Hermann Stehr

Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Dramen


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leicht und eilig einen Schritt vor mir her. Als wir aus der Torfahrt des Wartturmes heraustraten, fiel eine rote Nelke aus der Höhe vor meine Füße nieder. Ohne nach dem Spender zu spähen, bückte ich mich und hob sie unbemerkt auf. Niemand konnte sie geworfen haben als der ehrwürdige Greis, und wenn es auch sicher Torheit war, ich deutete diesen Gruß als ein Zeichen seiner unverminderten Neigung zu mir und faßte den Entschluß, zu ihm zu eilen, sobald ich ohne Scham vor ihm bestehen könne. Auf solchen Schleichwegen erlistete ich mir endlich karge Ruhe und das Recht auf die Hoffnung, mein und meiner Eltern Leben werde sich nach so langen Bedrängnissen doch noch ins Lichte heben.

      Denn auch in meinem Vaterhaus wohnte seit dem Morgen, an dem ich mit der Mutter das erstemal nach Jahren wieder gebetet hatte, eine wundersam stille, schwach besonnte Luft. Wenn ich an jene Zeit zurückdenke, so ist es mir, als sähe ich eine Reihe klarer, schöner Spätherbstmorgen. Alle Weiten sind leer von der Schneide der Sense; alle Felder müde und weich im Widerschein entschwundenen Glückes, dessen wirrer Traum in flüchtenden Vogelschwärmen noch einmal über sie hinstreicht oder aus unerreichbaren Fernen in weißen Wölkchen noch einmal grüßt. Durch die gelichteten Wälder plappern die Bäche wie ratlos Verirrte. Aus allen Poren der Erde aber bricht das Licht, das sie in gesegneten Tagen einsog und nun vor Erschöpfung wieder ausströmt, daß alle Dinge in einer fortwandelnden Helle stehen, durch die sich die letzten Blätter lautlos zur Erde drehen. Nur wenn sie irgendwo anstreichen, entsteht ein wispernd-surrender Ton, gleich dem verwankenden Geräusch des letzten Rädchens eines stehenbleibenden kunstvollen Werkes. Das Schicksal des Menschen hat Jahreszeiten wie das Jahr.

      Meine Mutter hauste in alter froher Geschäftigkeit, und auch mein Vater schien verändert: ganz Güte, ganz Sanftmut. Er begrüßte mich stets mit einem Lächeln, das anfangs wohl wie unter Anstrengung durch eine starre Verbitterung brach, bald aber mühelos das eingefallene Gesicht erleuchtete. Nur wenn er sich ganz allein in der Stube sah, erlahmte sein froher Fleiß, und mit großen Augen ins Leere starrend, sah er lange untätig. Auch stand er auf, trat ans Fenster und fuhr, in sich versinkend, fortwährend mit der Rechten über das Holz des Fensterbrettes. Er rückte an den Bildern der Wand, hob den Werktisch hin und her, als habe er gewackelt; verlor sich Wohl auch mitten in der Stube und nagte an seinen Fingern. Wie auf eine geheime Verabredung blieben meine Mutter und ich daher tunlichst um ihn: sie saß und strickte endlos, ich hockte am Tisch über meinen Büchern. Der Vater aber schielte dann und wann verstohlen nach uns herum und trommelte darauf frisch mit seinem Hämmerchen über das Leder. Denn unser Geschäft war wirklich ganz aus der Erinnerung der Leute getilgt. Die wenigen Waren hingen unter großen Leinenlaken im Laden. Aber mein Vater gab doch den Anschein seines freien Meistertums nicht auf, obwohl er in Wirklichkeit nichts als Lohnarbeiter der Firma Kahl und Maruske in Breslau war, für die er noch immer Hosenträger fertigte. Der geheime Grimm hatte ihn scheinbar verlassen und war einer sicheren Resignation gewichen. Wenn er seine zehn Paar Traggürtel fix und sauber neben sich liegen hatte, setzte der Beginn des Feierabends mit dem Nachtessen ein. Wir öffneten das Fenster, und die Kühle der zeitigeren Dämmerung erfüllte das Zimmer. Das Not schlich manchmal über die Diele, das Rauschen der Bäume aus dem Spitalgarten tönte schwach herein, und wir saßen, um Licht zu sparen, bis tief in die Nacht im Finstern. Ich gab wohl meine gelernten Pensa zum besten und beantwortete, soweit mein Wissen reichte, die Fragen, die mein Vater an mich richtete. Die Stricknadeln meiner Mutter pinkten ihr feines, eintöniges Lied dazwischen. Manchmal aber wuchs mit den Schatten der Nacht lastendes Schweigen in unsere Stube; jedes saß stumm wie hinter einer schwarzen Wand gefangen; das Strickzeug der Mutter klang wie schwaches Kettenklirren, und setzte es aus, dann hörte man nur den Atem unserer Brust furchtsam und schneidend wie durch ein Gitter blasen.

