Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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allerdings Jahrzehnte später – berichtete, traf sie dort zum ersten Mal einen jener Mahatmas oder Meister, die ihr späteres Leben bestimmen sollten. Es sei ein schöner, indischer Prinz namens Kut Humi gewesen, der der zwanzig Jahre alten Helena eröffnete, sie sei als seine Schülerin auserwählt, eine Gesellschaft zu gründen, die sich über die ganze Welt ausbreiten werde.

      Ihr Biograf Karl H. Frick merkt an dieser Stelle übrigens sarkastisch an, dass es vermutlich nicht nur der Scheinleib des Prinzen war, der die junge Helena interessiert habe. Aber weiter in der Geschichte dieser bemerkenswerten Frau.

      Folgt man der theosophischen Geschichtsschreibung, dann gelangte sie drei Jahre später zum ersten Mal »in einem Heuwagen versteckt, in das verbotene Land Tibet, wo ihr Meister wohnte, und brachte unter der Obhut von dessen Schwester drei Jahre zu. Sie lernte in Tibet Sanskrit und wurde in die okkulten Wissenschaften eingeweiht.«99

      Dieser zweite Weise aus dem Himalaya, den Blavatzky Master oder Mahatma Morya nennt, wird beschrieben als »ein Mann von ungewöhnlicher Größe, reich und unabhängig, in die Geheimnisse der Magie und Alchemie eingeweiht«.100 Obgleich vom Aussehen her nur 40 Jahre alt, habe er schon mehr als 300 Jahre in seiner jetzigen Inkarnation zugebracht. Master Morya übrigens sollte noch gehörig in die Geschicke Nikolai Roerichs eingreifen.

      Zurück zu dem, was man in Blavatzkys Biografie nachweisen kann. 1858 wurde sie in Paris mit dem berühmten Medium D. D. Home bekannt und ein häufiger Besucher von spiritistischen Kreisen.

      Im Winter 1859/60 kehrte sie nach Russland zurück und blieb eine Zeit lang in Pskow im Norden Russlands bei ihrer Schwester Vera, wo sie bald das Zentrum der Aufmerksamkeit wurde. Ihre Schwester schreibt, Helena Petrowna sei in Begleitung von Poltergeistern (»Esprits frappeurs«) eingetroffen und habe Tische dazu gebracht, zur Decke zu schweben, oder sie zu schwer zum Aufheben gemacht. Sie habe Séancen abgehalten, bei denen der russische Dichter Alexander Puschkin auftauchte, und mit ihren unglaublichen psychischen Kräften einen Mord aufgedeckt

      Nach dem Besuch bei ihrer Schwester reiste Helena Petrowna nach Süden, um ihre Familie in Odessa und Tiflis zu besuchen. Sie verbrachte geraume Zeit damit zu, ihre Verwandten zu besänftigen, die nicht sehr froh waren, das schwarze Schaf der Familie wiederzusehen.

      Später behauptete sie, 1863 habe sie Russland verlassen, um über Italien, Griechenland und den Fernen Osten wieder nach Tibet zu reisen, wo sie angeblich als Chela (Jüngerin) von den Mahatmas der großen weißen Bruderschaft unterrichtet wurde. Auch diese Reise ist nicht belegt. Tatsächlich blieb sie einen großen Teil dieser Zeit in Russland, hatte eine Affäre, wurde schwanger und gebar ein uneheliches Kind. Ihr Sohn war behindert und starb, als sie 1864 oder 1865 mit Arkadi Metrowitsch wieder ins Ausland reiste. Sie kehrte nach Hause zurück, um das Kind zu beerdigen, und verließ Russland erst 1871.

      1873 kam Madame Blavatzky, wie sie sich nun nannte, in die USA, ließ sich in New York nieder und verdiente sich ihren Lebensunterhalt als Journalistin. Sie veröffentlichte sensationelle Zeitungsartikel, die sich gegen die Jesuiten und den Papst richteten, schrieb für den amerikanischen Leser über den Kaukasus und vor allem über den Spiritismus, das Lieblingsthema der Zeit. Sie beschäftigte sich ausgiebig mit verschiedenen östlichen okkulten Systemen und ermunterte ihre amerikanischen Kollegen, sie als Hellseherin, als Medium und als Mystikerin zu sehen. Am 8. September 1875 gründeten sie und ihr getreuer Adlat, Colonel Henry Olcott, ein ehemaliger Soldat und inzwischen Journalist, die Theosophische Gesellschaft.

      »Ziel ist ein esoterischer Bruder- und Schwesternbund für die ganze Menschheit, der zur Erkenntnis des Wahrheitskerns jeglichen religiösen Lebens verhelfen soll. Durch die Erforschung der tieferen geistigen Kräfte und mit Hilfe der theosophischen und mystischen Elemente der Magie, sowie durch andere ›klassische‹ Geheimwissenschaften sollen alle geheimnisvollen, dem Menschen noch nicht aufgeschlossenen Naturgesetze erklärt und verständlich gemacht werden. Schließlich sollen die im Menschen verborgenen okkulten Kräfte entwickelt werden, um ihm übersinnliche Wahrnehmungen zu vermitteln.«101 Ganz im Geist der Zeit verstand sich die Theosophie ausdrücklich als »Wissenschaft« und nicht als religiöser Glaube und gab sich das Motto: Keine Religion ist wichtiger als die Wahrheit. Religionsähnliche Elemente, wie der Glaube an die Reinkarnation, galten durch die Praxis, d.h. den Spiritismus, als wissenschaftlich bewiesen.

