Viktor Löwen

Die zwölf Jünger Jesu


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verbunden sind: auf die Parallelen zu atl Propheten sowie zu Jesu vollmächtigem Wirken (z.B. Mt 10,5ff), desweiteren auf Begriffe wie „Schriftgelehrte“ (13,52; 23,34), „Propheten“ (10,41; 23,34) usw.68 Diese Hinweise bezogen sie auf die Jünger, und eben nicht auf Personen, die von den Jüngern zu unterscheiden wären. Z.B. arbeitete M. Jack Suggs in Wisdom, Christology, and Law in Matthew᾽s Gospel die besondere Bedeutung der Lehre in drei für Mt zentralen Jünger-Beauftragungen 28,18-20, 16,17-19 und 5,11-16 heraus. Und schlussfolgerte z.B. zu 5,11-16, dass die Jünger als Schriftgelehrte die primären Adressaten der Bergpredigt seien.69 Zwei bekannte Vertreter dieser These sind Raymond Thysman und Paul S. Minear, die sich sich auch zur Zwölfzahl der Jünger äußerten: Während Thysman die „Jünger“ kategorisch mit den Zwölf gleichsetzte (wie Strecker), gab es für Minear neben den Zwölf auch andere Jünger. Nichtsdestoweniger gebrauchte Minear beide Größen de facto austauschbar. Ähnlich wie Thysman ist Paul S. Minear zu verorten: er vertritt zuerst in seinem Aufsatz „The Disciples and the Crowds in the Gospel of Matthew“70 und später in seinem Kommentar Matthew: The Teacher’s Gospel71 die These, dass die Volksmengen für gewöhnliche Gemeindeglieder stünden und dass die Jünger für Gemeindeleiter transparent seien. Denn die Jünger bildeten eine qualitativ herausgehobene Leitergruppe: Jesus habe sie berufen, um sie zu seinen Nachfolgern als Exorzisten, Heiler, Propheten und Lehrer auszubilden.72 Außerdem seien die Jünger quantitativ begrenzt: Matthäus meine in 12,46-50 mit „Jünger“ die Zwölf (vgl. Mt 10),73 das gelte wohl auch für Mt 13,74 ebenso würden in Mt 18 die Zwölf adressiert.75 Dass Mt mit „Jüngern“ eine kleine Gruppe gemeint habe, belegen s.E. nicht nur die limitierte Platzzahl in einem Boot (8,23),76 sondern auch die Geschichten rund um Jesu Passion, wo ausdrücklich nur zwölf Jünger anwesend seien. Mit Gewissheit könne man bei den Perikopen zwischen 9,35 und 11,1 und zwischen 19,10 und 28,20 von der Zwölfzahl der Jünger ausgehen. Allerdings gebe es vier Fälle, in denen nicht Individuen des Zwölferkreises gemeint sein könnten: 8,21; 10,42; 27,57 und 28,19. In einigen anderen Fällen sei eine größere Gruppe gemeint (z.B. 12,19). Und in vielen anderen Fällen sei die Größe der Gruppe offen gelassen. Minear schlussfolgert daraus: „We infer that Matthew had no special fondness for the term Twelve nor for the special office of the apostle, a term which he used only once.“77 Das hindert Minear nicht, in den beiden genannten Publikationen die Jünger und die Zwölf pauschal als austauschbare Größen zu behandeln. Das passt zu seiner grundsätzlichen Verhältnisbestimmung beider Begriffe, die im Zusammenhang mit Mt 10 deutlich wird: „Most often he spoke of them [the Twelve; V.L.] simply as the disciples (about sixty times). In most instances where he used this simpler designation, Matthew had in mind the group of twelve to whom Jesus gave a special role as shepherds and physicians.“78 Kurz: Mt interessiere sich nicht besonders für die Zwölfzahl oder das Apostelamt, weil die Begriffe „Zwölf“ und „Apostel“ sehr selten auftauchen. Nichtsdestoweniger seien mit „die Jünger“ meistens (bis auf vier oder mehr Ausnahmen?) die Zwölf gemeint. S.E. werden die Jünger, die für die Gemeindeleiter stehen, nicht weiter ausdifferenziert. Raymond Thysman interpretierte im ersten Kapitel seines Buches Communauté et directives éthiques : La catéchèse de Matthieu79 die Funktionen der Jünger als pastoraler, missionarischer und schriftgelehrsamer Art, weswegen sie Prototypen eines Pastors seien.80 Die Volksmengen dagegen seien im MtEv positiv dargestellt81 und auf Lehre und Leitung angewiesen, weswegen sie für die Gemeindeglieder stünden. Die Gemeindeleiter seien die Erstadressaten der Lehre Jesu im MtEv, die dann Jesu Lehre den Gemeindegliedern, den Zweitadressaten, vermitteln sollten. Für diese zwei „Ebenen“ innerhalb der mt Gemeinde und innerhalb der Personengruppen des mt Evangeliums gibt es laut Thysman ein zentrales Argument:82 nämlich die Beschränkung der „Jünger“ auf eine kleine Schar: „[…] mais chez Marc et chez Matthieu, le titre de disciple conserve très généralement un sens technique et restreint.“83 Und dann etwas präziser zum Begriff „Jünger“: „Le mot revient 71 fois chez Mt. et désigne pratiquement chaque fois les membres du groupe des ,Douze‘ […].“84 Als mögliche Ausnahmen für einen Jüngerkreis, der über die Zwölf hinausgehen könnte, nennt Thysman die Stellen 8,12-22 und 12,46-50.

