünger im Matthäusevangelium“ (1971) Streckers „Historisierungsthese“ kritisiert und ihr die „Transparenzthese“ entgegengestellt.52 Die Transparenzthese geht von nur zwei Phasen der Heilsgeschichte aus, wobei die Phase der Zeit Jesu und die seiner irdischen Jünger in eins fällt mit der Phase der Kirche. Luz meint, dass die Hinweise, die Strecker aus dem MtEv als Stützen für seine These heranzieht, anders gedeutet werden müssten. Luz leugnet, dass aus den identisch gebrauchten Begriffen μαθηταί und δώδεκα ein historisierendes Interesse des Mt abgeleitet werden dürfe.53 Gegen die Idealisierung der Jünger spreche z.B. die Kritik am Kleinglauben der Jünger, welcher aber nicht auf das Verstehen der Lehre Jesu bezogen sei, sondern allein auf das Vertrauen hinsichtlich der Person Jesu (im Gegensatz zu Markus).54 Und Luz betont transparente statt historisierende Aspekte in der Aussendungspassage (Mt 10).55 Er kommt zu dem Schluss, dass das Historisierende im MtEv nur darin liege: die Gemeinde sei auf die Lehre des historischen Jesus bezogen. Die Jünger seien zwar Begleiter des historischen Jesus, aber: „Gerade als Schüler des historischen Jesus werden die Jünger transparent, Typen für das Christsein überhaupt.“ Transparenz der Jünger bedeutet für Luz: „Gleichzeitig werden mit einer Gestalt der Vergangenheit. Die zeitliche Distanz wird übersprungen, aber offensichtlich nicht so, daß der historische Jesus einfach in den Geisterfahrungen der Gemeinde aufgeht.“56 Das gelte für jeden Jünger, auch für Petrus, der als Typus der Jünger verstanden werden müsse. Luz lässt offen, ob die Jünger eher für die Gemeindeleiter oder die Gemeindeglieder transparent sind, da beide Gruppen hinter verschiedenen Texten gesehen werden können. Er schlussfolgert daraus, dass diese Gruppen-Differenzierung im mt Verständnis irrelevant sei, und dass die Gemeindeleiter „in gleicher Weise Jünger, wie alle anderen Gemeindeglieder“57 seien. Die Transparenz-These untermauert Luz danach mit den Wundergeschichten58 sowie anhand drei kürzerer Beobachtungen: zum Substantiv ἀπόστολος, zum Verb μαθητεύω und den Begriffen ἀδελφός und μικρός (dazu s.u. mehr).59 Im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit interessiert insbesondere Luz᾽ erstes Argument (gegen Strecker), nämlich das Verhältnis von „Jünger“ und „Zwölf“:60 1. Weil Matthäus das markinische δώδεκα durch μαθηταί ersetze, jedoch niemals ein μαθηταί durch ein δώδεκα μαθηταί, liege Mt nicht viel an der Zwölfzahl der Jünger, sie sei für ihn vielmehr selbstverständlich. 2. Warum sonst komme δώδεκα bei Matthäus nur acht Mal vor, bei Markus hingegen elf Mal? 3. Die Tendenz, die Jünger mit dem Zwölferkreis gleichzusetzen, habe Matthäus bereits von Markus übernommen. 4. Wäre der Zwölferkreis von besonderem Interesse, dann hätte Matthäus ihn nicht erst in Mt 10,1 ganz selbstverständlich erwähnt, sondern wie Markus in Mk 3,13f von ihrer Konstituierung berichtet. 5. Wenn Matthäus beide Größen konsequent gleichsetzen wollte, dann hätte er in Mt 10,2ff die zwölf namentlich aufgelisteten Personen „Jünger“ genannt, und nicht „Apostel“.61 Luz kommt infolgedessen zum Ergebnis, dass Streckers These, dass Matthäus die Jünger historisiere, indem er sie in bewusster redaktioneller Arbeit mit den Zwölf gleichsetze bzw. identisch mache, nicht stimme. Man beachte, dass Luz ebenso wie Strecker davon ausgeht, dass die „Zwölf“ und die „Jünger“ im vorliegenden Text des MtEv „identisch“ – im Sinne von „völlig übereinstimmend, vollkommen gleich“62 – sind.63 Das bestätigt seine, den Gesamtbefund übergreifende, Deutung des Begriffs μαθηταί: „Mt 17,6 ist die einzige Stelle, wo mit μαθηταί eindeutig nicht der Zwölferkreis gemeint ist, sondern die 17,1 genannten Drei.“64 Allerdings deutet Luz die Gleichsetzung in die entgegen gesetzte Richtung wie Strecker: erstens interessiere sich der Redaktor nicht für diese Gleichsetzung, er habe sie lediglich aus seiner Tradition übernommen.65 Zweitens zeige sich in der redaktionellen Arbeit des Evangelisten eine entgegen gesetzte Tendenz: er habe nicht die allgemeinen „Jünger“ auf die historischen „zwölf Jünger“ beschränkt (Jünger → Zwölferkreis) und somit historisiert (so aber Streckers Behauptung), sondern er habe die „Zwölf“ in ihrem „Jünger-Sein“ dargestellt (Zwölferkreis → Jünger) und somit transparent gemacht. Luz’ Deutung ist also im Wesentlichen redaktionsgeschichtlich begründet. Anders gesagt: Die Zahl der irdischen Jesusjünger, die Mt für seine Gemeinde (und jeden Christen) transparent macht, ist tatsächlich auf die Zwölf beschränkt. Und nicht die Gleichsetzung von Jüngern und Zwölf vertieft Mt gegenüber dem MkEv, sondern die Transparenz der Zwölf durch den allgemeinen Begriff „Jünger“.66 Im Zusammenhang mit der Verhältnisbestimmung Jünger – Zwölf stehen drei weitere Beobachtungen, durch die Luz seine Transparenz-These gestützt sieht:67 1. Matthäus vermeide im Gegensatz zu Lukas den Begriff „Apostel“, weil sich die Gemeindeglieder besser mit dem Begriff „Jünger“ identifizieren könnten, da „Apostel“ historisch konkrete Personen bezeichne, die zudem in der nachösterlichen Zeit eine hervorgehobene Funktion gehabt hätten (man vergleiche dazu z.B. Apg, 2Kor 12). 2. Matthäus verwende drei Male das Verb μαθητεύω, das den gleichen Sinn habe wie das Substantiv μαθητής und deswegen mit „Jünger machen / werden“ übersetzt werden müsste, wodurch Mt die nachösterlichen Gemeindeglieder adressiere. 3. Matthäus verwende die allgemeinen, nicht auf spezifische historische Personen bezogenen Begriffe ἀδελφός und μικρός, die parallel und synonym zu μαθητής stehen.

      Die „Zwölf (Jünger)“ als Vorbilder für Gemeindeleiter.