wie in der ambulanten Einzeltherapie wird auch in der Klinik viel gesprochen, aber einige der Therapien haben auch erhebliche non-verbale Anteile, z. B. Musik-, Kunst- und Kreativtherapie, Ergotherapie, Tanz- und Bewegungstherapie usw. Je nach Profil der Klinik, Abteilung bzw. Station sind Umfang und Dauer der vorgesehenen Therapie zumindest bei Behandlungsbeginn nicht unbedingt festgelegt, vor allem im Akutbereich.
Ein weiteres wichtiges Merkmal stationärer und teilstationärer Behandlungen ist es, dass die Patientinnen und Patienten meist eine sehr hohe Symptombelastung aufweisen, z. B. akute Suizidalität, Wahnerleben, starke Konzentrationsstörungen usw. Bei Menschen mit chronischen Erkrankungen spielen häufig krankheits- und behandlungsassoziierte Gefühle und Verhaltensweisen, wie Resignation, Hoffnungslosigkeit, Ärger, ausgeprägtes Rückzugsverhalten bis zur sozialen Isolation oder starke Identifikation mit der Krankenrolle, eine wichtige Rolle. Oft suchen diese Patientinnen und Patienten in Kliniken und Tageskliniken nicht (nur) aus sich heraus und gezielt eine Behandlung auf – wie es bei ambulanten Patientinnen und Patienten mit höherem Funktionsniveau im Alltag häufiger der Fall ist – sondern »landen« gewissermaßen per Einweisung oder durch Vermittlung von Angehörigen und sonstigen Hilfspersonen in einer Klinik oder Tagesklinik, wo ihnen nun geholfen werden soll.
Um Ansatzpunkte und Ideen für die konkrete Umsetzung von ACT in zum Teil herausfordernden Situationen im klinischen Rahmen zu geben, wird in diesem Kapitel beispielhaft auf solche Situationen eingegangen, die aus der klinischen Erfahrung im stationären und teilstationären Alltag als »prototypisch« für Klinikbehandlungen angesehen werden können. Die Auswahl der Situationen hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern fokussiert auf bestimmte Situationen, die gehäuft auftreten und eine Schlüsselrolle für das Gelingen einer (teil-)stationären Behandlung spielen können.
4.2 InterACTion: Wie sieht die Gestaltung alltäglicher Situationen nach ACT in Klinik und Tagesklinik konkret aus? – Praktische Beispiele
4.2.1 Die (teil-)stationäre Aufnahme
Eine Klinikaufnahme stellt für viele Betroffene ein einschneidendes Ereignis dar. Ambulante Angebote haben bisher keine ausreichende Besserung gebracht oder waren nicht verfügbar, die Situation scheint ausweglos, die Patientin oder der Patient selbst und/oder das unmittelbare Umfeld weiß nicht mehr weiter. Der erste Kontakt mit dem therapeutischen Team der jeweiligen Abteilung oder Station – sei es zum Vorgespräch oder direkt zur Aufnahme – erfolgt meist über das Pflegepersonal. Seltener ist es, dass Patientinnen und Patienten direkt und als erstes die Ärztin bzw. den Arzt oder die Psychologin bzw. den Psychologen sprechen. Welche Berufsgruppe für den Erstkontakt zur Verfügung steht ist nicht entscheidend: die Haltung und das Vorgehen der ACT lassen sich berufsgruppen-übergreifend von Beginn an nutzen.
Praktische Hinweise für die Aufnahmesituation
Stellen Sie sich selber vor bzw. beim Erstkontakt mit einer Patientin oder einem Patienten dieselben Fragen, die Sie auch Ihrem Gegenüber stellen würden (siehe unten). Dabei ist es unerheblich, mit welchem Problem die Patientin oder der Patient zu Ihnen kommt oder welcher Interaktionsstil im Kontakt vorherrschend ist. Ziel ist, dass Sie Ihren inneren Kompass im Blick behalten:
• Wer oder was ist Ihnen wichtig? – Die Wertefragen bedeuten in diesem Fall z. B.: Was will ich dieser Person vermitteln, was soll sie durch den Kontakt mitnehmen?
• Welche (inneren) Barrieren tauchen auf? – Hier geht es um eigene schwierige Gedanken, Gefühle oder Körperwahrnehmungen, die im Kontakt mit der Person auftauchen (z. B. Irritation, Ärger, Ratlosigkeit etc.).
• Was tun Sie, um diesen inneren Barrieren aus dem Weg zu gehen oder dagegen anzukämpfen? – Unsere Reaktionen können sehr individuell und von Situation zu Situation verschieden sein, z. B. bei Irritation schneller zu reden oder in »Fachchinesisch« zu verfallen, bei Ärger kurz angebunden zu reagieren etc.