      1.2.2 Drei „besondere“ Studien von Seán Freyne, Michael J. Wilkins und Joel Willitts

      Die folgenden drei Studien sind besonders bemerkenswert: Seán Freyne hatte sich m.W. als Erster besonders ausführlich mit dem Thema „Zwölf Jünger im MtEv“ beschäftigt. Michael J. Wilkins hat die bis dato wahrscheinlich wichtigste Arbeit zum Thema „Jünger im MtEv“ vorgelegt. Und von Joel Willitts stammt die m.W. aktuellste Veröffentlichung zu den zwölf Jüngern im MtEv.

      Seán Freyne behandelt in seiner redaktionskritischen Arbeit The Twelve: Disciples and Apostles. A Study in the Theology of the First Three Gospels1 außergewöhnlich ausführlich das Thema „Zwölf Jünger im MtEv“ und legt eine theologische Deutung des Zwölferkreises vor. Freyne geht in seiner Studie von drei Überlieferungs-Stufen des Evangelien-Stoffes aus: 1. Stufe: Jesu Worte; 2. Stufe: nachösterliche Tradierung durch die Apostel; 3. Stufe: Fixierung durch die Evangelisten.2 Das erste Kapitel widmet sich der ersten Stufe: welche Rolle spielen die zwölf Jünger im Leben des irdischen Jesus?3 Kapitel zwei bis fünf widmen sich der dritten Stufe: welche theologischen Motive lassen sich bei der redaktionellen Gestaltung des Zwölfer-Stoffs durch die drei Synoptiker identifizieren, insbesondere im Verhältnis der Zwölf zu „Jünger“ und „Apostel“? Im zweiten Kapitel untersucht Freyne, wie die drei Synoptiker zwei zentrale Zwölfer-Themen, nämlich Wahl und Aussendung, interpretieren; erkennbar an ihrer redaktionellen Bearbeitung des Traditionsstoffes, speziell an der Einordnung in eine übergeordnete Struktur und an den inhaltlichen Akzentuierungen. Er kommt im entsprechenden Unterkapitel zum Ergebnis, dass Mt sowohl die Wahl der Zwölf als auch ihre Rückkehr von der Mission auslasse.4 Eine Erklärung dafür biete die einheitliche übergeordnete Struktur, die deutlich erkennbar redaktionell gestaltet sei: statt der Wahl der Zwölf im Zusammenhang der Bergpredigt (so bei Lk) finde sich in Mt 4,23-25 ein Summarium des Wirkens Jesu. Und unmittelbar vor der Aussendung der Zwölf zur Mission wiederhole sich in 9,35-37 das nahezu identische Summarium. Dadurch signalisiere der Redaktor, dass zwischen 4,23 und 9,37 allein Jesu Wirken im Vordergrund stehe, aber ab Mt 10 die Zwölf zu seinen Mitarbeitern im Hirtendienst an den Schafen Israels werden. Auch die redaktionellen inhaltlichen Akzentuierungen in Mt 10 bestätigen den Eindruck, dass die Zwölf Jesu Werk fortführen, z.B. die Parallelen zwischen den wunderhaften Taten Jesu (Mt 8-9) und der zwölf Apostel (10,5ff).5 Die Erkenntnisse des zweiten Kapitels vertieft Freyne im dritten Kapitel. Weil Mt den traditionellen Ausdruck „die Zwölf“ sowie die Nennung von namentlich bekannten Einzelpersonen meide und stattdessen meistens von den „zwölf Jüngern“ spreche, lasse sich ein gezieltes Interesse am Begriff „Jünger“ erkennen. Deswegen untersucht Freyne zuerst die mt Vorstellung von „Jüngerschaft“,6 dann – vor diesem Hintergrund – die „zwölf Jünger“7 und zuletzt die Zwölf als „Jünger“.8 Zum Ausgangspunkt des mt Verständnisses von Jüngerschaft wählt Freyne den Missionsbefehl „machet zu Jüngern […], lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ (28,18ff). Deswegen sei für Mt Jüngerschaft erstens für alle offen und nicht auf einige wenige, wie die Zwölf, beschränkt; zweitens sei das Tun des Gesetzes – gemäß der Auslegung Jesu (5,17ff; 22,34ff) – das Entscheidende für einen Jünger (vgl. 12,46-50). So sei die Christusnachfolge allen Christen geboten (so aus 19,16-26 abgeleitet). Christi Lehre sei für die nachösterliche Gemeinde verbindlich und Christi Vorbild demütiger Lebensführung reize nachösterliche Christen zum Nachahmen an. Denn er als der auferstandene „Christus“ sei inmitten der Gemeinde präsent. Um nun das mt Verständnis der „zwölf Jünger“ herauszuarbeiten,9 müsse man laut Freyne eigentlich alle Stellen in den Blick nehmen, in denen Mt die Zwölf einführt: ihre Mission in Galiläa (10,1-11,1), die dritte Leidensankündigung (20,17), das letzte Mahl (26,20) und schließlich ihre Aussendung (28,16). Allerdings hätten alle diese Stellen Parallelen im MkEv, so dass man sich auf die inhaltliche Gestaltung des Zwölf-Materials konzentrieren müsse, um das Originelle am matthäischen Zwölf-Verständnis zu sehen. Doch alle diese Stellen, bis auf die Mission in Galiläa (Mt 10), entsprächen inhaltlich den anderen Evangelisten, so dass Freyne sich auf Mt 10 konzentriert. Weil die Zwölf in Mt 10 zum ersten Mal erwähnt werden, sei der Ausdruck „Jünger“ zwischen Mt 4