war sie farbenfroh gekleidet. Sie begrüßte uns mit markanter Stimme und kam nach einigen Formalitäten auf die Behandlung zu sprechen.
»Schlucken ist gar nicht so einfach, wie wir denken. Gerade Kinder, die künstlich ernährt werden und das Essen erst wieder lernen müssen, haben Angst davor. Machen Sie sich also keine Gedanken, wenn es nicht gleich klappt. Manche Kinder brauchen dafür bis zu zwei Jahre, das ist überhaupt nicht schlimm«, erklärte sie uns. Dann wandte sie sich Tobias zu. Man merkte, dass sie gut mit Kindern umgehen konnte. Unser Sohn war gleich gespannt und voller Tatendrang. Alles war interessant und aufregend für ihn.
Bei der Therapie selbst waren wir nicht dabei. Während die Logopädin mit unserem Sohn ins Behandlungszimmer ging, warteten wir in einem anderen Raum. Aber es gefiel Tobi sehr. Anfangs spielten sie nur Spiele rund um das Thema Essen. Memory-Spiele mit Lebensmitteln, Bilder mit leckerem Obst, Gemüse und anderen Gerichten. Später brachten Elisabeth und die Therapeutin Dinge mit, die Tobi mochte. So konnte er die verschiedenen Lebensmittel spielerisch kennenlernen, bevor es ans Essenlernen ging. Die Löffel wie auch die Portionen waren anfangs sehr klein und die Therapeutin achtete darauf, dass er gut kaute. So wurde er langsam Schritt für Schritt an das Schwierigste, das Schlucken, herangeführt.
Natürlich unterstützten wir das Essenlernen, wo wir nur konnten. Elisabeth versteckte kleine Leckereien in der Wohnung, damit Tobias sie fand. Sie bereitete alles so ansprechend und bunt wie möglich zu. Wenn er etwas mochte, dann bekam er es auch. Hauptsache, er aß. Die Arbeit der Therapeutin, Elisabeths Unterstützung und Tobis beeindruckender Lernwille zahlten sich aus. Nach nur einem Dreivierteljahr konnte unser Junge wieder selbstständig essen.
»Woran denkst du, Papa?«, holt mich Hettys helle Stimme aus meinen Gedanken. »Ich denke gerade daran, dass ich ganz schön tolle Kinder habe«, antworte ich ihr mit einem Zwinkern. Sie grinst zufrieden zurück – ich sehe ihr an, wie gut ihr das Lob tut.
Familienabenteuer und Erschöpfungszustände
Nach dem Abendessen sitzen wir noch ein bisschen im Wohnzimmer zusammen. Die Kinder spielen auf dem Teppich und Elisabeth kommt kurze Zeit später aus der Küche dazu. Sie setzt sich neben mich aufs Sofa und zeigt auf die kleine Eisbären-Figur, die Tobi in der Hand hält. »Weißt du noch, wie wir in der Wilhelma waren? Das war ein schöner Ausflug.« Ich stimme ihr zu. Das war im letzten Jahr gewesen.
2012 war alles in allem ein ziemlich ereignisreiches Jahr für uns. Die Belastungen blieben hoch. Ich schlief wegen der Ernährungspumpe keine Nacht mehr durch. Tobis Knochen blieben empfindlich, ebenso wie seine Haut und sein Magen. Er brauchte immer Spezialpflege, damit es ihm gut ging. Ihm war regelmäßig übel und es gab kaum einen Tag, an dem er sich nicht übergeben musste.
Und trotzdem: Er war fröhlich und dankbar. Man konnte ihm mit Kleinigkeiten ganz einfach eine Freude machen. Und Tobias überlegte immer, wie er selbst anderen eine Freude machen konnte. Wenn er Süßigkeiten oder andere Kleinigkeiten geschenkt bekam, schenkte er sie oft weiter und lächelte dabei in sich hinein. Meistens erklärte er sogar, warum gerade der Beschenkte dieses Geschenk bekam, was uns ebenfalls erheiterte. Außerdem liebte er es, Bilder für alle zu malen.
Nun sollten wir gleich mehrere kleine Abenteuer erleben, mit denen wir zu Beginn von Tobis Erkrankung nie gerechnet hätten. Es war, als würde Gott uns kleine Auszeiten schenken, damit wir neue Kraft schöpfen konnten.
Der Stuttgarter Tierpark Wilhelma veranstaltete seit einigen Jahren die »Dreamnight«, eine Veranstaltung, bei der behinderte und chronisch kranke Kinder aus der Region eingeladen wurden. Abends, nachdem die letzten Besucher gegangen waren, durften die Kinder mit ihren Familien in den Tierpark und die Tiere hautnah erleben. Es gab Mitmach-Aktionen und spannende Vorführungen von Tierpflegern, aber auch von Artisten wie Feuerschluckern und Stelzenläufern.
