Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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Zweck sollten die Roerichs ihre guten Verbindungen nach Paris spielen lassen, wo der Erbe Alfred Nobels lebte. In dieser Hinsicht war Allal Ming ganz praktisch veranlagt. Wörtlich teilte er am Abend des 11. Juli 1921 mit: »Man soll herausfinden, wer für die Verleihung des Nobelpreises verantwortlich ist. Ihr habt auf ihn ein Recht. Ich werde über seine [Roerichs] internationale Friedensarbeit meine Gesellschaft in Stockholm [die schwedische Theosophische Gesellschaft] informieren. Mein Geist sieht einen weltweiten Sieg durch die Verleihung dieser Prämie voraus. Für Russland ist dieser Sieg nötig. Jäger, die Sprünge des Tigers sind dir vertraut. Zwei Ehrenvorsitzende von Cor Ardens [die von den Roerichs gegründete Gesellschaft zur Förderung der Kunst] haben den Preis bekommen. [Gemeint sind Maeterlinck und Tagore, die beide den Nobelpreis für Literatur erhalten hatten.] Mein Lächeln wird neue Förderer heranziehen. Das Wunder wird im Leben durch Liebe und Anstrengung hervorgerufen. Ich denke, Ihr könnt euch entscheiden, mit allen Kräften darauf hinzuwirken.«

      In Sachen Nobelpreis hatte sich Allal Ming sehr weit hervorgewagt. Noch dazu in Anwesenheit weiterer Personen wie des Russen Sak, eines Ökonomen, der bereits vor der Revolution emigriert war und als einziger Emigrant im Kreis der Roerichs über Geld verfügte. Sak sollte auf den Nobelpreis noch mit höhnischen Bemerkungen zurückkommen, was ihm den Eintrag in die bekannte Liste der Feinde Allal Mings einbrachte. Aber ein Jahr später, nachdem sich tatsächlich ein »Wunder« ereignet hatte und die Roerichs zu so viel Geld gekommen waren, dass ihnen alle Wege offenstanden, da hatte Allal Ming die Antwort bereit. Am 16. September um neun Uhr abends teilte er den Roerichs mit: »Ich habe den Friedenspreis gegeben, wie es Sak im vorigen Jahr aufgezeigt wurde. Den Nobelpreis könnt ihr für die Reise zu mir ausgeben. 40 – denke ich, ist der Vorschuss für die Bilder.22 Seht, wie sich der Vorschuss in den Friedenspreis verwandelt.«

      Zwar hatte Nikolai Roerich nicht gerade den Friedensnobelpreis bekommen, aber wenn man der Logik Allal Mings, der den Nobelpreis in eine Chiffre für Reichtum verwandelt hatte, folgt, dann war seine Prophezeiung tatsächlich eingetroffen. Es war etwas geschehen, was den Roerichs in ihrer verzweifelten Lage nur als Wunder vorkommen konnte.

      Kapitel 4

      Die Eroberung der Neuen Welt

      Das Wunder hatte einen Namen und hieß Louis Horch. Louis Horch wurde 1888 in New Orleans als Sohn eines jüdischen Einwanderers aus Elsass-Lothringen geboren und trug ursprünglich, wie sein Vater, den Namen Levy. Doch dieser starb bald nach der Geburt, und die Mutter heiratete einen Deutschen mit Nachnamen Horch und zog mit ihm und dem kleinen Louis nach Mannheim. Der Namenswechsel von Levy zu Horch wäre an sich bedeutungslos, hätten seine Feinde diesen Namenswechsel nicht später als »typisch jüdische« Camouflage ausgelegt und ihn gehässig nur bei seinem »wahren Namen«, nämlich Levy, genannt. Doch der Namenswechsel sollte erst Jahrzehnte später Bedeutung erlangen. Seine Verbindung nach Deutschland dagegen viel früher.

      Als Louis Horch 18 Jahre alt war, kehrte er in die USA zurück und begann an der Wall Street zu arbeiten. Die Wall Street wurde zu dieser Zeit von Bankiers angelsächsischer Herkunft beherrscht, an deren Spitze das legendäre House of Morgan stand. In der zweiten Reihe, aber kräftig nachdrängend, standen Bankiers deutsch-jüdischer Herkunft, mit Kuhn & Loeb als wichtigstem Institut. Die Sphären waren streng getrennt. An den Eliteuniversitäten Harvard und Princeton, aus denen die Wall Street ihren Nachwuchs rekrutierte, gab es eine Quote für jüdische Studenten, die nicht überschritten werden durfte, und die exklusiven Clubs in Manhattan, in denen viele der wichtigsten Deals ausgehandelt wurden, nahmen Juden erst gar nicht auf.

      Doch dafür unterhielten Kuhn & Loeb, sowie die anderen jüdischen Banken, hervorragende Beziehungen zur deutschen Industrie, die vor dem Ersten Weltkrieg gerade dabei war, die Märkte der Welt zu erobern. Nicht zu vergessen auch die zahlreiche deutsche Diaspora in den USA mit ihren deutschen Schulen, Zeitungen und Wohlfahrtseinrichtungen. Louis Horch, der akzentfrei Deutsch sprach, stieg in dieser deutsch-jüdischen Bankwelt rasch auf und wurde Teilinhaber einer auf Devisen spezialisierten Maklerfirma.

      Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam es zu einem heftigen Tauziehen zwischen der angelsächsischen Fraktion, mit der Morgan Bank an der Spitze, und den deutschfreundlichen Bankern, die von Kuhn & Loeb angeführt wurden. Die Morgan Bank, die mit ihrer Filiale Morgan Grenfell auch am Londoner Finanzplatz bestens repräsentiert war, trat von Anfang an für den Kriegseintritt der USA ein und finanzierte Rüstungseinkäufe der Briten. Kuhn & Loeb dagegen arbeitete eng mit deutschen Vertretern zusammen, half dem Deutschen Reich wichtige Rohstoffe über Drittstaaten zu importieren und versuchte alles, um die USA neutral zu halten.

      Als die USA dann 1917 doch in den Krieg eintraten, erlitt nicht nur das deutsche Vereins- und Schulwesen einen Rückschlag, von dem es sich nie mehr vollständig erholen sollte, auch die deutschfreundliche Fraktion an der Wall Street geriet schwer unter Druck.

      Es gab Untersuchungen gegen Kuhn & Loeb, die das Bankhaus stark in Bedrängnis brachten und erst nachließen, als sich ihr Leiter, der in Mannheim geborene Otto Kahn, zur alliierten Sache bekehrte. Vermutlich derselbe Otto Kahn, der 1921 Nikolai Roerich einen jener Kredite gab, die der Künstler dann nicht zurückzahlen konnte. Das ist umso wahrscheinlicher, als Otto Kahn auch ein bekannter Philanthrop und Mäzen der Metropolitan Opera war.23

      Andere Financiers hatten nicht so viel Glück wie die Gesellschafter des einflussreichen Bankhauses und wanderten wegen »Kollaboration mit dem Feind« ins Gefängnis.

      Louis Horch war mit den Gesellschaftern von Kuhn & Loeb, wie auch mit anderen jüdischen Bankiers, die in den umstrittenen Geschäften mit Deutschland eine Rolle gespielt hatten, gut bekannt und teilweise sogar geschäftlich verbunden. Das geht aus den umfangreichen Untersuchungen des State Department in Washington hervor, das sich in den zwanziger Jahren mehrmals auf die Fährte eines weiteren Angehörigen einer »Feindnation« begeben sollte, mit dem sich Louis Horch aufs Engste verbunden hatte. Auf die Nikolai Roerichs nämlich, wobei ein »Special Agent« der Frage nachging, woher der russische Maler auf einmal so viel Geld bekommen hatte. Obgleich das State Department einige Energie darauf verwendete, dem Makler entweder eine nebulöse Verschwörung mit deutschfreundlichen Blockadebrechern aus dem Ersten Weltkrieg oder russischen Kommunisten nachzuweisen, musste man schließlich einräumen, dass es vermutlich wirklich Horch und er allein war, der den großen Geldbedarf des »Propheten der Kunst und Kultur« gestillt hatte.

      Die Untersuchungen Washingtons blieben dem mehrmals befragten Louis Horch nicht verborgen, und möglicherweise auch nicht der antisemitische Tenor, der in den Unterlagen deutlich spürbar ist.24 Kein Wunder, dass Louis Horch, aus dem Ersten Weltkrieg vorgewarnt, sich in Zukunft zur strengen Konspiration bereit zeigte, was die Abenteuer seines baldigen Gurus und dessen Gemahlin anging, und es verwundert auch nicht, dass er äußerst empfindlich reagierte, als er ein Jahrzehnt später durch eben diese Abenteuer in Gefahr geriet, das Schicksal einiger seiner früheren Geschäftspartner zu teilen.

      Dass Louis Horch überhaupt unter den Einfluss der Roerichs kam, ist auf den ersten Blick erstaunlich. In den Tagebüchern, die er später auf Wunsch der Mahatmas führte, erscheint er als jeglicher Fantasie abholder, grundnüchterner Zahlenmensch, der jede Ausgabe und jede Einnahme pedantisch auf den Cent registrierte. Das Einzige, was an dem großgewachsenen, dunkelhaarigen Makler originell war, war sein Gesicht. In der Stirn sah man deutlich eine Einbuchtung, die eine Schädeloperation hinterlassen hatte.

      Ganz anders dagegen seine zehn Jahre jüngere Frau Nettie, die auf Louis einen ähnlichen Einfluss hatte wie Helena auf Nikolai. Sie war zwar studierte Chemikerin, aber stark an Kunst und Kultur und allem Übersinnlichem interessiert. Eine große Rolle dabei spielte der tragische Umstand, dass sie, als sie 1922 die Roerichs kennenlernte, bereits ein Kind verloren hatte und auch ihr jetziges Kind stark zum Kränkeln neigte. Für dieses wie auch die folgenden beiden Kinder sollten die Roerichs und vor allem Helena zahlreiche, aber nicht immer erfolgreiche »Zeremonien« abhalten, bei denen alle Anwesenden ihre Gedanken »konzentrierten«.

      1921 gerieten die Horchs in eine Krise. Welcher Natur sie genau und was der Anlass war, vielleicht der Tod ihres ersten Kindes, lässt sich im Einzelnen nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall begann Louis Horch, vermutlich unter dem Einfluss seiner Frau, mit dem Gedanken zu spielen, die Finanzgeschäfte