in der Welt soll er aber damit thun?«
»Damit thun? Er versteckt sie in seinem Bett, kann er das nicht? Das geschieht meistens und er muß es auch. Huck, du willst eben nie etwas der Ordnung und Regel nach thun, da hast du kein Verständnis dafür, immer willst du's anders machen als die andern. Und selbst wenn er auch nichts mit der Strickleiter anfängt, – dann findet man sie doch nachher in seinem Bett als ein wichtiges ›Indicinium‹, oder wie sie's heißen. Nein, Huck, du weißt und verstehst gar nichts. Glaubst du denn, man brauchte keine ›Indiciniums‹, wenn einer durchgegangen ist? Natürlich muß man die haben! Du natürlich denkst und sorgst für nichts! Du würdest's nett machen, wenn du's zu thun hättest, das muß ich sagen – alle Achtung!«
»Na,« sag' ich, »braucht er's, so braucht er's und soll's haben, ich will nicht gegen die Regel sündigen, – Gott bewahre! Aber eins weiß ich, wenn wir nun unsre Bettücher nehmen und zerreißen, um dem alten Kerl eine Strickleiter zu machen, dann kriegen wir's mit Tante Sally zu thun, die steigt mit dem Strick ohne Leiter hinter uns, soviel ist gewiß. Na, mir soll's recht sein, mein Buckel ist nicht verwöhnt, der kennt die Kost. Sag' mal, Tom, thät's nicht auch 'ne Leiter, von Bast geflochten? – der ist leichter zu verschaffen und thut dieselben Dienste. Dann brauchen wir nicht erst was zu zerreißen und in den Brodlaib läßt sich's auch stecken, und was Jim betrifft, so hat der keine Erfahrung in den Sachen, dem ist's einerlei, ob die Leiter von Bast oder von Bett –«
»Dummheiten und kein Ende! Wenn ich solch' ein Dickkopf wäre, Huck Finn, dann hielt ich mein M-, das würd' ich thun, gewiß und wahrhaftig. Wer in der Welt hat je gehört, daß ein Staatsgefangener auf einer Bastleiter entwichen wäre. 's ist rein zum Totlachen!«
»Na gut, Tom, nur ruhig, mach's wie du Lust hast, ich rat' aber, wir nehmen lieber ein Tuch draußen von der Leine und nicht aus unserem Bett!«
Das leuchtete ihm ein und gab ihm einen neuen Gedanken. Sagt er:
»Weißt du was, Huck, wir nehmen dann auch gleich ein Hemd!«
»Ein Hemd? Wozu?«
»Für Jim, um ein Tagebuch darauf zu schreiben.«
»Sei doch nicht so närrisch! Jim kann ja nicht schreiben.«
»Na, wenn er nicht schreiben kann, kann er doch wenigstens Zeichen darauf malen, wenn wir ihm eine Feder aus einem alten Zinnlöffel oder einem dicken eisernen Nagel machen.«
»Ja, aber, Tom, das hätten wir wieder viel einfacher und besser, wenn wir einer Gans 'ne Feder ausrissen!«
»Gefangene haben keine Gänse, die im Kerker herumlaufen und sich Federn ausreißen lassen, du Dummbart! Die machen ihre Federn immer aus dem härtesten, verrostetsten und ältesten Stück Eisen, das ihnen unter die Finger kommt und dazu brauchen sie Wochen und Wochen, Monate und Monate, bis sie so weit sind und es abgefeilt haben, denn sie können's nur an der Mauer abreiben. Die nähmen keinen Federkiel, und wenn sie ihn haben könnten, es wär' ganz gegen die Regel.«
»Und die Tinte? Woraus sollen wir die machen? Aus Lakritzensaft?«
»Däsbartel! – Viele nehmen Rost mit Thränen gemischt, aber das ist gewöhnlich und mehr für Weiber, die 's Heulen verstehen. Die besten Vorbilder, die ich kenne, haben ihr eignes Blut dazu benutzt, das mag Jim auch thun. Wenn er aber nur eine kleine und gewöhnliche Nachricht von sich geben will, dann kann er sie auch mit einer Gabel auf einen Zinnteller schreiben und ihn dann zum Fenster hinauswerfen. So hat's die ›Eiserne Maske‹ gemacht und die hat's verstanden!«
»Jim hat aber keine Zinnteller. Sie schicken ihm das Essen in einer Blechschüssel.«
»Das thut nichts, die verschaffen wir ihm.«
»Wird aber jemand seine Tellerschrift lesen können?«
»Darauf kommt's nicht an, Huck! Alles, was er zu thun hat, ist, die Teller zu bekritzeln und dann wegzuwerfen. Das Lesen ist Nebensache, gehört nicht dazu! Neunundneunzigmal unter hundert bist du nicht imstande, herauszukriegen, was ein Gefangener auf einen Teller oder sonst wohin kritzelt, darauf kommt's gar nicht an!«
»Ja, aber warum denn die vielen Teller so verderben?«
»Warum? Helf dir Gott, du bist dumm! Die gehören ja den Gefangenen gar nicht!«
»Aber irgend jemandem gehören sie doch, nicht?«
»Na und wenn! Was liegt dem Gefangenen dran, wem –«
Hier brach er ab, denn man hörte das Horn blasen, das uns zum Frühstück rufen sollte und wir rannten dem Hause zu.
