Jakob Wampfler

Vom Bundeshaus ins Passantenheim


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bringen würde.

      Von meiner Seite hätte ich Sophie gerne etwas näher kennengelernt. Sie hatte wirklich mein Herz erwärmt. Zu mehr als etwas Smalltalk brachten wir es allerdings nicht. Für Sophie war ich damals lediglich ein Typ, der an einer Geburtstagsparty viel und vor allem langsam sprach.

      Kurze Zeit später fragte mich Gerold Huber, ob ich interessiert sei, mit ihnen einen Hauskreis zu beginnen.

      «Ja, da bin ich interessiert. Wie würde das denn konkret aussehen?», antwortete ich und Gerold schilderte mir kurz, wie er sich die Sache vorstellte. Als er erwähnte, dass Sophie ebenfalls dabei sein würde, war mein Interesse zusätzlich geweckt. Sehr sogar!

      So starteten wir diesen Hauskreis unter der Leitung von Doris und Gerold. Die Anzahl Teilnehmer variierte immer etwas, wir blieben aber stets eine kleine Gruppe. Somit hatte ich die Gelegenheit, mehr von Sophie zu erfahren und sie kennenzulernen.

      Die Zeit nahte, wo Gerold und Doris nach Madeira in die Ferien verreisen wollten. Sophie war damals psychisch instabil und Hubers machten sich offensichtlich Sorgen um ihr Wohlergehen. Wie würde es Sophie ergehen, wenn sie im Ausland waren? «Irgendjemand muss nach Sophie sehen», müssen sie sich gesagt haben. So kam Gerold eines Tages mit diesem Anliegen auf mich zu.

      «Jakob, wie du weisst, gehe ich mit Doris in die Ferien», begann er.

      «Ja, das ist schön», erwiderte ich und wünschte ihm eine gesegnete Zeit.

      «Nun ist da aber noch die Situation mit Sophie. Doris und ich machen uns Gedanken, wie es ihr während unserer Abwesenheit ergehen wird.»

      Ich nickte und fragte mich, worauf Gerold hinauswollte.

      «Wir haben uns jetzt überlegt, ob es für dich vielleicht möglich wäre, zwischendurch mal bei Sophie anzurufen und nach ihrem Ergehen zu fragen. Könntest du das tun?»

      «Ja, das kann ich gerne machen!», sagte ich, während mein Herz einen grossen Freudensprung machte.

      Die praktische Umsetzung dieser Bitte war dann nicht etwa nur ein gelegentlicher Anruf bei Sophie. Ich begann, ihr Briefe zu schreiben. Und zwar viele. Es gab Tage, an denen sie gleich mehrere Umschläge von mir aus ihrem Briefkasten nahm. Und sie schrieb zurück – wenn auch deutlich weniger oft als ich. Zwischendurch telefonierten wir. Aber das Briefeschreiben war in diesen Wochen doch meine Freizeitbeschäftigung Nummer eins.

      Ich bin sehr froh, dass sich Sophie von meinem «Briefsturm» nicht bedrängt fühlte. Sie schätzte es, handgeschriebene Briefe in ihren Händen zu halten. Ihr Erleben schriftlich festzuhalten und mir zu schicken, war ihr in diesen Wochen eine grosse Hilfe. Für Sophie ist das Schriftliche die bevorzugte Ausdrucksweise. So genoss sie den Briefwechsel mit mir, obwohl sie damals an einer Beziehung überhaupt nicht interessiert war. Sie nannte mich immer «frère Jacques» und drückte damit aus, was sie in mir sah: einen Bruder.

      Irgendwie schien ich Sophies Vertrauen gewonnen zu haben, denn sie schrieb mir sehr viel über Dinge, die sie in ihrem Alltag beschäftigten. Auch wenn unsere Telefongespräche jeweils mehr als eine Stunde dauern mochten, vertieften wir unsere Beziehung aber primär über das Schreiben von Briefen. Nach der Rückkehr von Hubers führten wir unseren Briefwechsel fort. Mein Dialekt war für Sophie allerdings etwas gewöhnungsbedürftig. Sie entschied sich, ein Vokabular anzulegen, damit sie sich die Bedeutung aller meiner «unverständlichen» Ausdrücke merken konnte.

      Sophies breite Wissen über Literatur und viele andere Dinge öffnete mir neue Welten. Wissbegierig nahm ich alles auf, was sie mir über die Welt der Bücher zu erzählen hatte. Eine Welt, die ich selbst auch immer mehr zu lieben begann.

      So kamen Sophie und ich uns langsam näher. Sie suchte dennoch weiterhin keine Liebesbeziehung mit mir und freute sich einfach, einen Seelenverwandten gefunden zu haben. So musste ich mich damit begnügen, Sophies Sympathie zu besitzen. Meine Gefühle für Sophie waren inzwischen allerdings ganz schön in Bewegung geraten.

