Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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letzte Mitteilung in London war auf den 21. September datiert und an Nikolai Roerich persönlich gerichtet. Er bekam den Auftrag, eine Serie von Bildern mit dem Namen »Ausweg« zu malen, und auch die Namen einzelner Bilder: »Der am Morgen aus dem Meer Kommende«, »Schrecken (Göttin der Dämmerung)«, »Mädchen am Morgen bei den Stromschnellen«, »Das Licht der Kraft entzündet die Finsternis«.

      Im Oktober 1920 trafen die Roerichs in New York ein, und vorerst blieben die Mitteilungen aus dem Jenseits so dürftig wie bisher.

      Doch dann, ab Januar 1921, nahm die Zahl der Botschaften sehr stark zu. Anfänglich noch wurden sie bei Séancen übermittelt, aber dann, nach einigen Monaten, Helena Roerich »direkt« eingegeben.

      Folgende Zeilen aus den ersten Januartagen 1921 – eine genaue Datierung fehlt – standen am Anfang. »Denkt über die gewaltige Gabe der Liebe an den einen Gott nach und versteht es, die große Gabe der Sicht auf die zukünftige Einheit der Menschheit zu entwickeln. Die einzige Rettung ist es, den Geist auf das Leuchten der Wahrheit zu richten.

      Der gewaltige Geist der Liebe lebt in der einen Vision, die dem kühnen Geist gegeben wird. Du – die Sehende! Helena Roerich, reine Kunst – die zuverlässige Mitteilung der leuchtenden Erscheinung des Geistes. Durch die Kunst erhältst Du das Licht! Euer Karma – Russland zu verherrlichen!«

      Am fünften Januar folgte der erste datierte Eintrag.

      »Sieben Regeln für die Séancen:

      1 Bildet einen Kreis und wartet geduldig auf die Neuigkeiten, die Euch offenbart werden.

      2 Sammelt die Offenbarungen.

      3 Gleicht die Zeit der Séancen mit London und Paris ab, um mit den Freunden in Korrespondenz zu treten. [Gemeint sind die »Logenmitglieder« Schkljawer und Schibajew in Paris und London.]

      4 Sammelt die Energiewellen und die Wellen der Elektronen.

      5 Versucht den Menschen zu helfen, die Nachrichten der Geister schaffen Gutes.

      6 Sucht einen neuen Apparat, um mit den Geistern in Verbindung zu treten.

      7 Die weltweite Energie rettet die Menschheit.«

      Nur unterbrochen von außergewöhnlichen Umständen, wie Krankheiten von Helena Roerich oder anstrengenden Reisetagen, sollten die nächsten Jahrzehnte Tag für Tag Mitteilungen aus dem »Äther« folgen. Anfänglich wurden sie noch im Klartext notiert, doch je komplizierter, größer und gefährlicher die Mission der Roerichs, desto verschlüsselter wurden die Niederschriften. Die Anhänger der Roerichs sollten noch Jahrzehnte nach dem Tod der beiden viel Mühe darauf verwenden, hinter ihren Sinn zu kommen.

      1921 war noch alles einfach. Neben Botschaften eher mystischer und dunkler Natur ging es ganz konkret um die Belange derer, die sich im Kreis versammelten. Den Kern bildeten Helena und Nikolai Roerich. Zeitweise dabei waren die Söhne Juri und Swetik, die beiden Lichtmanns, Ksenja Muromzew, eine direkte Cousine von Helena, zusammen mit ihrem Mann, der während der Kriegszeit für den russischen Rüstungseinkauf in den USA zuständig gewesen war, sowie weitere russische Emigranten wie der Bildhauer Gleb Derjuschinski. Allen gemeinsam war die Sorge um in Russland verbliebene Verwandte und die schwierige materielle Lage. Mit Ausnahme der Muromzews waren sie auch alle mehr oder minder am Schulprojekt der Roerichs beteiligt.

