geschehen, so ist's der Regel nach. Ich hab's nie anders gehört oder gelesen und ich kenne alle Bücher, in denen so etwas vorkommt. Immer graben sie sich mit einem Taschenmesser heraus! – und gewöhnlich nicht durch Lehm und Schmutz wie hier, merk' dir's, sondern durch harten, festen Felsgrund. Und dazu brauchen sie Wochen und Wochen und Wochen und noch viel länger. Da war mal einer in dem Schlosse Dief, im Hafen von Marseille, der saß ganz unten im untersten Kerker und der grub sich so durch und wie lang glaubst du, daß der dazu brauchte?«
»Was weiß ich! Anderthalb Monat?«
»Siebenunddreißig Jahre! Und – kam in China heraus! So, da siehst du – so muß man's machen. Ich wollte nur, der Grund dieser Festung hier wäre aus Felsen, harten, soliden Felsen!«
»Aber Jim kennt ja gar niemand in China! Der wird sich nicht dorthin sehnen!«
»Was hat das damit zu thun? Der andre Kerl in Dief kannte auch niemand dort. Aber du kommst immer vom Hauptpunkt ab und gerätst auf Seitenwege!«
»Gut! – was liegt mir dran, wo er herauskommt, meinethalben im Mond, wenn er nur herauskommt und ich denk', Jim geht's gerade so. Aber ein Ding müssen wir doch bedenken. Jim ist zu alt – um mit dem Taschenmesser ausgegraben zu werden – so lang' hält der gar nicht aus!«
»Wird's schon aushalten! Du denkst doch nicht, daß wir hier siebenunddreißig Jahre brauchen, um ein Loch in den Dreck zu wühlen?«
»Wie lang' werden wir denn wohl brauchen, Tom?«
»Na, so lang' wie wir eigentlich regelrecht brauchen sollten, können wir gar nicht wagen, denn Onkel Silas wird bald genug Wind bekommen, wer und woher Jim ist. Wer kann's wissen, wie bald Jim forttransportiert wird? Bei so unsicheren Umständen halt' ich für's gescheiteste, wir graben so schnell wie möglich, und thun dann nachher, als wären's siebenunddreißig Jahre gewesen. Dann können wir ruhig sein und abwarten, und sobald sich die erste Gefahr zeigt, ihn herausholen und schleunig fortspedieren. So, denk' ich, wird's am besten sein!«
»Da liegt doch mal wirklich Verstand drin, den ich auch begreifen kann,« sag' ich, »›so thun‹ kostet nichts, ›so thun‹ ist Kinderspiel und meinetwegen können wir thun, als seien's hundertundfünfzig Jahre gewesen. Na, will mal sehen, ob ich irgendwo ein paar tüchtige Taschenmesser erwischen kann.«
»Nimm gleich drei,« rät Tom, »wir brauchen eins, um eine Säge draus zu machen.«
»Tom,« wag' ich noch einmal einzuwenden, »wenn's nicht unchristlich und gegen die Regel ist, dahinten unter dem Schuppendach habe ich eine alte rostige Säge liegen gesehen, die –«
Aber er sah mich so trostlos und entmutigt an, daß ich nicht fortzufahren wagte.
»Du lernst nichts, Huck!« seufzt er, »lauf' und verschaff' uns die Messer – drei, hörst du?« und ich that's!
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Siebenundzwanzigstes Kapitel
Der Blitzableiter. – Sein Bestes. – Ein Vermächtnis an die Nachwelt. – Löffel stehlen. – Unter den Hunden. – Eine hohe Summe!
