Perry Rhodan

Perry Rhodan-Paket 62: Mythos (Teil2)


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Tiere mussten den Wagen antreiben, denn die Leistung der Dampfmaschine würde die Schlammräder nur tiefer in den Morast graben. Die Blyuden vereinten Kraft und Feinfühligkeit, um das schwere Gefährt sicher durch die Niederungen der Hügel zu ziehen.

      Shukkner legte den Kopf in den Nacken, reckte den Hals und streckte den runden Rücken. Er nahm die Schmerzen der unnatürlichen Bewegung in Kauf, um in den wolkenlosen Himmel zu sehen, und blickte zum Horizont. Oft trieben Meereswinde aus Nordwesten überraschend Wolken ins Landesinnere. Über den Hügeln der Morgennebel gingen sie zum ersten Mal nieder.

      Suzny verließ bereits den Zenit. Sie könnten es mit Glück schaffen, die Hügellandschaft vor Anbruch der Dunkelheit hinter sich zu lassen, falls es nicht regnete. Die Stadt Bossonu wartete auf sie. Dort galten Traditionen noch etwas, dort hatte Shukkner bisher immer Klienten gefunden.

      Doch dies war nicht die einzige Verheißung, der er entgegenfieberte.

      *

      Shukkner strich den Blyuden über die oberen Gelenke ihrer sechs Beine. Das ungestüme Jungtier bebte, denn der frische Winterflaum ließ den Blyuden jede Berührung doppelt intensiv erleben. Das zweite Tier hatte sich vor drei Tagen bei einem Steinsturz in der Glasschlucht verletzt. Unter den Federresten sah man den Gelenkpanzer, der an einigen Stellen gebrochen war.

      Shukkner spie Schachtelhalmsud in die Hand, vermischte ihn mit Tau, den er vom Grasboden aufnahm, und rieb die Mixtur auf die Verletzung. Er schwor auf die entzündungshemmende Wirkung des Hausmittels.

      Der Blyude zischte dankbar. Shukkner klopfte ihm auf die sensible Stelle zwischen den sechs Facettenaugen. Das Tier war alt. Die Vorderläufe mussten nicht zusammengebunden werden, weil sie längst verkümmert waren. Trotzdem leistete das Tier ihm gute Dienste.

      Ganz anders verhielt es sich mit Klurn. Der mürrische Kerl war altersschwach und als Sklave kaum mehr zu gebrauchen.

      Shukkner stapfte am Dampfwagen vorbei und lehnte sich gegen die abgerundete Strebe der rechten Hecksäule. Nachdenklich rieb er sich über die Kopfrinne. Er benetzte die Riechschwämmchen mit den Überresten des Schachtelhalmsuds, um nicht die modrig-säuerlichen Ausdünstungen ertragen zu müssen. Selbst der alte Blyude roch angenehmer als der Sklave.

      »Beeile mich ja schon, Herr«, murmelte Klurn, als er ihn bemerkte. Shukkner kannte keinen zweiten Dovoin, der so lethargisch war.

      Der Gruzz mochte wissen, warum Klurn bei ihm blieb. Shukkner schonte ihn niemals. Dabei hätte der Sklave die Wege freier Dovoin gehen können, seitdem er vor zehn Sonnenumläufen oder mehr zu den Feuerbekämpfern der Stadt Zakulkis gehört hatte.

      In Zakulkis hatten Shukkner und Klurn die besten Jahre ihres Lebens verbracht. Die Gesetze waren so strikt und die Bewohner so verdorben gewesen, dass ein Henker kaum mit der Vollstreckung der Urteile hinterherkam. Doch im zweiten Jahr ihres Aufenthalts war eine Feuersbrunst ausgebrochen. Klurn hatte zehn freie Dovoin vor dem sicheren Tod gerettet und dafür die Freiheit erhalten.

      Shukkner hatte die Stadt verlassen. Der Blutzoll der Flammen war so hoch ausgefallen, dass die Stadtoberen kaum ein Verbrechen mehr mit dem Tod oder der Verstümmelung bestrafen konnten.

      Seltsamerweise hatte Klurn sich ihm wie selbstverständlich angeschlossen, statt seiner eigenen Wege zu gehen. Er hatte auf Shukkners Fragen nach dem Grund nie geantwortet.

      »Bin bald fertig mit den Rädern, Herr«, versicherte Klurn, als Shukkner keine Anstalten machte sich wieder in die Fahrerkabine zu setzen. »Dann lege ich den Blyuden das Geschirr an und spanne sie vor den Wagen.«

      Der freie Sklave griff unter die hölzerne Halskrause und kratzte sich. Shukkner hatte in das Sklavenzeichen zumindest Symbole eingeritzt, die erklärten, dass Klurn frei war und weshalb. Vielleicht erbarmte sich irgendwann einmal eine alte Witwe und nahm ihn zu sich.

