bereit, einmal einen Blick auf mein Manuskript zu werfen. In der Folge erhielt ich von ihm eine grandiose Beratung über vieles, das es rund um eine Buchveröffentlichung zu wissen galt. Bis dahin hatte ich keine Ahnung davon, welche Rolle die Medien spielen konnten, was genau ein Rezensionsexemplar ist und wohin ein solches idealerweise geschickt wird. Lukas Hartmann stellte mir sogar eine ganze Liste von geeigneten Medien zusammen, welche ich mit Rezensionsexemplaren versorgen konnte.
Die Veröffentlichung von «Vom Wirtshaus ins Bundeshaus» meldete ich auch in verschiedenen Buchhandlungen in Bern an. Während sich einige Verkäuferinnen und Verkäufer zurückhaltend zeigten, fand ich im christlichen Bücherladen Vivace offene Türen. Am offiziellen Erscheinungstag des Buches, das war der 20. April 2005, verbrachte ich den ganzen Tag im Vivace, wo ich Bücher unterzeichnete und vor allem auch viele gute und tiefe Gespräche führte.
Ein Freund aus dem Bundeshaus arrangierte für mich einen kleinen Auftritt im Schweizer Fernsehen. So tauchte an besagtem Tag auch ein Filmteam auf, um einige Aufnahmen von mir zu machen. Das Material würde dann zu einem Beitrag von wenigen Minuten zusammengeschnitten und zu einem späteren Zeitpunkt in der Sendung «Schweiz aktuell» gezeigt werden. Mit solchen Möglichkeiten hatte ich wirklich nicht gerechnet.
Schon in den darauffolgenden Tagen gab es viele Reaktionen. Im Bundeshaus sprachen mich Leute an und fragten, was denn der Inhalt sei. Solche Momente waren für mich besondere Gelegenheiten, um Menschen von dem zu erzählen, was ich erlebt hatte: Jesus Christus hatte mich frei gemacht. Nachdem ich ein wirklich harter Säufer war, kiffte und auch sonst einen äusserst ungesunden Lebensstil pflegte, war ich jetzt frei. Und dies schon seit 1999. Zu damaligem Zeitpunkt waren es sechs Jahre. In dieser Zeit wurde ich sporadisch mal in Kirchen und andere Gruppen eingeladen, um meine Geschichte zu erzählen. Das tat ich immer gerne. Durch das Buch hatte ich jetzt ganz neue Gelegenheiten, Menschen zu erzählen, wie Jesus mich frei gemacht hatte.
Der Rummel nahm sehr schnell zu – mehr als ich erwartet hatte. Und wieder einmal kümmerte sich Prof. Dr. Heinrich Koller um mich. Als Direktor des Bundesamtes für Justiz war er schon derjenige gewesen, der mir im Jahr 1992 die Chance eines Arbeitsplatzes im Bundeshaus gegeben hatte. In den sieben folgenden Jahren hatte ich mir manchen Blödsinn geleistet, der zu einer Kündigung hätte führen können. Herr Koller stand aber die ganze Zeit hinter mir. Als ich 1999 in angetrunkenem Zustand und im Besitz vertraulicher Bundesratsakten in einer Wirtschaft aufgefunden wurde, lehnte er sich weit aus dem Fenster und gab mir noch einmal eine Chance. Er setzte sich allen entgegen, die mich sofort entlassen wollten. Doch dann folgte ein sehr ernstes Gespräch unter vier Augen.
«Herr Wampfler, ich gebe Ihnen jetzt noch eine Chance – das ist ihre letzte!» Der Ernst in Herrn Kollers Augen war nicht zu übersehen.
«Sie haben Ihre Grenzen mehr als ausgelotet. Wenn Sie noch einmal in angetrunkenem Zustand zur Arbeit kommen oder sich aufgrund von Suchtmittelkonsum einen Lapsus leisten, sind Sie Ihren Job los. Haben Sie mich verstanden?»
Ich nickte. Inzwischen war sogar mir klar, dass ich mit keiner Sonderbehandlung mehr rechnen durfte. Doch Herr Koller sah mich weiterhin eindringlich an und sagte mit fester Stimme:
«Was ist denn eigentlich mit Ihrem Glauben an Gott, Herr Wampfler? Hilft Ihnen denn dieser Glaube nichts?»
Das sass!
Ich war derart getroffen, dass ich noch dort, auf dem Stuhl sitzend, innerlich zu Gott zu schreien begann. Unbedingt brauchte ich eine Veränderung in meinem Leben!
In diesem Moment hatte ich keine Erwiderung bereit. Es ist traurig, wenn man sich als Christ ausgibt, jedoch ein mieses Doppelleben führt. Und genau ein solcher Mensch war ich – das wusste ich in diesem Augenblick ganz genau.
Dann änderte sich Kollers Stimme, während er mir eine Karte über den Tisch schob.
«Hier ist meine Karte», sagte er, und sah mich freundlich an. «Auf dieser Karte finden Sie meine Natelnummer. Sollten Sie jemals den Drang verspüren, irgendetwas zu konsumieren, dann rufen Sie mich an! Ich bin 24 Stunden am Tag für Sie da!»
