gestorben.
Es dürfte nicht übertrieben sein, wenn man die Neufassung der Abseitsregel vom 12. Juni 1925 und die sich daraus ergebende Umstrukturierung des Fußballs als die größte Revolution in der Geschichte des modernen Fußballs bezeichnet. Sie hat das Spiel wieder flüssiger gemacht und deswegen neue Defensiv-Strategien wie Chapmans W-M-System hervorgerufen. Dieses wiederum hatte ein neues Denken über Fußball provoziert. Mit dem W-M-System begann erst die Zeit der Trainer. Sie mussten sich nun permanent neue Strategien und Taktiken ausdenken, damit ihr Team das Spielfeld beherrschen konnte. Der Fußball war zu einem Spiel im Raum geworden, den nun immer neue Generationen von Trainern neu zu strukturieren versuchten. Im Verhindern und Schießen von Toren konnte man fortan nur noch dann erfolgreich sein, wenn man klug und strategisch vorging.
RÄUME
Es ist ganz und gar nicht gleichgültig, in welchen klimatischen „Räumen“ Fußball gespielt wird. Im traditionellen englischen Spiel wurde das Leder von robusten Leuten über miserable, völlig durchweichte und mit Pfützen übersäte Spielfelder getrieben. Wenn man den Ball stoppte, war es schwierig, ihn wieder in Bewegung zu bekommen. Das kalte, regnerische Klima mit entsprechend weichen Böden begünstigte daher die Spielweise des Kick-and-Rush: Schneller Raumgewinn schien nur möglich, wenn man den Ball weit nach vorne drosch in der Hoffnung, dass ihn schnelle Außenstürmer erobern und hoch in den Strafraum bringen, wo dann der Stürmer die Sache per Kopf vollenden sollte. Die Engländer gewöhnten sich an das nasse Geläuf so sehr, dass sie auf keinen Fall mehr darauf verzichten wollten.1954 schlugen Stan Cullis’ Wolverhampton Wanderers die Fußballkünstler von Honved Budapest mit einem Trick: Das Spielfeld wurde so lange gewässert, bis es aussah wie eine Viehweide nach einer Woche mit Dauerregen. Die Ungarn gingen mit 2:0 in Führung, waren dann aber völlig erschöpft. Die schlammerprobten Wanderers gewannen noch mit 3:2.
Kurioserweise entwickelten die Schotten, bei denen die Wetterverhältnisse ja ganz ähnlich sind, schon frühzeitig eine andere Spielweise als die Engländer. Gerade bei Nässe seien steil geschlagene Pässe zu unsicher, so die schottische Auffassung, weil der Ball zu schnell und somit für den angespielten Spieler unerreichbar werde; also verlegten sie sich auf das später als „schottischer Stil“ bekannt gewordene Kurzpassspiel. Selbiges pflegten dann auch die Südamerikaner und Südeuropäer. Wärme und die damit verbundene Härte der Böden, so lautet die Begründung für den in südlichen Räumen gepflogenen Stil, stünden Athletik und Tempo entgegen, begünstigten vielmehr eine langsame, schnörkelige, auf versierter Ballkontrolle beruhende Spielweise. Aber so spielten auch die Schalker und Wiener in von der Sonne nicht gerade im Übermaß verwöhnten Räumen … Lassen wir den Boden außer Betracht, nehmen wir einmal einen perfekten Rasen an und wenden wir uns den „idealen Räumen“ des Fußballs zu.
Das Spielfeld, auf dem zwei Fußballmannschaften um den Ballbesitz streiten, ist rechtwinklig, wobei die Länge zur Breite im Verhältnis von 4:3 (durchschnittlich etwa 105 zu 70 Meter) stehen soll. Damit ist es nicht zu groß, um nicht noch sowohl vom Zuschauer wie vom aktiven Spieler als ein geschlossenes Gebilde wahrnehmbar zu sein, gleichzeitig ist es auch nicht so klein, dass ein anspruchsvolles Spiel im Raum verhindert würde. Dies ist zum Beispiel beim Handball der Fall: Weil das kleine Feld schnell überbrückt werden kann, spielt sich hier alles im Wesentlichen nur am Wurfkreis vor den Toren ab. Interessante, weit angelegte und plötzlich herausgespielte räumliche Konstellationen ergeben sich erst, wenn das Feld als Spielraum genutzt wird und also mehr ist als die bloße Entfernung zwischen zwei Kreisen. Das Fußballfeld ist hierfür ideal. Seine Länge ist so abgestimmt, dass ein schneller und blitzartiger Angriff möglich ist, dabei aber jede Verteidigung wenigstens im Prinzip immer eine Chance hat, sich zur Abwehr zu formieren. Seine Breite ist so gewählt, dass die ballführende Mannschaft nicht nur schnell nach vorne stürmen, sondern ihr Spiel auch auf die Seiten hin verzögern oder auf die Flanken verlagern kann. Zugleich ist das Feld aber auch klein genug, so dass die nicht im Ballbesitz befindliche Mannschaft durch geschicktes Vorgehen die Räume verengen und damit ihre Chance erhöhen kann, den Ball zu erobern.
