Johannes Roller

Sonnenfarben


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zurückstecken und funktionieren. Da ist es einfach schön, dass sie ganz ungezwungen Spaß hatten.« Und es stimmte, die Mädchen mussten oft zurückstecken. Tobi stand meistens im Mittelpunkt, auch weil es durch seine Krankheit oft nicht anders ging. Er brauchte spezielle Pflege, spezielle Nahrung, spezielle Aufmerksamkeit. Wenn die Mädchen ins Schwimmbad wollten, konnte nur einer von uns mit, der andere blieb bei Tobi. Wenn wir etwas gemeinsam geplant hatten und Tobi ging es schlecht, fiel es entweder ganz aus oder einer von uns blieb zu Hause. Deshalb waren solche Erlebnisse wie die Dreamnight so kostbar für uns als Familie.

      Elisabeth und ich schwelgen noch ein wenig in Erinnerungen, während wir den Kindern beim Spielen zusehen. Momente wie diese sind Schätze für uns, weil sie so selten sind. Zeit als Ehepaar verbringen wir eigentlich gar nicht mehr. Unsere gemeinsamen Momente sind getaktet – von Arztbesuchen und Krankenhausaufenthalten, von Tobis Krankheit und allen damit verbundenen Einschränkungen. Wir schlafen getrennt, damit immer jemand bei Tobi ist. Unsere Ehe funktioniert. Wir funktionieren. Es ist ein Opfer, für das wir uns aus Liebe entschieden haben. Ich glaube, in uns beiden lebt die unausgesprochene Hoffnung, dass es irgendwann wieder anders wird. Wenn es Tobi besser geht, wenn er gesund ist, vielleicht …

      Ich hole meinen Laptop, damit wir uns einige Fotos anschauen können, und öffne den Ordner mit den Urlaubsbildern. Kurz nach der Dreamnight fand unser nächstes gemeinsames Abenteuer statt, das wir uns nach Tobis Diagnose nie hätten träumen lassen.

      Das zweite große Familienabenteuer im Jahr 2012 und wirklich Zeit, alle zusammen zu sein, erlebten wir an der Nordsee. Mein Bruder Paul-Gerhard ist Pfarrer und war mit seiner Frau und den Kindern in Schillig in der Nähe von Wilhelmshaven, wo er ehrenamtlich als Urlaubsseelsorger tätig war. Wir beschlossen, ebenfalls nach Schillig zu fahren und zum ersten Mal seit Tobias’ Geburt Familienurlaub zu machen. In den Jahren zuvor war das einfach unmöglich gewesen, doch nun, wo unser Sohn einigermaßen stabil war, wollten wir es wagen. In Wilhelmshaven war außerdem eine gute Kinderklinik, in der wir jederzeit Hilfe finden konnten, falls es Komplikationen geben oder Tobis Zustand sich verschlechtern sollte. Das ganze Team der Kinderarztpraxis hoffte und betete mit uns, dass alles gut gehen würde.

      Einen Tag vor dem Urlaub hatten wir noch eine mittlere Katastrophe zu bewältigen. Die Kinder waren beim Trampolinspringen, als wir plötzlich lautes Weinen aus dem Garten hörten. Es stellte sich heraus, dass Tobi falsch aufgekommen war und nun sein Bein nicht mehr belasten konnte. Ich fuhr sofort mit ihm in die Klinik. Da die Mitarbeiter dort uns und vor allem Tobias bereits gut kannten, musste er nicht warten, sondern kam gleich dran. Nach dem Röntgen war klar: Tobi hatte sich das Bein gebrochen. Wir machten lange Gesichter. Stand unser Urlaub jetzt auf der Kippe?

      Glücklicherweise konnten uns die Ärzte gleich beruhigen. Tobi bekam eine Schiene, die mit einem Klebeverband am Bein befestigt wurde, sodass wir trotzdem fahren konnten. Der Radiologe notierte sich sogar meine Telefonnummer, um mich im Urlaub kontaktieren zu können.

      Durch das gebrochene Bein waren wir ein bisschen im Hintertreffen, was die Urlaubsvorbereitungen anging. Wir packten zwei Bananenkisten mit Medikamenten, Spezialnahrung und Verbandmaterial für Tobias ein. Dazu kamen sein Kinderwagen, die Fahrräder der Mädchen und Spielsachen für den Strand. Unsere Koffer komplettierten das Gepäck – das Auto war bis obenhin voll. Die Kinder schauten aufgeregt beim Packen zu. Sie waren kaum ins Bett zu bekommen und als sie endlich unter ihren Decken lagen, versuchten sie, ganz schnell einzuschlafen, damit der Urlaub endlich da war.

      Am nächsten Morgen um vier Uhr ging es los. Ich trug die schlafenden Kinder in Decken gewickelt ins Auto und schnallte sie an. Die Mädchen schliefen einfach weiter. Tobi musste dafür erst vorsichtig von der Leitung befreit werden, die zur Ernährungspumpe führte. Doch gerade als ich ihn in seinen Kindersitz gesetzt hatte und anschnallen wollte, wachte er auf.

      »Papa, fängt jetzt Urlaub an?« Er sah mich mit müden, aber leuchtenden Augen an.

      Ich lächelte: »Ja, jetzt fängt Urlaub an.« Tobi lächelte zurück – dann fielen ihm wieder die Augen zu und er schlief ein.