Dankbar nahm ich die Karte entgegen.
«Das ist Ihre letzte Chance, Herr Wampfler», hielt Herr Koller noch einmal fest. «Es liegt jetzt an Ihnen, eine ernsthafte Entscheidung zu treffen. Ich frage mich nur: Sind Sie zu 100-prozentiger Abstinenz bereit? Nehmen Sie heute Nachmittag frei und überlegen Sie sich, wie Sie sich Ihr weiteres Leben vorstellen. Ich erwarte Ihre Antwort morgen.»
Es folgte ein kurzer Moment des Schweigens.
«Das ist Ihre letzte Chance. Nehmen Sie diese Chance wahr! Ich werde für Sie beten!»
«Ja, das werde ich!», erwiderte ich, bevor ich sein Büro verliess. Irgendwie war ich wach geworden. Endlich verstand ich die Ernsthaftigkeit meiner Lage.
Aufgerüttelt verliess ich das Bundeshaus. Die vergangenen sieben Jahre hatte ich ein Leben der Kompromisse geführt. Natürlich wollte ich frei sein von Alkohol und Drogen. Ich wollte auch ernsthaft ein Leben als Christ führen. Trotzdem bildete ich mir immer wieder ein, dass ein bisschen Alkohol oder ein einziger Joint schon nicht so schlimm sei. In der Folge führte diese Einstellung zu vielen Problemen.
Vor dem Bundeshaus wartete mein Freund Heinz Hügli auf mich.
«Jetzt ist nicht Zeit zum Diskutieren», wies er mich an. «Gehen wir spazieren!»
Wir schlenderten der Aare entlang. Es war der 19. August 1999. Ich traf den Entscheid, ganze Sache zu machen, und betete ernst – ja, verzweifelt.
In der Offenbarung lesen wir, wie Jesus sich an den Gemeindeleiter in Laodizea richtet und folgende Worte sagt: «Weil du lau bist und weder kalt noch heiss, werde ich dich ausspeien aus meinem Mund.»1
Damals, im Jahr 1999, entsprach meine eigene Temperatur mit Sicherheit dem «lau», welches Jesus letztlich ausspeien wird. Er hasst dieses scheinbar Christliche, welches sich zwar zu ihm bekennt, letztlich aber voller Kompromisse und Halbheiten ist.
«Jesus Christus», betete ich. «Es tut mir leid, dass ich dich immer und immer wieder betrogen habe und eigene Wege gegangen bin. Vergib mir meinen Eigensinn und meinen Stolz! Bitte vergib mir meine Sünden, meine Kompromisse und mein Denken, alles besser zu wissen! Von heute an will ich dir gehorsam sein und meine Hände von allen Suchtmitteln lassen. Bitte hilf mir dabei!»
Und dann sagte ich den vielleicht wichtigsten Satz meines ganzen Lebens:
«Ich will aufhören zu ‹bescheissen›2!»
Das war der Tag, an dem sich Jesus über mich erbarmte. Es war der Tag, an dem ich von meinen Süchten befreit wurde. An diesem Tag verschwanden all mein Alkohol, alle Drogen und Tabletten aus meinem Leben. Und Jesus hat mich tatsächlich und nachhaltig frei gemacht. In der Folge wurde ich nicht müde zu bezeugen, was Jesus Christus an mir getan hatte.
Dieser Tag lag nun schon sechs Jahre zurück. Jetzt hatten wir 2005 und meine Geschichte war gerade dabei, in Form eines Buches einiges an Sand aufzuwirbeln. In all dieser Zeit war ich Herrn Koller immer dankbar geblieben, dass er mich nicht fallengelassen hatte. Für mich war es eine besondere Ehre, als sich Herr Koller sogar bereit erklärte, das Vorwort in «Vom Wirtshaus ins Bundeshaus» zu schreiben.
Wahrscheinlich war ihm meine Dankbarkeit sehr wohl bewusst. Auf jeden Fall blieb er jetzt als Unterstützer an meiner Seite. Gerade in dieser hektischen Zeit der Buchveröffentlichung war ich äusserst froh, jemanden an meiner Seite zu haben, der mich am Arbeitsplatz etwas abschirmte und Grenzen setzte.
Herr Koller wurde zuweilen von Vertretern der Medien aufgesucht. Eine besonders brisante Frage wurde ihm sowohl vom Zürcher Tagesanzeiger wie auch vom «Fenster zum Sonntag» gestellt. «Herr Koller, weshalb haben Sie Herrn Wampfler immer wieder eine Chance gegeben, obwohl er Sie so oft enttäuschte?»
Die Antwort von Herrn Koller war erstaunlich. Er sagte: «Das kann ich Ihnen nicht genau sagen. Irgendwie musste ich einfach so handeln.»
Einmal sagte eine Journalistin zu Herrn Koller: «Jetzt haben Sie viele Jahre wie ein Vater ins Leben von Jakob Wampfler investiert. Ihr Aufwand hat sich nun ausbezahlt