      Dann konnte Shukkner sich endlich einen neuen Sklaven anschaffen, denn zwei schickten sich nicht für einen Henker wie ihn.

      2.

      Pen Assid

      9. November 2046 NGZ

      Penelope Assid kniff die Augen zusammen. Im Observatorium war es dunkel, nur die Sterne hinter dem Teleskop spendeten Licht.

      »Zunächst ist der Weitwinkel wichtig, Pen«, erläuterte Jalland Betazou. Die RAS TSCHUBAI beendete die Linearetappe und kehrte aus der Librationszone in den Einsteinraum zurück.

      Pen suchte nach einem bestimmten Objekt. Zugleich scheute sie sich davor, es zu finden. Dabei war ohnehin unwahrscheinlich, dass sie die grauen Schleier der Vektormaterie entdeckte, bevor Betazou seine Warnung aussprach. Es war schwierig, sich nicht auf die Sicherheit moderner Technologie, sondern auf reine Sicht und simple Teleskope verlassen zu müssen.

      »Warum der Weitwinkel?«, fragte Pen.

      Der Onryone saß neben ihr und sah angestrengt ins All. Sein Emot glomm orangefarben, Zeichen seiner Konzentration. Hin und wieder verstellte er die Brennweite des Teleskops.

      »Es kann sein, dass wir kurz nach dem Wiedereintauchen in den Einsteinraum auf Vektormaterie stoßen«, antwortete Betazou.

      Von anderen Stellen der RAS TSCHUBAI aus spähten weitere Besatzungsmitglieder ins All, die sensibel auf Vektormaterie reagierten.

      Grau-Späher.

      Die Emotionauten der RAS TSCHUBAI würden ohne merklichen Zeitverlust auf Warnungen der Grau-Späher reagieren und den Kurs des Raumschiffs ändern. Zögern bedeutete den Tod für die Besatzung.

      Die Annihilation.

      Pen fuhr sich durchs Haar; die Finger zitterten.

      Nachdem Betazou das direkte Umfeld der RAS TSCHUBAI überprüft hatte, konzentrierte er sich auf die höhere Brennweite. Er sah in Flugrichtung in die Ferne. »Wir müssen selbst beim Orientierungsstopp im Leerraum zwischen den Sonnensystemen wachsam sein. Irrläufer, Dunkelwelten, Asteroiden oder kosmischer Staub könnten dort annihiliert worden sein.«

      Annihiliert hörte sich für Pens Geschmack zu harmlos an. Es bedeutete, aufgelöst zu werden, zu existieren aufzuhören, jegliche Masse zu verlieren, um als grauer Schleier zu bestimmten Koordinaten der Galaxis Ancaisin zu streben.

      Dorthin, wo von den Phersunen die Abyssalen Triumphbögen errichtet worden waren.

      Dorthin, wo diese Vektormaterie zur Kandidatin Phaatom weitergeleitet wurde, um sie zu nähren.

      Die Kandidatin Phaatom: Herrin der Phersunen, Feindin und Verderberin der VECU, persönlicher Gegenspieler einer Kosmokratin; selbst eine Macht des Chaos, die sich anschickte, ihre bisherige Existenzebene zu verlassen – vermutlich die einer Materiesenke – und die einer Chaotarchin zu erklimmen. Die Galaktiker wussten zu wenig Gesichertes, konnten die wenigen Informationen nur auf Basis bisheriger Erfahrungen mit den Hohen Mächten extrapolieren.

      Selbst die Graue Materie – die Vektormaterie oder Phaatom-Nahrung oder welche Namen sonst noch kursierten – war nur näherungsweise analysiert und in begreifbare Gedankenmodelle gefasst worden. Die Wissenschaftler, allen voran Sichu Dorksteiger und Gry O'Shannon, hatten zwei Theorien entwickelt. Ihnen gemeinsam war, dass sie an eine Manipulation der Higgs-Teilchen durch die Phersunen glaubten. Grob gesagt: Dadurch verlor Materie ihre Masse, und ihre Photonen degenerierten – die grauen Schleier entstanden.

      Pen hatte insbesondere einen Teil der beiden Annahmen verinnerlicht: Vektormaterie war unnatürlich, ein fremdes Element in diesem Universum. So fühlte es sich auch an, wenn man sie zu sehen bekam.

      »Achtung, Vektormaterie auf ...« Betazou rasselte Koordinaten herunter und nannte die Entfernung, in der die grauen Schleier sich mit bis zu Lichtgeschwindigkeit durchs All bewegten.

      Die Horchhaut der Quantam an Betazous Schläfen und Nacken zitterte. Das schmutzig grüne moosähnliche Pflanzengeflecht war dem Habitat-Biologen der RAS TSCHUBAI implantiert worden, um es zu erforschen. Ein unverhoffter Nebeneffekt war, dass er dadurch Vektormaterie besser wahrnehmen konnte.

      Wie