Perry Rhodan

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)


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Onryone genannt hatte. Ihre Augen weiteten sich, als sie tatsächlich den grauen Schleier entdeckte. Langsam wanderte er aus ihrem Blickfeld, während die Librotron-Triebwerke die RAS TSCHUBAI umlenkten.

      Eine Gänsehaut lief Pen über den Rücken, vom Nacken bis zum Gesäß. Sie spürte ein Zupfen unter der Schädeldecke, einen Sog, als stünde sie am Rand einer Klippe und starrte in den wellenumtosten Abgrund. Es kostete Pen mehr Willensstärke als erwartet, den Schritt zurück zu machen und sich von der Klippe zu entfernen. Endlich gelang es ihr, die Augen zu schließen.

      »Ausweichmanöver erfolgreich«, meldete Betazou.

      Pen zwang den Blick fort vom All und sah nun wieder den Onryonen an. Schweiß perlte ihm vom dichten Kopfhaar über die Horchhaut an den Schläfen die lackschwarzen Wangen hinab. Seine Hände hatten sich um die Armlehnen des Kontursessels gekrallt und lösten sich zögerlich davon.

      Eine halbe Stunde saß Pen schweigend neben Betazou, der weiterhin konzentriert ins All spähte, und wartete auf sein Schichtende. In Gedanken bereitete sie sich auf das kommende Gespräch vor.

      Pen hatte viele Unterhaltungen mit den Galaktikern der neuen Zeit geführt. Sie selbst stammte aus dem 16. Jahrhundert NGZ; für sie war der Sprung ins 21. wie im Schlaf vergangen, einem traumreichen Schlaf.

      Wirr. Beunruhigend. Suspensionsschlaf.

      Die gesamte Besatzung der RAS TSCHUBAI hatte in den Suspensionsalkoven gelegen, entstofflicht, aber nicht abgestrahlt. Sie waren im immateriellen Zustand stationär gebunden gewesen, um den Auswirkungen des Chaotemporalen Gezeitenfeldes zu entgehen, das sie hatten durchfliegen müssen.

      Als Pen neben ihren Kollegen erwacht und aus dem Alkoven gestiegen war, hatte sie fast 500 Jahre verschlafen. Sie befand sich nun zunächst in einer Milchstraße, die fremd für sie war. Eine ferne Galaxis wie Ancaisin konnte sich kaum fremder anfühlen wie eine Heimat, in der so viel Vertrautes nicht mehr dasselbe oder sogar völlig verschwunden war; so wie Terra.

      Pen spürte beim Gedanken daran einen Stich in der Herzgegend. Tränen füllten ihre Augenwinkel und liefen ihr die Wangen hinab. Die Trauer zuzulassen, wenn sie allein war und der Schmerz nach ihr griff, hatte sich als heilsam erwiesen. Die Psychologen hatten recht behalten.

      Und in diesem Moment war sie allein. Betazou ging derart in seiner Aufgabe auf, dass er nicht als Gesellschaft zählte, solange er ins All spähte.

      Pens Verwandte, ihre Freunde und Bekannten waren alle längst tot. Selbst ihre Heimatwelt Terra war verschwunden. Terra war zum Mythos geworden. Gemeinsam mit Luna war die Wiege der Menschheit beim Raptus-Ereignis durch zwei andere Himmelskörper ersetzt worden. Fast identische. Fast.

      Das Schott an der Rückwand öffnete sich mit einem leisen Zischen. Ein Rechteck aus Licht stanzte sich ins Dunkel des Observatoriums.

      Der Grau-Späher, der Betazous Stelle übernahm, war Terraner. Er räusperte sich und tippte dem Onryonen auf die Schulter. Zögerlich löste der sich vom Anblick der Sterne und machte Platz. Seine Ablösung erhöhte die Helligkeit des Raums ein bisschen und ließ sich leise arkonidische Kristallmusik einspielen. Die Grau-Späher bevorzugten offenbar unterschiedliche Umgebungen, um konzentriert nach Vektormaterie zu suchen.

      Pen sah sich um. Der Raum war für ihre Absichten gut geeignet. Die Sitzmöbel, die an der halbrunden Wand verteilt standen, waren unbesetzt und die holografischen Arbeitsstationen desaktiviert. Nichts, was Betazou von ihrem Gespräch ablenken würde.

      »Stört es dich, wenn wir einen Moment hier sitzen bleiben?«, fragte Pen den diensthabenden Grau-Späher. Der Terraner schüttelte stumm den Kopf, ohne sie anzublicken. Seine Aufmerksamkeit galt dem Weltraum.

      Betazou winkte einen weiteren Kontursessel herbei. Pen positionierte ihren schräg versetzt zu dem Betazous und aktivierte ein akustisches Dämpfungsfeld.

      »Ich habe schon mit vielen unserer Neuzugänge gesprochen, die auf Rudyn zu uns gestoßen sind«, begann sie.

