Matthias Koch

Torsten Mattuschka


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in der Klasse hat, wird es für die Lehrer nicht einfacher.“ Die neunte Klasse wiederholt Mattuschka erfolgreich an einer anderen Schule. 1998 geht für ihn nach der zehnten Klasse die Schulzeit zu Ende.

      2001 berichtet die Sport Bild, dass Mattuschka auch mangels sportlicher Perspektive die Sportschule und den Verein verlassen musste. Die Ausbootung bei Energie ist in dem Artikel mit dem Jahr 1994 zeitlich nicht korrekt wiedergegeben, weil sie tatsächlich erst 1996 stattfand. Aber vielleicht gab es ja neben den schulischen Problemen auch eine sportliche Talsohle?

      Zumindest der Übergang vom Klein- zum Großfeld fällt Mattuschka wohl nicht leicht. Auf Fotos von seiner Jugendweihe 1995 wirkt Mattuschka noch sehr bubenhaft. „Ich war kaum größer als meine relativ kleine Oma. Ich bin erst später geschossen“, sagt der heutige 1,86-Meter-Mann Mattuschka.

      KAPITEL 4

       Wilde Jahre in Merzdorf und Dissenchen

      Zurück in Merzdorf

      Nach seiner Ausbootung beim FC Energie Cottbus bricht für den 15 Jahre alten Torsten Mattuschka eine kleine Welt zusammen. Zu allem Überfluss soll er im Sommer 1996 auch noch zu Lok Cottbus wechseln, dem zweitgrößten Verein der Stadt. Dort werden jene Spieler geparkt, für die es bei Energie aus unterschiedlichen Gründen nicht gereicht hat. „Ich hatte aber keinen Bock darauf, zu Lok zu gehen. Ich wollte lieber mit meinen Jungs in Merzdorf zusammen spielen“, erzählt Mattuschka. „Ich habe mit Absicht meinen Pass nicht bei Lok abgegeben. Dadurch bekam ich eine Sperre und bin dann nach Merzdorf gegangen.“

      Beim FC Energie trainierte Mattuschka mindestens viermal in der Woche, in Merzdorf gibt es in der Regel nur zwei Einheiten wöchentlich. „Der große Fußball war damit für mich eigentlich gegessen“, schaut Mattuschka zurück.

      Zwei Spielzeiten kickt er dort, wo seine Laufbahn 1988 begann: 1996/97 in der B-Jugend und 1997/98 im ersten A-Jugend-Jahr. Allerdings heißt sein Heimatverein seit der Wende nicht mehr Aufbau Merzdorf, sondern SV Rot-Weiss Merzdorf. Bei den A-Junioren ist Peter Müller sein Coach. Mattuschka scheint sein Verhalten nicht geändert zu haben. „Er war bei uns der Mannschaftskasper. Er sorgte immer für Belustigung“, sagt der bis heute in Merzdorf lebende Müller. Auch sportlich ist auf Mattuschka weiter Verlass. Er schießt Tor um Tor. Müller meint, dass Mattuschka die gute Technik ein bisschen im Blut gelegen habe: „Er war der Einzige weit und breit, der so etwas besaß – auch bei Freistößen. Da war er fast einmalig.“

      Das Unheil naht aber aus dem Nachbardorf. Der SV Dissenchen buhlt um die Dienste von Torsten Mattuschka. Müller: „Was zwischen Merzdorf und Dissenchen abging, hat generell für Unruhe gesorgt.“ Um die Brisanz des sich im Sommer 1998 anbahnenden Wechsels von Mattuschka von Merzdorf nach Dissenchen zu verdeutlichen, ist ein Blick in die Vergangenheit und Gegenwart beider Vereine sehr hilfreich.

      Die Rivalität zwischen den beiden Nachbardörfern, die seit 1993 zu Cottbus gehören, steht beileibe nicht auf einer Stufe mit solchen Hass-Derbys wie zwischen Borussia Dortmund und Schalke 04, Hertha BSC und dem 1. FC Union Berlin oder dem FC Carl Zeiss Jena und FC Rot-Weiß Erfurt. Aber dass sich die Fußballvereine von Merzdorf und Dissenchen nie grün waren, zeigt sich sogar noch in der Spielzeit 2016/17.

      Da Merzdorf im Sommer 2016 nach 17 Jahren Abstinenz in die Kreisliga aufgestiegen war, kam es am 18. Dezember 2016 wieder mal zu einem direkten Duell mit Dissenchen. Das letzte hatte es 37 (!) Jahre zuvor gegeben. Im Sommer 1979 spielten Aufbau Merzdorf und Aktivist Dissenchen noch unter ihren DDR-Namen. Merzdorf siegte mit 3:2. In den folgenden Jahrzehnten kickten die Männer von Dissenchen immer höherklassiger als Merzdorf. 1992 stieg der SV Dissenchen 04 sogar als Meister der Bezirksliga Cottbus in die Verbandsliga Brandenburg auf. Damit war das Dorf eine Spielzeit lang fünftklassig „1993 sind wir gleich wieder in die Landesliga abgestiegen. Viele unserer Spieler gingen in den Westen. Wir konnten das finanziell auch gar nicht mehr durchstehen“, erinnert sich der langjährige SVD-Trainer Bernhard Hansch. „Danach stiegen wir kontinuierlich wieder ab. Erst in die sechstklassige Landesliga und 1998 in die Landesklasse, die 7. Liga.“