      Die Fahrt war ruhig, wir kamen gut in Schillig an. Unsere Ferienwohnung war schön und nicht weit vom Strand entfernt. Nachdem wir ausgepackt hatten, gingen wir auch direkt ans Meer. Über Tobis geschientes Bein zogen wir zum Schutz vor Sand, Schmutz und Wasser eine Mülltüte. Das Spielzeug für den Strand packten wir zu ihm in den Kinderwagen. Als wir dann mit den Füßen im warmen Sand standen und auf das sonnenbeschienene Meer schauten, wurden die Kinder für einen Moment ganz still. Sie standen staunend und fast ehrfürchtig da, bevor sie jubelnd und ausgelassen im Sand zu spielen begannen.

      Das Wetter war wundervoll und wir genossen die freie Zeit gemeinsam in vollen Zügen. Zweimal am Tag gingen Henriette und Charlotte mit ihren Cousinen Priscilla und Christina ins »Fischerboot«, ein christliches Ferienprogramm für Kinder, das in einem großen Zelt am Strand stattfand. Das Programm war interessant und abwechslungsreich gestaltet. Die Mitarbeiter erzählten Geschichten aus der Bibel und Rätsel. Es gab Spiele und sogar eine Band, die die Kinder beim Singen begleitete. Jeden Morgen setzte ich Tobias in den Kinderwagen und ging mit den Mädchen zum Ferienprogramm. So hatte Elisabeth auch mal ein bisschen Freizeit, in der sie ausspannen konnte.

      Tobi liebte die Zeit im »Fischerboot«. Er hörte den Geschichten mit aufmerksamem Gesicht zu und hatte viel Spaß, wenn alle sangen. Wenn er müde wurde, schob ich ihn im Kinderwagen den Strand entlang und machte einen langen Spaziergang. Er schlief dabei meistens ein. Wir merkten schon nach wenigen Tagen, wie gut die raue Seeluft unserem Jungen tat. Er atmete leichter als sonst und seine Bronchien waren viel freier. Als die Mitarbeiter des »Fischerbootes« erfuhren, dass Tobias chronisch krank war, beteten sie in ihrem Team täglich für ihn. Wir waren davon tief bewegt.

      Auch sonst genossen wir die gemeinsame Zeit. Wir waren häufig am Strand, wo die Kinder spielten und tobten. Zum Schutz gegen Sonne und Wind hatten wir eines dieser Strandzelte, eine Strandmuschel, aufgebaut. Ins Wasser gingen sie anfangs nur mit uns, da sie ein bisschen Angst vor dem großen Meer hatten. Doch bald planschten sie in der flachen Brandung und holten Eimer mit Wasser heran, um Sandburgen zu bauen – und eine Eisdiele. Die Mädchen gruben ein kleines Loch, in das Tobias sich hineinsetzen konnte. Vor ihm bauten sie aus Sand eine Theke. Einige der Sandförmchen waren wie Eiswaffeln geformt, die wurden oben in die Theke gesteckt. Tobi war begeistert: Er konnte jetzt Eisverkäufer spielen und hatte in seinen Schwestern, Cousinen und Cousins eine ziemlich große Kundschaft.

      Überhaupt verbrachten wir viel Zeit mit meinem Bruder und seiner Familie. Mittags aßen wir fast immer gemeinsam. Dank der frischen Luft hatten die Kinder einen guten Appetit. Selbst Tobi schmeckte das Essen besser als sonst.

      Einmal beschlossen wir, mittags am Strand zu grillen – ein richtiges Abenteuer für die Kinder. Draußen zu essen hatte ihnen schon immer gefallen. Wir hatten alles dabei für ein waschechtes Strandpicknick – den Grill, Decken, Fleisch, Gurken, gelbe Rüben, Cocktailtomaten, Radieschen, Brötchen, Geschirr und Besteck. Für den Nachtisch hatten wir jede Menge Obst im Gepäck. Ich feuerte den Grill an und legte die Steaks auf, während die Kinder über den Strand tobten. Die Sonne verschwand an diesem Tag immer wieder hinter den Wolken, aber wir dachten uns nichts dabei. Als die Steaks gerade zur Hälfte gar waren, fing es plötzlich heftig an zu regnen.

      Die anderen Urlauber um uns herum verließen den Strand fluchtartig. Aber es wäre zu schade gewesen, jetzt auch zu gehen. Wir hatten einen roten Sonnenschirm dabei, den ich aufspannte und über den Grill hielt. Der Rest der Familie saß in der Strandmuschel und die Kinder quietschten jedes Mal, wenn ein Regenschauer sie traf. Der Anblick muss wirklich lustig gewesen sein, denn einige der Vorbeihastenden grinsten amüsiert. Gerade als ich fertiggegrillt hatte, hörte der Regen auf und wir konnten gemeinsam essen.

      In dieser unbeschwerten Situation fühlte ich mich so jung und beschwingt wie lange nicht mehr und ich sah Elisabeth an, dass es ihr ähnlich ging. Wir konnten alle die ganze Zeit zusammen sein, das war ein ungewohntes Geschenk für uns. Es gab nicht wie so oft diese Trennung, die Situation, dass nicht alle mitkommen konnten, wenn der Rest der Familie etwas unternahm. Stattdessen gingen wir gemeinsam zum »Fischerboot« oder an den Strand, beobachteten Möwen, sammelten Muscheln und spazierten durch die Brandung, während die Wellen leise rauschend unsere