      »Ich weiß«, sagte Betazou. »Wir beide hatten bereits das Vergnügen.«

      Pen lächelte. Sie beugte sich dem Onryonen entgegen. »Genau, wir haben uns noch vor der Ankunft in Ancaisin unterhalten. Col Tschubai hatte mich darum gebeten, ein wenig mehr über die Neuankömmlinge zu erfahren, eine Vertrauensbasis zu schaffen und sie besser ins Bordleben zu integrieren.«

      Col Tschubai war der Sprecher des von den Besatzungsmitgliedern gewählten Bordrats. Dieser beriet die Schiffsführung und verfügte über Einspruchsrecht, solange die RAS TSCHUBAI sich nicht in einem akuten militärischen Einsatz befand.

      »Dabei habe ich von Anfang an keinen Hehl daraus gemacht, bei Bedarf meine leichte Paragabe des suggestiven Zuhörens anzuwenden«, sagte Pen. »Schließlich bin ich nur wegen dieser Begabung für die Aufgabe ausgewählt worden. Normalerweise kommuniziere ich als Mitglied des Diplomatischen Corps mit Fremdwesen.«

      »Ich bin ein Fremdwesen.« Betazou grinste, doch es geriet schief. Die Erschöpfung, die eine Schicht Grau-Spähen unweigerlich mit sich brachte, war ihm ins Gesicht geschrieben.

      Pen schmunzelte. »Nun ja, in gewisser Weise schon. In der Zeit, aus der ich stamme, waren Onryonen noch kritisch beäugte Neuankömmlinge in der galaktischen Gemeinschaft. Aber das ist fast 500 Jahre her.«

      »Wie dem auch sei; falls du darauf hinaus möchtest, ob ich etwas dagegen habe, dass du deine Gabe bei mir einsetzt, lautet meine Antwort immer noch: nein. Obwohl es unnötig ist, ich vertraue dir bereits. Aber wenn du dich ohne deine Gabe unzulänglich vertrauenswürdig fühlst, tu dir keinen Zwang an.«

      Einen Augenblick lang fühlte Pen sich herabgewürdigt. So hatte sie über ihre Parafähigkeit und sich selbst nie gedacht. Es war auch nicht ganz zutreffend, wie der Onryone es beschrieben hatte: Sie übte auf jeden Gesprächspartner diese Wirkung aus.

      »Hat sich bisher jemand dagegen ausgesprochen, unter diesen Umständen mit dir zu reden?«, fragte Betazou.

      »Wenige. Ganz im Gegenteil suchen viele Besatzungsmitglieder regelrecht den Kontakt, auch die altgedienten. Es tut ihnen gut, sich ihre Sorgen von der Seele zu reden. In den meisten Fällen habe ich nicht einmal von meiner Gabe Gebrauch machen müssen.«

      »Erinnerst du dich bei all den Gesprächen noch daran, worüber wir gesprochen haben?«

      »Meist über dein Fachgebiet als Habitat-Botaniker – Blumen hier, Bäume da, Sträucher dort.«

      »Ich scheine einen bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben.«

      »Heute interessiert mich etwas anderes, von dem ich glaube, dass es dich belastet. Col Tschubai und die Schiffsführung baten mich deshalb darum, das Gespräch mit dir zu suchen.«

      »Die Vektormaterie.« Betazou nickte in menschlicher Manier. »Ich bin zu wichtig, um ausfallen zu dürfen.«

      Pen zuckte die Achseln. »Das sicher auch. Mir liegt in erster Linie daran, dir zuzuhören. Das ist mein Talent, wie du weißt.«

      »Ich rede nicht gerne darüber.« Betazou knetete eine Hand mit der anderen. Sein Emot auf der Stirn leuchtete in einem unangenehm berührten Ockerton. »Die Horchhaut der Quantam hilft mir, die Vektormaterie besser wahrzunehmen. Das ist ein Gefühl, das ich niemandem wünsche. Ich glaube nicht, dass es mir hilft, mit einer Unbeteiligten darüber zu reden.«

      »Gibt es keine anderen Grau-Späher, mit denen du deine Sorgen teilen kannst?«

      »Die anderen Grau-Späher nehmen die Vektormaterie nicht so wahr wie ich. Die einzige Person, mit der ich mich tatsächlich auf einer ähnlichen Ebene unterhalten konnte, war Gry O'Shannon. Erst recht, nachdem sie die Abyssale Dispersion durchlaufen hatte.«

      »Und Gry ist unerreichbar.«

      Betazou lächelte traurig. »Genau.«

      *

      »Die Frau in Lila«, begrüßte Bru Shaupaard sie im Suspensionssaal auf Deck 16-01, nahe der Zentrale. Der Cairaner stand vor der Doppelreihe mit zwei Dutzend Suspensionskammern. »Hast du es noch immer nicht aufgegeben,