So früh, als wir erwartet hatten, ging alles zu Bett und das ganze Haus lag bald in tiefster Ruhe. Wir also am Blitzableiter hinunter, leise in den Schuppen geschlichen, unser Bündel faules Holz als brillante Beleuchtung vorgekriegt und nun los an die Arbeit! Erst räumten wir alles aus dem Weg, was auf dem Boden lag, gerade in der Richtung auf Jims Bett zu. Tom meinte, es sei gut, wenn der Gang, den wir graben wollten, unter dem Bett münde, da könne man ihn doch nicht so leicht bemerken, denn Jims Decke hing ziemlich auf den Boden herunter und bis man die erst aufhebe und darunter nachsehe, darauf verfiele so leicht keiner. Na also! Wir gruben und gruben, stocherten und wühlten mit unsern Taschenmessern bis beinahe gegen Mitternacht. Dann waren wir hundemüde und unsre Hände voller Blasen, und doch konnte man kaum sehen, daß wir irgend vorwärts gekommen. Endlich sag' ich:
»Na, Tom, mir scheint's, mit den siebenunddreißig Jahren, die wir zu der Arbeit brauchen sollen, wird's knapp werden, wenn da nicht mindestens achtunddreißig drauf gehen, will ich Hans heißen!«
Er sagte kein Wort, seufzte aber tief und hörte mit einemmal auf zu stochern. Da wußte ich, daß er jetzt nachdenke und ließ ihn gewähren. Plötzlich sagt' er:
»Huck, so kann's nicht weiter gehen! Ja, wenn wir wirklich eingekerkert wären und so viele Jahre vor uns hätten, als wir hiezu brauchen, und keine Eile, und hätten jeden Tag nur ein paar Minuten Zeit zum graben, während der Ablösung der Wachen, und bekämen dabei keine Blasen an die Hände, dann könnten wir's so weiter treiben – Jahr ein, Jahr aus – und alles der Regel nach thun, wie's sein müßte. So aber! Wir können nicht so zaudern, wir müssen flink zugreifen, haben gar kein bißchen Zeit zu verlieren. Wenn wir morgen noch einmal ein paar Stunden so weiter machen wollen, müßen wir gewiß eine Woche lang warten, bis die Hände wieder so sind, daß man ein Taschenmesser anrühren und weitergraben könnte.«
»Was sollen wir nun thun, Tom?«
»Das will ich dir sagen, ganz einfach! Schön ist's nicht und recht auch nicht und nicht moralisch und es darf's nie einer erfahren. Wir haben aber keine Wahl. Herausgraben müssen wir ihn und schnell dazu und so müssen wir eben die Hacken und Schaufeln nehmen und – thun, als seien's nur Taschenmesser!«
»Das nenn' ich doch endlich einmal vernünftig gesprochen, Tom, bravo, bravo! Dein Kopf wird klarer und klarer, scheint mir, thut sein bestes, übertrifft sich nächstens selbst,« frohlock' ich, »Schaufeln ist die Losung, moralisch oder nicht moralisch! Ich für mein Teil kümmer' mich 'nen Pfifferling um die Moralischkeit. Wenn ich 'nen Nigger stehlen will oder 'ne Wassermelone oder ein Sonntagsschulen-Buch, kommt' mir's gar nicht drauf an, wie ich's mache, wenn ich's nur kriege. Was ich will, ist mein Nigger oder meine Melone oder mein Buch und wenn ich eine Schaufel brauche, um's herauszugraben, muß eben eine Schaufel her, mögen die ›Autoritäten‹ davon denken, was sie wollen, die können mir gestohlen werden!«
»Na,« meint' er, »in unserm Fall sind wir allerdings entschuldigt, wenn wir Schaufeln nehmen und ›so thun‹, sonst thät ich's wahrhaftig nicht, denn Recht bleibt Recht und Unrecht, Unrecht, und keiner soll's Unrechte thun, wenn er's besser weiß! Du kannst meinethalben Jim mit der Schaufel ausgraben, ohne zu thun, als sei's ein Messer, bei mir aber ist das anders, ich weiß, was recht ist und wie es sein muß, also – gieb mir ein Messer!«
Er hatte seins bei sich, doch reich' ich ihm das meine, ohne mich weiter zu bedenken. Er wirft's weit weg und wiederholt ungeduldig:
»Gieb mir ein Taschenmesser, Huck Finn!«
Erst starrt' ich ihn verblüfft an, dann dacht' ich nach – da ging mir ein Licht auf! Ich such' und kram' unter dem alten Werkzeug am Boden herum, find' 'ne Hacke und reich' sie ihm und er nimmt sie und macht sich an die Arbeit, ohne weiter ein Wort zu sagen.
So war er immer – stets voller Grundsätze!
Ich bewaffnete mich danach mit einer Schaufel und nun gings lustig drauf los, daß die Brocken nur so kollerten und flogen. Eine halbe Stunde lang hielten wir uns dran, dann fielen wir beinahe um vor Schlaf, aber wir konnten doch auch ein Stück Arbeit aufweisen mit unsern »Taschenmessern!« Ich machte mich davon und flink die Hintertreppe hinauf, denk', der Tom ist hinter mir her. Als er aber nicht kommt, seh' ich zu unserm Fenster hinaus und seh' ihn am Blitzableiter, an dem er heraufklettern will, es aber nicht fertig bringt, da ihm seine blasigen Hände zu weh thun. Er ruft mir ganz jämmerlich zu:
»Ich kann's nicht, Huck, es geht nicht! Was soll ich nun anfangen? So rat' mir doch, Huck, denk' nach! Weißt du gar nichts?«
»Ja,« sag' ich, »aber das wäre nicht moralisch und nicht nach der Regel. Komm eben einfach die Treppe herauf und thu', als sei's der Blitzableiter!«
Schweigend