      Zwei Jahre später veröffentlichte Blavatzky ihr Buch Die entschleierte Isis. In diesem komplexen Buch (und einem noch komplexeren zweiten, dem 1888 erschienenen Die Geheimlehre) verglich sie die Weltreligionen unter Einbeziehung okkulter Traditionen wie Gnosis, Kabbala und Alchemie, aber auch Hellsehen, Spiritismus und Hypnose. Durch die »vergleichende Esoterik«, wie sie ihre Methode nannte, destillierte sie eine universelle Ursprungsdoktrin heraus und behauptete, diese »Weisheitsreligion« oder »Geheimlehre« sei der Kern aller Weltreligionen und werde von unsterblichen Eingeweihten seit Tausenden von Jahren behütet.102 Die Religionsstifter Jesus, Mohammed und Buddha seien Inkarnationen der »Mahatmas« oder »Meister« gewesen, folglich seien diese, wie auch die anderen Weltreligionen, in der Theosophie enthalten. Diese uralten Weisen würden im Himalaya leben, und zwar an einem Ort namens »Schambala«. Die letztere Idee hatte Blavatzky dem tibetischen Buddhismus entnommen, wo »Schambala« besonders für die einfachen Gläubigen eine Rolle spielte, die man am ehesten mit der vergleichen kann, die die Vorstellung vom Paradies für europäische Christen spielte.

      Schon länger hätte die Bruderschaft nicht mehr in die Weltgeschichte eingegriffen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch wäre die »Bruderschaft der weißen Loge, die Hierarchie der Eingeweihten, die die Evolution der Menschen beaufsichtigen und führen und die diese Wahrheiten unbeeinträchtigt erhalten haben«103, zu dem Entschluss gekommen, es sei nun Zeit, einige dieser Wahrheiten durch Auserwählte nach und nach enthüllen zu lassen. Die erste Auserwählte sei sie, Blavatzky, selbst, und sowohl Die entschleierte Isis als auch später Die Geheimlehre seien ihr von den Mahatmas diktiert worden, mit denen sie in direktem psychischem Kontakt stehe.

      Die Geheimlehre, die sie in ihrem gleichnamigen zweiten Buch auslegte, war eine »eklektische, synthetische, dogmatische Doktrin mit pantheistischen Beimischungen und stark durchtränkt von exotischem buddhistischem Gedankengut und Vokabular«, weshalb man die Theosophie auch als Neobuddhismus bezeichnet hat.104 Das aber führt in die Irre. Wie die Kennerin Maria Carlson darlegt, mischte »die Theosophie Teile und Bruchstücke des Neuplatonismus, Hinduismus, der Kabbala, des Rosenkreuzertums, des Hermetismus und anderer okkulter Doktrinen aus Vergangenheit und Gegenwart zusammen und versuchte eine ›wissenschaftliche Religion‹, eine moderne Gnosis zu sein, die sich auf das absolute Wissen geistiger Dinge, statt auf den Glauben gründete.«

      Dem Ganzen war eine im Wesentlichen jüdisch-christliche Ethik unterlegt, der eine Art spiritueller Darwinismus beigemischt wurde. Angeblich würden die mit dem stärksten Geist überleben, oder aber die, die sich spirituell am weitesten entwickelten.

      Die von Madame Blavatzky dargelegte Kosmologie der Theososophie ist hochkomplex und stark vom Hinduismus beeinflusst. In unendlichen Zeiträumen wechseln sich »Pralaya« genannte Perioden der Ruhe und Auflösung mit solchen der »Manvantara«, der Aktivität und Entwicklung, ab. Was den Einzelmenschen betrifft, so durchläuft er eine komplizierte evolutionäre Abfolge, die rund 800 Inkarnationen umfasst. Und das nur auf dem Planeten Erde, denn gemäß der Geheimlehre muss er sie auch auf den sechs anderen Planeten des Sonnensystems (mehr waren damals nicht bekannt) durchlaufen.

      Es gibt »dunkle« und »helle« Phasen, und was die Menschheit betrifft, so habe es einmal eine große Zivilisation, Atlantis, gegeben, die untergegangen sei, deren »Weisheit« sich aber in den »Mahatmas« erhalten habe. Jetzt sei die Zeit der »fünften Wurzelrasse«, der Arier nämlich, und innerhalb der arischen Rasse wiederum seien es die Slawen, die »siebte Unterrasse«, die nach der stürmischen, materiellen Entwicklung des Menschen den nächsten »Schub« der Evolution, die »geistige« Evolution nämlich, anführen werde. Sie wird zur Verwirklichung einer mehr spirituellen Menschheit beitragen, die mit der sechsten Wurzelrasse erreicht wird.

      Im Einzelnen schrieb Madame Blavatzky in der Geheimlehre, »die grundlegende Mission dieser Epoche der Zivilisation ist es, den Menschen an die physische Ebene anzupassen, um die Vernunft und die praktische Logik zu