      Ich erinnere mich noch gut an den Abend, als die bekannte blinde Fürbitterin Helga Anton für einen Vortrag nach Bern kam. Gemeinsam mit Hubers nahmen Sophie und ich an diesem Anlass teil. Vom Vortrag habe ich aber so gut wie nichts mitbekommen. Das lag weniger am Thema, welches mich eigentlich sehr interessierte. Der Vortrag war auch gewiss nicht eintönig oder langweilig. Es war ganz einfach so, dass meine Gedanken und Sinne alle bei Sophie waren. Ja, die Liebe hatte mich ganz schön erwischt.

      Die Zeit verging. Inzwischen hatten wir das Jahr 2001 und Sophies 50. Geburtstag stand kurz bevor. Einmal mehr zeigten sich Doris und Gerold Huber von ihrer freigebigsten Seite und wollten für Sophie eine grosse Party in ihrem Haus veranstalten.

      «Du sollst dich um nichts kümmern müssen», sagten sie und trugen ihr auf, 50 Gäste einzuladen. Das sei die angemessene Anzahl für einen 50. Geburtstag. Für Sophie war ein derartiger Liebesbeweis etwas ganz Besonderes und sie freute sich sehr auf diesen Tag.

      Im Vorfeld dieser Party war ich gewillt, die Schmetterlinge, die schon lange in meinem Bauch flatterten, endlich freizulassen. Ich würde Sophie also einen Antrag machen. Ich war ein wenig nervös, als ich mich am Tag vor Sophies 50. Geburtstag bei ihr einlud. Mein Vorwand war, dass wir ein paar Dinge bezüglich der Party zu besprechen hätten. Sie lud mich zum Abendessen ein und ich erschien pünktlich an ihrer Tür.

      Kurze Zeit später sassen wir gemütlich am Tisch und liessen es uns schmecken. Mein eigentliches Thema schob ich noch etwas vor mir her. Ich wartete auf den richtigen Augenblick. Doch wie es in derartigen Situationen oftmals der Fall ist, entpuppte sich kein Moment als der passende.

      Die Zeit verging wie im Flug und so kam der Moment, wo ich mich auf den Heimweg machen musste. Bis jetzt hatte ich es nicht geschafft, Sophie meine Liebe zu ihr zu bekennen. Die Zeit wurde knapp.

      Als wir gemeinsam zum Bahnhof schlenderten, wusste ich, dass ich keine Zeit mehr zu verlieren hatte. In höchstens zehn Minuten würden wir den Ort erreichen, wo wir uns verabschieden würden. Sophies Worte, dass sie glaube, noch viele Mahlzeiten mit mir zu geniessen, hallten noch immer in meinen Ohren. War sie jetzt etwa doch bereit für eine gemeinsame Zukunft mit mir? Ich musste nun endlich Worte finden und die Sache klären!

      Irgendwie schaffte ich es, meine Liebe für Sophie zu bekennen. In diesen Minuten war ich extrem aufgeregt. Was hatte ich genau gesagt? Und was hatte Sophie geantwortet? Die Erinnerung an diese Minuten verschwand in einem romantischen Nebel und schon spazierten wir weiter – Hand in Hand. Meine Geschichte sollte also ihre Fortsetzung an der Seite dieser Frau finden. Ich war bei meiner Sophie angekommen.

      Eine liebe Nachbarin begegnete uns, als wir Hand in Hand zum Bahnhof gingen. Freundlich grüsste sie uns und wir grüssten zurück. Selbstverständlich hatte sie bemerkt, dass wir ein Paar waren. Das war aber o. k. und für uns ganz natürlich. In den folgenden Wochen sollten wir jedoch noch vollkommen andere Erfahrungen machen. Etliche Menschen aus unserem Umfeld reagierten äusserst negativ auf unsere Beziehung, in Einzelfällen sogar richtig feindselig.

      Und dann war sie da: Die grosse Party zu Sophies 50. Geburtstag. Ohne dass wir viel gesagt hätten, haben die meisten Gäste natürlich bemerkt, dass sich zwischen Sophie und mir etwas getan hatte. Alles in allem war es ein richtig schönes Fest. Die Liebe der vielen Gäste berührte Sophie tief. Und auch ich liess es mir nicht nehmen, einen Beitrag zu leisten. Einige Zeit zuvor hatte ich gelernt, was ein «Elfchen» ist. Das ist ein Gedicht, bei dem jede Strophe aus elf Wörtern besteht. Das schien mir interessant und so entschied ich, für meine Sophie ein schönes «Elfchen» zu dichten und ihr und der ganzen Gesellschaft dann zu präsentieren. Für mich war dies ein besonderer Moment.

      Es war eine sehr schöne Party im Beisammensein mit Sophies besten Freunden. Es war, als würden wir die Gunst aller geniessen. Doch der Schein trog. Da waren viel mehr Einwände gegen unsere Beziehung, als wir geahnt hatten. Viele unserer Freunde freuten sich aber sehr herzlich mit uns.

      Schon früher hatte mir Sophie erzählt, wie sie Annahme und Liebe immer verdienen musste. In der christlichen Gemeinschaft ihrer Verwandtschaft war dies besonders ausgeprägt. Dort hatte sie schon als Kind gelernt, dass sie nur dann angenommen war und dazugehörte, wenn sie eine Vielzahl von äusseren Verhaltensregeln einhielt.