      Als es nun anno 2016 wieder zum Derby zwischen Merzdorf und Dissenchen kam, veröffentlichten die Merzdorfer wenige Tage davor auf der Facebook-Seite des Vereins einen Flyer, in dem sie etwas süffisant auf die veränderten Bedingungen in Dissenchen hinwiesen. „Jahrzehntelang war ein Derby auf Augenhöhe nicht in Sicht. Doch seit einiger Zeit dreht sich das Rad in eine andere Richtung! Der Tiefpunkt dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass unser geliebter Nachbar nicht einmal mehr die Kraft besitzt, eine eigene Mannschaft zu stellen, und so noch die Hilfe vom SV Haasow benötigt. Wogegen in unserem Kader insgesamt zwölf gebürtige Merzdorfer zu verzeichnen sind.“ Seit dem Jahr 2012 bildet Dissenchen mit dem Nachbardorf Haasow die Spielgemeinschaft (SG) Dissenchen/Haasow.

      Seine Heimspiele trug Dissenchen/Haasow 2016/17 in der Hinrunde meistens in Haasow aus. Die Verbindung der ersten Mannschaft zum Vereinswirt in Haasow soll besser sein als zu dem in Dissenchen. Bei besagtem Derby am 18. Dezember trug die SG Dissenchen/Haasow übrigens schwarz-weiße Trikots mit der Aufschrift SV Schwarz-Weiß Haasow 98. „Aber wenn die Spielgemeinschaft in Dissenchen aufläuft, trägt sie Hemden des SV Dissenchen“, sagt Hansch. Für Traditionalisten von Dissenchen ist das sicher wenig erbauend. Die Spielgemeinschaft siegte jedoch auch in Haasower Trikots nach einer torlosen ersten Halbzeit mit 4:0.

      Merzdorf triumphierte dafür klar auf den Rängen. Es machte sich bezahlt, dass es bei Rot-Weiss seit einigen Jahren die Ultra-Gruppierung „Block M“ mit rund 15 Mitgliedern gibt. Ihr Schlachtruf lautet „RWM Ahu“. Ihre Sticker prangten in den Tagen vor dem Derby auch auf dem zweisprachigen Ortsschild von Dissenchen, das auf Sorbisch Dešank heißt. Beim Spiel half das wenig. Doch gewonnen haben am Ende alle. Trotz des miesen Wetters waren 230 Zuschauer gekommen. Das Eintrittsgeld in Höhe von 1.200 Euro wurde für Patienten der Kinderklinik Cottbus gespendet.

      Für die Lehrstelle zum Erzrivalen

      Mit der Rivalität zwischen den Ortsschild an Ortsschild liegenden Dörfern Merzdorf und Dissenchen ist Torsten Mattuschka groß geworden. 1998 nach dem Ende seiner Schulzeit wird er quasi zum Spielball in der Cottbuser Peripherie. Sein Opa Heinz Wieder aus Merzdorf und dessen Bekannter Werner Laschke aus Dissenchen sind Fußballfans. Sie setzen sich in diesem Fall über Befindlichkeiten von halb Merzdorf, halb Dissenchen und Teenager Mattuschka hinweg.

      Im Sommer 1998 wechselt dieser tatsächlich von Merzdorf nach Dissenchen. „Ich wollte das eigentlich nicht. Dissenchen war für meinen Freundeskreis und mich schon eine Zumutung. Ich habe zu Opa gesagt, dass ich nicht zu den Molukken gehe“, so Mattuschka über seine erste Reaktion. Alle seine Kumpels spielten schließlich in Merzdorf.

      Doch der von seinem Großvater ausgehandelte Deal ist auf den zweiten Blick gar nicht so schlecht. Spielerpass gegen Lehrstelle lautet das Geschäft. Für den Eintritt beim SV Dissenchen 04 bekommt Mattuschka eine Ausbildung in Dissenchen bei der als Vereinssponsor agierenden Malerfirma Laschke. Dafür nimmt Opa Heinz auch in Kauf, in Merzdorf erst einmal der Buhmann zu sein. „Das war das erste Mal, dass mir der Fußball geholfen hat. Ich konnte kicken und eine Ausbildung machen“, erinnert sich Mattuschka. „Mein Abschlusszeugnis war ja nicht so besonders. Ich hätte sonst Bewerbungen schreiben müssen.“ Die zehnte Klasse hat Mattuschka in elf Jahren geschafft. Seine Zensuren seien aber in keinem Fach herausragend gewesen – außer in Sport.

      Am 1. August 1998 beginnt in Dissenchen die Zeitrechnung mit Mattuschka. Der damals 17-Jährige ist theoretisch noch eine Saison für die A-Jugend spielberechtigt. Ab und an wirkt er auch im Nachwuchs mit. Aber in erster Linie ist er geholt worden, um die Herrenmannschaft zu verstärken. „Am Samstag bin ich für die Männer aufgelaufen, am Sonntag bei den A-Junioren – meistens noch etwas voll. Aber in der Liga hat es auch halbsteif gereicht“, spielt Mattuschka auf Partybesuche am Samstagabend an.

      Neben seinem Entgelt als Lehrling gibt es für Mattuschka in Dissenchen keine zusätzlichen Prämien für das Auflaufen oder Torerfolge. Die siebte Liga ist auch für die Mitspieler eine reine Hobbyveranstaltung. „Bei uns wurde kein Geld gezahlt, das kann ich guten Gewissens sagen. Wir haben aus Freude und Spaß gespielt