»Wo liegt der Planet?«, fragte Holonder.
Shaupaard ließ ANANSI die Koordinaten einblenden und die Entfernung zwischen der RAS TSCHUBAI, ihnen bekannten Himmelskörpern und dem Zielplaneten zeigen.
Holonder prüfte die Angaben. Er wölbte die Augenbrauen. »Es überrascht mich, dass die Phersunen keine abgelegenere Welt als Gefängnisort gewählt haben. Sie liegt zwar nicht in unmittelbarer Nachbarschaft der eigentlichen Brennpunkte dieser Galaxis, aber doch für meinen Geschmack zu nahe. Was bei einer so kleinen Galaxis andererseits auch nicht verwundern kann.«
»Was für die Besatzungsmitglieder der RAS TSCHUBAI oder uns Cairaner naheliegend ist«, sagte Shaupaard, »ist irrelevant. Die Psyche der Phersunen funktioniert offenbar anders.«
*
An den folgenden Einsatzbesprechungen nahm Pen Assid ebenfalls teil. Cascard Holonder hatte Shaupaards Wünschen letztlich nachgegeben, da Icho Tolot und ANANSI die Annahmen und Behauptungen des Cairaners bestätigt hatten.
Begeistert hatte der Ertruser sich dennoch nicht gezeigt, bestand das Team doch ausschließlich aus Zivilisten. Tolot hatte jedoch versprochen, sie möglichst aus jeder Gefechtssituation herauszuhalten.
Gry O'Shannon hatte man nicht überreden müssen. Pen war dabei gewesen, als die Terranerin aus der Suspension geholt worden war. Nachdem sie die Verwirrung abgeschüttelt hatte, die das Erwachen aus dem traumreichen Schlaf mit sich brachte, hatte sie sofort zugestimmt.
Direkt im Anschluss hatten die Spezialisten sie in einen mobilen Alkoven verlegt und wieder in Suspensionsschlaf versetzt. Das Gerät war kompakter als die fest verankerten Versionen, wies jedoch eine kürzere Betriebszeit auf. Eine Möglichkeit des Wiederaufladens existierte außerhalb der RAS TSCHUBAI nicht.
Die Aktion schien nicht zu einer Ortung geführt zu haben. Phersunenschiffe waren nicht entdeckt worden. Doch Tolot und Holonder warnten die Besatzung davor, sich in Sicherheit zu wiegen.
Den Alkoven hatte der Haluter persönlich auf die ZALTERTEPE-Jet gebracht, die als Transportvehikel für die Mission erkoren worden war. Die ZALTERTEPE-Jets waren moderne Spezialraumer für Erkundung und verdeckten Einsatz. Diese gehörte ursprünglich zum OXTORNE-Kreuzer STARTAC SCHROEDER, der seit der Modernisierung der RAS TSCHUBAI in einer der acht halbkugelförmigen Andockbuchten verankert lag.
Sobald die RAS TSCHUBAI in der Nähe des Zielsystems Suzny angekommen war, würden sie die Space-Jet betreten und ausschleusen. Tolot übernahm das Missionskommando, Pen den Funk und die Ortung. Jalland Betazou fungierte als Grau-Späher. Wavalo Galparudse betreute die leistungsstarken Transmitter, die für den Fall installiert wurden, dass ihr Team in Schwierigkeiten geriet. Eine zweite ZALTERTEPE-Jet würde mit den Gegenstationen am Rand des Suznysystems zurückbleiben.
Bru Shaupaard musste, kurz bevor die RAS TSCHUBAI ihren Standort im Ortungsschatten einer Sonne nahe Suzny erreichte, wegen des Sextadim-Spans ebenfalls in Suspension gehen. Tolot hatte weiterhin beschlossen, O'Shannon und den Cairaner erst auf dem Zielplaneten zu wecken.
Es hatte Pen verblüfft, dass sich Shaupaard anstandslos gebeugt hatte. Offenbar vertraute er Tolot, nachdem sich dieser für seine Nominierungen des Teams stark gemacht hatte.
»Mir schmeckt es noch immer nicht«, sagte Holonder zu Tolot, als sie die erste Linearetappe begannen, »dass du trotz der phersunischen Übermacht keinen Fachmann für die Waffensysteme mitnimmst.«
Pen hatte darüber ebenfalls nachgedacht, sich aber darauf verlassen, dass der Haluter die richtigen Entscheidungen traf. Er war der Experte und hatte in den vergangenen Jahrtausenden ungezählte Risikoeinsätze absolviert.
