Jakob Wampfler

Vom Bundeshaus ins Passantenheim


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auch später geriet sie immer wieder an gutmeinende Christen, die sie unter ihre Fittiche nahmen. Immer hatte sie das Gefühl, deren Massstäben genügen zu müssen. Durch ihre unsichere Art zog sie wahrscheinlich auch gerade diejenigen Christen an, denen es eine Genugtuung war, wenn sich Menschen durch ihr Engagement veränderten. Damit berührten sie aber regelmässig einen sehr sensiblen Punkt bei Sophie. Wenn jemand ihr sagte, wie sie eine gewisse Sache zu tun hatte, glaubte sie, dass sie keine Wahl hätte, als einfach zu gehorchen. Sie glaubte, dass sie sonst die Liebe dieser Menschen verlieren würde. Und genau davon war sie abhängig. Traurigerweise wurde ihre Furcht immer wieder bestätigt, indem Menschen unzufrieden wurden, wenn sie deren Erwartungen nicht erfüllte.

      Und Sophie erhielt sehr viele Ratschläge und auch direkte Anweisungen. Für mich, der ich mein Leben lang gewohnt war, die Meinung anderer Menschen zu ignorieren, waren die Dynamiken bei Sophies Beziehungen eine grosse Herausforderung.

      «Du musst dir das nicht gefallen lassen!», sagte ich oft zu ihr, wenn ich mich daran störte, auf welch bevormundende Weise sie von anderen Menschen behandelt wurde. Bei Christen wurde das noch zusätzlich verstärkt, indem diese ihre Meinung oft sehr geistlich verkauften. Für manche Gläubige schien es nur eine richtige Art zu geben, wie etwas getan werden konnte. Und genau dieser Art musste Sophie sich anpassen – sonst war es einfach «falsch» oder sogar «unbiblisch».

      Früher hatte ich derartige Aussagen auch gehört, diese aber grosszügig ignoriert. Und heute muss ich zugeben, dass ich gut beraten gewesen wäre, mehr auf andere Menschen zu hören – besonders auf reife Christen. Aber zu sehen, wie Sophie unter den vielen Anweisungen litt, war für mich sehr schwer. Immer versuchte sie, allen alles recht zu machen. Damit konnte ich schlecht umgehen. In meinem Herzen schrie es unaufhörlich: «Lasst Sophie doch einfach ihren eigenen Weg gehen und bemuttert sie nicht andauernd!»

      Oft sprach ich Leute direkt auf deren Verhalten und ihre Wirkung auf Sophie an. Es kam auch vor, dass ich dabei richtig wütend wurde. Dadurch gewannen wir etwas Raum, um unseren eigenen Weg finden zu können. Doch der Preis war hoch: Viele Beziehungen wurden auf diese Weise in Mitleidenschaft gezogen, einige zerbrachen sogar. Das war einerseits schmerzhaft, andererseits musste Sophie unbedingt aus diesem Muster von «Bemutterung» und Abhängigkeit herauskommen.

      4. Bund fürs Leben

      Für mich war es wichtig, Sophie meinen Eltern und Geschwistern vorzustellen. Sophie freute sich auf dieses Treffen. Familienleben kannte sie ja schon länger nicht mehr. Zu meiner Freude schien sie das Zusammensein mit meinen nächsten Angehörigen zu geniessen. Anschliessend schrieb sie mir, wie es sie berührte, nach ihren einsamen Jahren wieder Vater, Mutter, Schwester, Bruder und in Kürze sogar einen Ehemann zu gewinnen.

      Ja, unsere Beziehung war schnell ernst geworden und die Heirat eine klare Sache. Sophie war auch schon 50 Jahre alt und ich 41. Wir hatten nicht die Absicht, eine Heirat noch viele Jahre hin­aus­zuschieben.

      Wenige Monate nach Beginn unserer Beziehung verlobten wir uns im engen Kreis der Familie. Die Verlobungsfeier war ausgesprochen schön. Zu diesem Anlass machte Sophie Filet im Teig – daran erinnere ich mich noch sehr gut.

      In den folgenden Wochen machten wir uns auch schon ans Planen für unsere Hochzeit. Diese sollte dann nicht mehr im kleinen, sondern in einem grösseren Rahmen stattfinden. Während der Vorbereitungszeit wurden einige Beziehungen strapaziert. Meist waren es Auseinandersetzungen mit gutmeinenden Leuten, welche Sophie seit Jahren unterstützend zur Seite gestanden hatten. Irgendwie hatte sich das wertvolle Helfen dann aber zu ungesunden Abhängigkeiten entwickelt.

      Während sich Sophie lange Zeit angepasst hatte und tat, was man ihr riet, wollten wir jetzt unseren Weg selbst finden. Als Paar mussten wir beispielsweise selbst entscheiden können, wo wir unser gemeinsames Heim haben und wie wir dieses einrichten wollten. Doch genau an solchen Punkten entfachten sich mehrmals ernsthafte Konflikte mit wertvollen Freunden, die eigentlich nur unser Bestes wollten. Wir hingegen sahen uns in unserer Entwicklung aber an einem Punkt angekommen, wo wir selbst Verantwortung für unser Leben übernehmen wollten.