• Was tun Sie, um Ihren eigenen Werten zu folgen, auch wenn diese Barrieren präsent sind? – Dies kann darin bestehen, mit einem Wert für das eigene berufliche Handeln bewusst Kontakt aufzunehmen – z. B. »für Andere hilfreich sein« – und sein Verhalten daran auszurichten, z. B. sich der Körpersprache der Patientin oder des Patienten bewusst anzupassen, sich gezielt in die Perspektive der Person hineinzuversetzen und diese zu validieren, auch unter Zeitdruck ruhig zu sprechen etc.
Praktisches Beispiel
Schwester K. empfängt Herrn L. (74 J.), der wegen langjähriger Depression mit Rückzug und sozialer Isolation auf die Station aufgenommen wird. Schwester K. ist es wichtig, dass Patientinnen und Patienten sich auf ihrer Station willkommen fühlen. Sie möchte ihnen als Pflegekraft Unterstützung geben und Mut, den eigenen Weg wieder zu finden. Sie weiß, dass sie aufgebracht reagiert, wenn sie den Eindruck hat, dass Patientinnen und Patienten nicht »richtig mitmachen« wollen und dann anfängt zu argumentieren oder auf die Regeln zu pochen. Da dies aber nach ihrer Erfahrung oft zum Gegenteil des gewünschten Erfolgs führt, versucht sie, sobald sie dieses Verhalten bemerkt, bewusst einen »inneren Schritt zurück zu treten«, die Situation der Patientin oder des Patienten zu validieren und zu signalisieren, dass die Entscheidungsfreiheit bei ihr oder ihm liegt.
Schwester K.: Guten Tag, Herr L., willkommen auf unserer Station.
Herr L.: Ja, guten Tag.
Schwester K.: Sie sind zum ersten Mal hier bei uns?
Herr L.: (einsilbig) Ja.
Schwester K.: Ist es okay, wenn wir beide erstmal zusammen den Aufnahmebogen ausfüllen und dann zeige ich ihnen die Station?
Herr L.: Ich weiß nicht. Ich fühle mich zu nichts imstande. Kann ich mich nicht irgendwo hinlegen?
Schwester K. (Nimmt wahr, dass Ärger in ihr aufsteigt, sie diesen wieder loswerden will und dass sie den Impuls hat, Herrn L. streng zu sagen, dass der Bogen jetzt gleich ausgefüllt werden müsse. Ihre Erfahrung sagt ihr gleichzeitig, dass diese Reaktion sie ggf. von dem wegführt, was ihr in ihrer beruflichen Tätigkeit wichtig ist (etwa dem Wert, »hilfreich und wirksam sein«). Sie entscheidet sich deshalb bewusst dafür, zunächst den Kontakt zum Patienten zu verbessern. Dies gelingt oft z. B. durch Perspektivübernahme im Sinne einer validierenden Rückmeldung): Herr L., ich sehe, dass ihnen dies hier sehr schwerfällt. Es muss eine große Überwindung für sie sein, überhaupt hierher zu kommen.
Herr L.: Das können sie wohl glauben.
Schwester K.: Davor habe ich wirklich großen Respekt. Was hat ihnen denn geholfen, sich zu überwinden und trotz dieser Erschöpfung hier in Behandlung zu kommen?
Herr L.: Das weiß ich selber nicht. Ich glaube nicht wirklich, dass sie mir hier helfen können.
Schwester K.: Wenn ich mich in ihre Lage versetze, so fühlt sich das bestimmt sehr schlimm an, nicht zu wissen, was mich eigentlich hierher bewegt und auch nicht zu glauben, dass es Hilfe gibt.
Herr L. schaut überrascht, wirkt aber berührt und nickt.
Schwester K.: Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?
Herr L. nickt erneut.
Schwester K.: Mir ist es wichtig, dass wir ihnen hier so gut wie möglich helfen. Auch wenn das bedeutet, dass wir erst einmal genau schauen müssen, wohin es eigentlich gehen soll, weil sie es selbst im Moment gar nicht mehr wissen. (Pause, der Patient hat Zeit zum Nachdenken, fühlt sich nicht überrumpelt!) Ich sehe auch, dass ihnen vieles sehr schwerfällt. Mein Vorschlag ist deshalb: lassen sie uns beide erst einmal mit dem Fragebogen anfangen. Das ist ein erster Schritt und wir schauen, wie weit wir kommen. Und sie signalisieren mir, wenn sie eine Pause brauchen, okay?
4.2.2 Die (erste) Visite
Wenn die erste Visite einer neu aufgenommenen Patientin oder eines Patienten von einer positiven Grundstimmung und einer engagierten Arbeitsatmosphäre geprägt ist, werden die Weichen in Richtung einer erfolgreichen Behandlung gestellt. Nur ist dies leider keineswegs immer der Fall. Oft werden in