»Zu einem Gefecht darf es ohnehin nicht kommen«, sagte Tolot. »Sollte man uns entdecken, wäre sicherlich eine ganze Flotte von Phersunen hinter uns her. Uns bliebe nur die Flucht.« Er tippte sich an den halbkugelförmigen Kopf. »Aber in diesem Fall kann ich dank meines Planhirns auch die Gefechtssteuerung übernehmen.«
5.
Shukkner
Natürlich prangten die Sterne längst am Himmel, als sie Bossonu endlich erreichten. Die Stadttore waren verschlossen.
Shukkner fluchte. Er sprang aus der Fahrerkabine, spie das fade gekaute Halmkraut auf das unebene Pflaster und lief zur vergitterten Sichtluke neben den mächtigen Torflügeln.
Der Dovoin klopfte an die Fensterläden, dass es schepperte. Augenblicke später öffnete sich die Luke, und ein mürrisches Gesicht mit entzündeter Riechspalte erschien. Der Torwächter sah ihn aus geröteten Augen an. Das Sehorgan links der Spalte war trüb und von Narbengewebe umringt.
»Was willst du ...« Er warf einen Blick auf Shukkners bronzene Halskrause, die mit den Zeichen seines Berufsstands verziert war. »... Henker?«
»Ich hoffe auf deine Gnade für meine Verspätung, Wächter. Ich hatte eine Panne und konnte Bossonu deshalb nicht vor Sonnenuntergang erreichen.«
Shukkner machte einen Schritt zur Seite, damit der Torwächter einen Blick auf sein Gefährt werfen konnte. Der Halbblinde beäugte den Schornstein der Räucherkammer und witterte. Die entzündeten Riechschwämmchen pulsierten.
»Du stellst Würste her?«
»Ja, Wächter.«
»Dein Name?«
Shukkner strich sich zufrieden über den Bauch. Viele fahrende Händler und Handwerker stellten Lebensmittel her, um in den Gegenden fern der Städte und Dörfer nicht auf Vorräte angewiesen zu sein, die sie teuer erwerben mussten.
»Mein Name ist Shukkner.«
Erkennen glomm im gesunden Auge des Wächters auf. Ein anerkennendes Bellen entwich dem Luftmund. Shukkners Ruf und der seiner Zunft waren in Bossonu also intakt.
»Deine Wurst genießt ein gewisses Ansehen«, stellte der Wächter fest. »Gegen die Entrichtung einer Aufwandsentschädigung kann ich dich tatsächlich noch einlassen.«
»Das ist sehr gütig.«
»Vier Schlitzmünzen, dann du kannst reinfahren. Und zwei Würste, damit auch mein Partner zufrieden ist und mich nicht anschwärzt.«
Shukkner zahlte und wünschte Klurn die Nässfäule in die Riechspalte. Die Trägheit des Sklaven hatte ihn den halben Ertrag einer Hinrichtung gekostet.
*
Der Anblick einer Stadt erfreute und erschreckte Shukkner immer wieder zugleich.
Freude wärmte ihm den Bauch, wenn er an die zahlreichen Klienten dachte, denen er ein schnelles und schmerzfreies Lebensende durch sein scharfes Fallbeil schenken würde.
Schrecken ergriff Shukkner vor der schieren Wucht der Stadt. Er war freies Land gewöhnt, weite Prärien, frische Luft und Sonnenschein. In Bossonu gab es so gut wie nichts davon.
Häuser aus Stein und Holz schienen wahllos übereinandergestapelt, um der Unmenge an Dovoin Herr zu werden. Selbst die Brücken waren bewohnt. Über bis zu zwanzig Ebenen verteilt verbanden sie Gebäude und Hochstraßen miteinander – oder führten ins Nichts.
Wäsche hing an Leinen vor den winzigen Fenstern. Flackerndes Licht drang durch die oftmals blinden Scheiben, und Stimmengewirr schwappte auf die Verkehrswege hinab.
Die Kanalisation war von Unmengen an Fäkalien deutlich wahrnehmbar überlastet. War eine Wohnung nicht daran angeschlossen, schütteten die Bewohner ihre Notdurft auf die Straße in die Rinnen.
Shukkner lenkte seinen Wagen durch das Gewimmel. Mehr als einmal platschte eine stinkende Flüssigkeit auf die Kupferplatten der Karosserie. Klurn würde einige Zeit investieren müssen, das Gefährt wieder auf Hochglanz zu polieren, damit er einen guten Eindruck auf die Kundschaft machte.
Darauf bedacht, den Fäkalienstürzen zu entgehen, streckte Shukkner den Kopf aus dem Seitenfenster. Die Sterne waren nicht zu sehen. Ähnlich würde es sich am nächsten Tag in den engen Straßenschluchten