      Es ist sehr traurig, dass wir wertvolle Beziehungen zu guten Menschen verloren, weil wir unterschiedliche Vorstellungen hatten, wie stark sie unser Leben bestimmen durften. Aber Sophie und ich waren überzeugt, unsere Ehe selbst zu führen. Während sich viele über unsere Liebe freuten, drohten uns einige an, dass wir für eine erfolgreiche Ehe nicht fähig sein würden. Für sie war unsere Beziehung ein grosser Fehler.

      Die Herausforderungen unserer ersten Ehejahre liessen uns erkennen, dass die Einwände der Kritiker nicht ganz aus der Luft gegriffen waren. Zum Glück hatten wir aber auch sehr treue Freunde an unserer Seite, die uns unterstützten und halfen, in unserer Ehe zu erstarken. Dank deren Hilfe gelang es uns in den ersten Ehejahren, unsere Beziehung auf ein solides Fundament zu stellen. Wir durften auch lernen, Hilfe von Freunden anzunehmen, ohne erneut in falsche Abhängigkeiten zu geraten. Gerade diese Freundschaften sollten uns in späteren Jahren von grösstem Wert sein.

      Doch zurück zu unserem Hochzeitsfest. Trotz einiger zwischenmenschlicher Konflikte, die uns in jener Zeit belasteten, war unsere Vorfreude ungetrübt. Sophie und ich liebten uns und wir freuten uns auf unsere gemeinsame Zukunft. Wir freuten uns auch über die vielen Gäste, die kommen würden, um unsere beginnende Ehe zu feiern.

      Das gemeinsame Planen machte uns Freude. Stundenlang diskutierten wir über all die Fragen, die halt so aufkommen: Wer wird Trauzeuge sein? Wer wird uns trauen? Und wen laden wir ein? Diese und viele andere Dinge mussten besprochen und Entscheide getroffen werden.

      Und dann kam er, der 7. September 2002. Unser Grosser Tag!

Brautpaar mit Pastor Paul Jeremias

      Brautpaar mit Pastor Paul Jeremias

      Der Traugottesdienst fand im Evangelischen Gemeinschaftswerk (EGW) in Schwarzenburg statt. Paul Jeremias, ein Freund der ersten Stunde, hatte sich bereit erklärt, uns zu trauen. Oder wie wir oft sagten: Er traute sich, uns zu trauen. Zahlreiche Gäste erschienen und wir genossen den Gottesdienst in vollen Zügen. Die Blaukreuzmusik Bern umrahmte den Gottesdienst und erfreute die Hochzeitgesellschaft auch während des anschliessenden Aperos mit einem kurzen Konzert. Der Liedermacher Markus Dolder überraschte uns während des Gottesdienstes mit dem vertonten Text aus Psalm 124: «Unsere Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat, ER ist für uns da.» Nach dem Gottesdienst gab es weitere Überraschungsbeiträge von Gästen. Da waren Drehorgelspiel und vieles andere. Wir waren überwältigt!

      Beim Apero herrschte ein fröhliches Beisammensein – wie es bei Hochzeiten so ist. Aber meine Begeisterung und Freude waren viel intensiver, als ich dies bei irgendeinem anderen Anlass jemals verspürt hatte. Sophie ging es genauso. Die Unterschiedlichkeit der Gäste war ein Abbild unseres bisherigen Lebensweges. Einerseits waren öffentlich angesehene Leute wie Prof. Dr. Heinrich Koller anwesend, anderseits sassen aber auch ungepflegte und angetrunkene Männer und Frauen in den Kirchenbänken. Auch sie zählten wir zu unseren Freunden und wir freuten uns über ihr Kommen.

      Während des Gottesdienstes beobachtete ich eine Szene, die sich sehr tief in mein Gedächtnis einbrannte. Herr Koller war so gerührt, dass ihm Tränen runterliefen! Und dann war es ausgerechnet der Seelsorger vom Blauen Kreuz, Heinz Hügli, unser guter und treuer Freund, welcher zu Herrn Koller hinging und ihm ein Taschentuch anbot.

      Da waren die unterschiedlichsten Leute, die wichtige Rollen in unserem Leben gespielt hatten, die sich nun an unserer Hochzeit mit uns freuten und sich auf ganz persönliche Weise begegneten …

      Das ganze Fest war stark vom Blauen Kreuz geprägt. Für das abendliche Fest hatten wir uns für das Blaukreuzheim in Aeschi entschieden. Damit war von Anfang an klar, dass auch dieser Teil der Hochzeitsfeier gänzlich ohne Alkohol abgehalten wurde.

      Sophie und ich wurden reich beschenkt. All die Glückwünsche und überraschenden Beiträge! Wir waren einfach sprachlos. Das grösste Highlight