Im Laufe des Morgens nahm ich also richtig ein Leintuch und ein Hemd von der Waschleine auf dem Trockenplatz, und steckte sie in einen alten Sack, den ich gefunden; das verfaulte Holz kam auch mit hinein. Ich nannte das ›borgen‹, wie mein Alter immer sagte, Tom aber meinte, das sei gestohlen. Er sagte aber, wir stellten jetzt eben Gefangene vor und Gefangene nähmen alles, wo und wie sie's kriegen könnten, und niemand schelte sie drum oder nehme es ihnen übel. Bei einem Gefangenen ist's keine Sünde, wenn er die Dinge stiehlt, die er zu seiner Befreiung braucht, sagte Tom, das ist sein Recht, und so lange wir hier Gefangene vorstellten, hätten wir das Recht, alles und jedes Ding zu stehlen, das wir zu unsrer Befreiung brauchten. Er sagte, wenn wir keine Gefangenen wären, wäre es was ganz andres, nur ein ganz gemeiner, erbärmlicher Kerl stehle, wenn er nicht gefangen sei. Wir beschlossen also, alles zu nehmen, was wir nur irgend brauchen könnten und was uns unter die Finger käme. Mir war's gleich recht und doch machte Tom einen furchtbaren Halloh, als ich einmal den Niggern eine Melone aus ihrem Feld nahm und aß. Er zwang mich, hinzugehen und den Kerlen Geld dafür zu bringen, und sagte, das sei ganz was andres und so hätte er's nicht gemeint, das sei gestohlen – gemein gestohlen – wir dürften nur nehmen, was wir wirklich brauchten. Das begriff ich nun nicht. Sag' ich: »Tom, ich hab' die Melone wirklich gebraucht.« Er aber sagte, nein, nicht, um damit frei zu werden! Das sei der Unterschied! Ja, wenn ich sie gebraucht hätte, um ein Messer drin zu verbergen, sie Jim zuzuschmuggeln, der dann den ›Senneschaal‹, oder wie der Kerl heißt, damit habe töten können, das sei ein ander Ding gewesen. Ich ließ es gut sein, dachte aber bei mir, ich könne den Vorteil, ein Gefangener zu sein, nicht so recht einsehen, wenn man so viel Federlesens machen müsse, so oft man sich einmal eine Wassermelone zu Gemüt führen wolle.
Na, wie ich schon vorher gesagt habe, wir warteten also an jenem Morgen, bis alles im Hause an der Arbeit war und niemand mehr im Hofe, um uns zu beobachten. Dann schleppte Tom den Sack in den Schuppen, während ich Wache stand. Als er wieder herauskam, setzten wir uns auf einen Holzstoß und plauderten. Sagt' er:
»Jetzt ist alles in Ordnung, nur noch Handwerkszeug brauchen wir und das ist leicht zu haben.«
»Handwerkszeug?« frag' ich.
»Ja!«
»Handwerkszeug für was?«
»Na, um damit zu graben! Du wirst ihn doch wohl nicht mit den Nägeln herauskratzen?«
»Sind denn die alten Hacken und Dinger da drinnen nicht gut genug, um einen Nigger herauszugraben?«
Da sieht er mich aber so traurig an, als sei ich seine Großmutter und wolle eben den Geist aufgeben:
»Huck Finn,« sagt er, »mit dir ist nichts anzufangen! Hast du je von Gefangenen gehört, die nur so nach Hacken und Spaten greifen konnten, um sich damit herauszugraben? Ich frag' dich auf dein Gewissen, Huck Finn, wenn du eins hast, und ein Fünkchen von Verstand dazu. Welch ein Anrecht auf Heldentum hätte er denn in diesem Falle? Eben so gut könnte man ihm geschwind den Schlüssel zum Kerker leihen und damit fertig! Spaten und Hacken! Wahrhaftig! – nicht einmal ein König würde sie kriegen!«
»Na,« frag' ich, »wenn wir also die Spaten und Hacken da drin nicht brauchen, was brauchen wir denn?«
»Ein paar richtige, ordentliche Taschenmesser!«
»Was? Um damit den Boden bis zur Hütte zu untergraben?«
»Ja!«