      An einem dieser von verborgener Furcht beladenen Abende erlosch in mir die Hoffnung für immer, das Glück unseres Hauses könne doch noch reifen, wie eine bittere Frucht in der letzten Herbstsonne zu Fülle und Schönheit sich rundet. Es war später geworden als je an einem anderen Tage. Keines wagte das Licht anzuzünden, denn jedes scheute sich wohl, des anderen Blässe und Sorge zu erleuchten, und so warteten wir stumm auf einen Hirnschlag der Stimmung zum Besseren. Vom Stadtgraben herauf klang selten das Gespräch Vorübergehender, die Bäume des Spitalgartens murmelten mit hartem Laube; die Wasser der Neiße hörte man leise ziehen. Ich saß auf dem Schemel am Werktisch und lauschte dem Laut des wandernden Flusses, der mir vernehmlicher tönte, wenn ich meinen Blick auf den ruhigen Nachthimmel lichtete, in dem die Sterne wie spielende Funken hingen.

      »Es klingt, als wenn die Mücken in der Luft tanzten«, sagte meine Mutter vom Ofen her und begann ihre Nadeln wieder zu rühren.

      Nein Vater atmete laut ein, als wolle er etwas erwidern, räusperte sich aber und schwieg.

      Auf dem Stadtgraben näherten sich vom Pfeffer-Gerber her jagende Schritte. Die Hackeneisen schwerer Stiefel klapperten gegen das Pflaster. Hinter unseren Fenstern warf es den Läufer klatschend hin. Mit Gemurmel arbeitete er sich wieder auf. Man hörte ihn torkelnd umhertreten, als suche er etwas, und dann begann eine hohe, ausgemergelte Stimme an unserem Hause heraufzusingen:

      – – – – – – –

      »Unser Herr Professor trinkt gern ein Dideldideldum. und dann wird's besser, dreht er sich um.«

      – – – – – – –

      Ich erkannte, daß es der Rinke-Tischler sei, der uns wieder einen Besuch abstattete. Meine Mutter mußte von dem gleichen Schrecken getroffen worden sein, denn es ging wie ein Schnitt durch das Dunkel. Sie erhob sich und griff am Ofen herum, nach Streichhölzern suchend. Ich bewegte mich zum Fenster, sah gleichmütig hinaus und sagte leicht: »Das ist wieder so ein Bruder aus der Destille!« Rinke sang immer lauter und wilder. Dazwischen rief er fortwährend: »Prost, Sattlermeister!« Ehe ich das Fenster schließen konnte, jächte auf der Straße ein anderer heran und schrie: »Franze! Franze! Meinen Stecken her, Franze!«

      Da flammte das Licht in unserer Stube auf.

      Der Vater saß steif auf seinem Sofaplatz und hörte auf den Lärm der Trinker. Rinke sang noch immer, und der andere schrie fortwährend darein. Da ging plötzlich ein reißendes Gewittern über das Gesicht meines Vaters. Mit ein paar Schritten war er am Fenster und hob den Arm, es zu öffnen. Meine Mutter verfolgte mit fast krankhafter Gespanntheit seine Gebärden und griff verlegen ihren Strumpf durch. Der Vater aber ließ plötzlich seine Hand sinken und brach zu unserem Erstaunen in ein tolles Gelächter aus. »Franze,« so äffte er des Trunkenen weinerlich-zornigen Ruf nach. »Franze, haha, ja, ganz so!« Er sah belustigt durch die Scheiben und wurde immer von neuen Anfällen, fast wie vom Lachkrampf, geschüttelt.

      Meine Mutter war sehr blaß geworden, legte enttäuscht den Strumpf weg, krümmte die Lippen in erzwungenem Lächeln und fragte mit beklommener Stimme: »Aber Mann, du wirst dir noch ein' Schaden tun. Was hat's denn?«

      Er drehte sich um, sah, nach Sammlung ringend, gegen die Erde, schüttelte den Kopf, als begreife er etwas nicht und sagte dann, ohne uns anzusehen: »Hmhm! Ich werd' mir erst anrauchen, dann erzähl' ich's euch.«

      Als er die Pfeife in Brand gesteckt hatte, begann er zu erzählen: »'s sind jetzt dreißig Jahre her – nun ja –. Ich war dazumal ein junger Kerle, forsch und lustig; adrett, geschniegelt und gebügelt. Ich arbeitete dazumal in Neiße und verdiente sieben Mark die Woche, nach altem Gelde zwei Taler zehn Silbergroschen. Die Meisterin kochte was Ordentliches, die Arbeit war sein und sauber, ha, was sollte da 'nen jungen Kerl nicht der Hafer stechen! Wir machen also 'nen schönen Sonntags eine Spritzfahrt nach Jauernig, der Hecht-Franze, ich und der Geselle vom Tapezier Wimpel, unser Huzelmann. Wir nannten ihn aber bloß so, eigentlich hieß er Thadäus Hutzler – nein Hubler – doch Hutzler ... Also ... wir – n – mieten uns eine offene zweispannige Droschke, steigen auf wie die Barone mitten auf'm Ringe und kutschen, mir nichts, dir nichts, als gehöre uns ganz Preußen, durch Neiße ...«

      Hier brach er ab, nachdem er den letzten Satz mit Anstrengung, unter wiederholten Anlaufen gegen eine sichtbare Abneigung gesprochen hatte. Er riß sich aber doch aus der hereinbrechenden Verdüsterung gewaltsam auf und fuhr fort: »Hutzelmann hatte eine Liebste – – also, wie wir auf die Mährngasse kommen, da ...« Seine Worte verdorrten ihm auf den Lippen. Er stützte den Kopf in die Hand und lächelte in bösem Hohn gegen die Tischplatte, während