Auch wir bekamen eine Einladung, als unser Sohn gerade drei Jahre alt war. Ich weiß nicht, wer aufgeregter war, Tobias oder seine Schwestern. Wir hatten zwar Kaninchen als Haustiere, aber so ein Tierpark war doch noch mal etwas ganz anderes. Tobi wartete jeden Tag auf die Post und fragte, ob die Eintrittskarte schon da sei. Als sie endlich kam, konnte er sich vor Aufregung kaum halten.
»Tja, Tobi«, lachte Elisabeth. »Jetzt dürfen wir nur wegen dir in die Wilhelma und die Tiere anschauen.«
»Wegen mir!« Unser Jüngster strahlte begeistert. Für ihn war es ein tolles Gefühl, dass die ganze Familie nur wegen ihm so etwas Schönes erleben konnte. Er war ganz stolz und sprach von kaum etwas anderem.
Am großen Tag setzten wir uns ins Auto und fuhren nach Stuttgart. Schon auf der Fahrt schaute Tobias gespannt aus dem Fenster. Die ganze Zeit überlegten seine Schwestern und er, welche Tiere sie zuerst anschauen wollten.
»Vielleicht sind da Kinder, die wir kennen!«, überlegte Charlotte.
»Von Dr. Armann«, stimmte Tobi zu. »Und dann können wir alle zusammen die Tiere angucken.«
»Und leckere Sachen essen«, fiel Henriette ein. Die Kinder begannen zu diskutieren, welche köstlichen Dinge es wohl geben würde. »Wann sind wir da?« war die Frage, die am häufigsten gestellt wurde.
Um 17 Uhr sollte es losgehen und pünktlich standen wir mit den anderen eingeladenen Familien vor dem Eingang. Drinnen begrüßte uns eine Trommelgruppe mit Musik, ein tolles Spektakel. Dann ging es los. Wir durften uns alles anschauen: In der Futterküche sahen wir, wie das Futter gemischt wurde. Die Elefanten beispielsweise bekamen Kohlrabi, gelbe Rüben und Sellerie. Tobi sah mit großen Augen zu, wie sie das Gemüse vorsichtig und bedächtig mit ihren Rüsseln aufhoben und es sich in die Mäuler steckten, als würden sie mit Händen essen. Die Mädchen entdeckten ein Foto, das sie auf der Stelle besonders toll fanden. Es zeigte eine Geburtstagstorte, die einer der Elefanten zum sechzigsten Geburtstag bekommen hatte. Eine Elefantengeburtstagstorte! Sie konnten sich vor Begeisterung kaum einkriegen.
Die Kinder durften sich anschließend den Raum ansehen, in dem die Eisbären ihre Babys bekamen. Die gewaltigen Bären mit ihrem leuchtend weißen Fell beeindruckten Tobias ganz besonders. In einem Raum waren die Transportkisten der Tiere aufgestellt und die Kinder durften sogar hineinklettern. Es gab überall Infostände zu den verschiedenen Tieren. Eine Station bestand aus Schädeln, denen die Kinder kleine Tierfiguren zuordnen mussten. Generell gab es viel zum Anfassen. Die Mädchen fanden das Leopardenfell spannend, über das sie vorsichtig streichelten. Und bei den Alpakas bekam jedes Kind ein Tütchen mit Alpakawolle geschenkt.
Doch das war nicht alles. Polizei und Sanitäter waren ebenfalls vor Ort und hatten ihre Wagen dabei. Die Kinder durften sich alles anschauen und sogar in Polizei- und Rettungswagen hineinsetzen, was fast so spannend war, wie die Tiere anzuschauen. Und überall gab es kostenloses Essen. Verschiedene Firmen hatten Stände aufgebaut, es gab Maultaschen, Hotdogs, Brezeln, Obstsalat, Eis, Kuchen, Getränke und mehr. Schnitzel mit Pommes und Eis am Stiel waren die Favoriten unserer Kinder.
Ein besonderes Highlight waren die Stelzenläufer, die mit Süßigkeiten gefüllte Vogelhäuschen über das Gelände trugen und zu den kleinen Besuchern herunterließen, die sich dann etwas daraus nehmen durften. Wo man hinsah, waren glückliche Kinder. Nachdem es dunkel geworden war, gab es eine Feuershow. Mit großen Augen schauten Klein und Groß den wirbelnden Flammen zu, die von Artisten scheinbar mühelos durch die Luft geschleudert wurden. Tobi griff stumm nach meiner Hand und ich merkte ihm an, wie glücklich er war.
Als wir gegen 22 Uhr den Park verließen, hielt jedes der Kinder stolz eine kleine Eisbären-Figur in der Hand, ein Geschenk der Wilhelma als Andenken an die Dreamnight. Die Mädchen hüpften ausgelassen über den Parkplatz und plapperten fröhlich über das Erlebte. Wir setzten alle in ihre Kindersitze und schnallten sie an. Dann fuhren wir los, es dauerte nicht lange und alle drei waren fest eingeschlafen.
Elisabeth und ich sahen uns an. »Das war so ein schöner Tag. Und