Das Spielfeld selbst ist im Gegensatz zu anderen Sportarten nur wenig strukturiert. Es gibt lediglich die zwei durch eine Mittellinie getrennten Spielhälften, sowie die beiden Räume vor den Toren: den Strafraum (den „16-Meter-Raum“) und den Torraum (den „5-Meter-Raum“). Im Lauf eines Spiels kommt meist nur dem Strafraum eine entscheidende Rolle zu: Er begrenzt einerseits den Bereich, innerhalb dessen der Torwart mit der Hand eingreifen darf, andererseits bildet er diejenige Fläche, auf der die verteidigende Mannschaft besonders vorsichtig zu Werke gehen muss, da hier begangene Regelverstöße mit einem Strafstoß („Elfmeter“) geahndet werden können. Für die Organisation einer Mannschaft spielt er also insofern eine Rolle, als jede Mannschaft in der Defensive versuchen wird, den Angreifer bereits vor dem Strafraum zu stoppen, um keinen Elfmeter zu riskieren. In der Offensive folgt daraus die umgekehrte Taktik: Jeder Stürmer wird auch dann, wenn eine Aktion schon aussichtslos geworden ist, bemüht sein, in den Strafraum einzudringen, um eventuell ein Foulspiel zu provozieren und damit einen Elfmeter „herauszuschinden“.
Die Konstruktion des Fußballfeldes ermöglicht ein weitgehend freies Spiel im und mit dem Raum. Im Vergleich dazu sind beim American Football durch die an einen „Bratrost“ erinnernde Einteilung des Spielfeldes in einzelne Zonen und Abschnitte die Möglichkeiten der Spielzüge und der Verteilung der Spieler im Raum weitgehend vorgegeben. Football ist ein Spiel, bei dem um „Boden gekämpft“ wird. Weil es allein darum geht, Raum in Richtung der gegnerischen Endzone zu gewinnen, wiederholt sich stur derselbe Ablauf: Jede Mannschaft hat vier Versuche, um zehn Meter vorwärts zu kommen; schafft sie es, erhält sie einen weiteren ersten Versuch („First Down“); schafft sie es nicht, darf die gegnerische Mannschaft einen Versuch starten.
Ganz anders ist die Situation beim Fußball. Der Spielraum ist nicht durch die Regeln definiert, sondern er wird erst im Spiel selbst geschaffen. Überdies bestehe das Grundprinzip nicht im Erobern und Verteidigen von Rasenstücken, sondern im Öffnen und Schließen, bzw. Verengen und Erweitern von Spielräumen. Nicht auf das Festkrallen im Rasen, nicht auf Drücken und Schieben kommt es beim Fußball an, sondern auf das „Gefühl für die Lücke“: Man lässt den Gegner „ins Leere“ laufen, spielt den Pass „in die Gasse“, sucht die Lücke im „Riegel“, den die Verteidiger vor dem Strafraum aufbauen.
Die entscheidenden Kraftlinien, von denen das Fußballfeld durchzogen ist, und die Sektoren, in die es gegliedert ist, sind daher nicht auf den Rasen gezeichnet. Man muss auf die Leerräume zwischen den Spielern achten und nicht auf mit Kreide gezogene Linien, um zu erkennen, wie sie eine sinnvolle Verteilung auf dem Feld einnehmen. Jede Mannschaft beginnt ein Spiel mit einer taktischen Grundformation, nach der sich jeder Spieler auf einen bestimmten räumlichen Sektor des Feldes konzentrieren und dort mit den anderen genau abgestimmte Funktionen erfüllen soll. Eine erste Strukturierung des Raumes ist also bereits durch die Voreinstellung der Mannschaften bedingt. Die Verteilung und Staffelung der Spieler in Verteidigung, Mittelfeld und Angriff, die Frage, ob man im Sturm die Flügel angreifen will oder lieber aus einem massierten Mittelfeld heraus durch die Mitte sein Glück versucht – all dies sind Vorgaben, die einige Möglichkeiten der räumlichen Gestaltung schaffen, andere dagegen verhindern.
In Abhängigkeit von ihrer Strategie und ihren Spielern hat jede Mannschaft schon vor dem Anpfiff für sich ein eigenes Feld mit einer bestimmten Zonen- und Funktionsverteilung konstruiert. Weil dies so ist, hängt der Erfolg einer Fußballmannschaft in hohem Maß davon ab, ob es ihr gelingt, „ihr“ Spiel zu spielen und damit gleichzeitig dem Gegner die eigene Konzeption aufzuzwingen. Hätte es allerdings beim Fußball mit der Voreinstellung der Raumverteilung sein Bewenden, dann käme beim Spiel tatsächlich nicht viel mehr heraus als ein „Rasenschach“, bei dem eine Mannschaft mit Zugvorteil beginnt und die andere jeweils nur auf Vorgaben reagiert. Ein Spiel läuft jedoch in der Praxis nie derart statisch ab. Kennzeichnend für den Fußball ist vielmehr der dynamische Wechsel unterschiedlichster räumlicher Konstellationen, wobei sich auch die Rollen der Spieler unablässig verändern.
Bereits 1942 schrieb der französische Philosoph Merleau-Ponty: „Jedes Manöver, das der Spieler unternimmt,