      Meist war es Allal Ming, der bei den Séancen erschien, aber es kamen auch andere Geister zu Hilfe. So am 2. Februar, als den Roerichs aus dem Jenseits geraten wurde, die berühmten Komponisten Rachmaninow und Prokofjew, die es gleichfalls nach New York verschlagen hatte, sollten die Examen der Musikabteilung der geplanten Schule abhalten. Diese sicherlich werbewirksame Idee stammte von niemand anderem als dem verstorbenen russischen Komponisten Skrjabin, einem bekannten Theosophen. Zumindest zu Prokofjew nahmen die Roerichs Verbindung auf, denn am 1. August teilte Allal Ming mit, man solle sich vor Prokofjew hüten, er sei noch nicht bereit. Am 23. Oktober hieß es, Prokofjew solle mitgeteilt werden, man könne ihn aus allen Gefahren retten. Das scheint den Komponisten aber nicht beeindruckt zu haben, denn ein Jahr später, am 21. Juni 1922, wurde er in den Aufzeichnungen als »Widersacher« bezeichnet, den Allal Ming gerade in die Schranken weise. Ein allerletztes Mal schließlich fand der Name Prokofjew in einer Liste mit Feinden Allal Mings »als nicht ernst zunehmender Witzbold« Erwähnung.

      Nicht besser endete die, wenn auch erheblich engere, Beziehung der Geister zu dem Bildhauer Gleb Derjuschinski. Hier die Eintragung vom 6. März, die einen guten Eindruck vom Detailreichtum der Aufzeichnungen vermittelt:

      »Die gewöhnlichen drei Schläge von Allal Ming wurden dieses Mal von drei schwachen und sehr kurzen Schlägen begleitet. Auf die Frage, was diese zusätzlichen Schläge bedeuteten –

      ›Schurotschka‹ [die vor kurzem mit viereinhalb Jahren verstorbene Nichte von Derjuschinski] [...]

      Auf die Frage, wo sich Allal Ming befindet, antwortet Schurotschka: ›Auf dem Sofa, in der Nähe von Schurotschka.‹ – Auf unsere Frage, ob Schurotschka eine Beschreibung von Allal Ming geben könnte, kam folgende Antwort: ›Langes Gesicht, lange Haare, hohe Gestalt, schwarze Haare, zweigeteilter Bart.‹ – ›Strenges oder gutes Gesicht?‹ – ›Streng.‹«

      Die kleine Schurotschka sollte noch öfters erscheinen, doch dann aus dem Kreis verschwinden. Gemeinsam mit dem Bildhauer, der sich 1922 mit Prokofjew zusammen in der Liste mit Feinden Allal Mings wiederfand. Was war geschehen? Das »Tagebuch« gibt Anhaltspunkte.

      Am 24. März teilte Schurotschka mit, der »Onkel« (i.e. Derjuschinski) solle ein besseres Verhältnis zu Allal Ming und Roerich haben, denn »Roerich der Neue (sic!) wird den Russen seine Macht deutlich zeigen.« Bei derselben Sitzung bekam Derjuschinski auch den Namen seines geistigen Führers aus dem Jenseits mitgeteilt, ein gewisser Fitschia Possudsch aus dem 10. Jahrhundert. Als Derjuschinski die impertinente Frage stellte, wodurch sich sein neuer Lehrer auszeichne, antwortete Schurotschka, »Teurer Onkel, beleidige Fitschia nicht«.

      Ganz gewiss nicht gefallen haben wird Derjuschinski die Meinung Schurotschkas zu seinem Plan, amerikanischer Staatsbürger zu werden. Wie auch Helena Roerich, die ebenfalls dagegen war, riet Schurotschka dringend ab. Und schließlich meldete sich selbst der Vater Derjuschinskis aus dem Jenseits mit der Mahnung, die russische Sache nicht zu verraten. Doch das alles änderte nichts an der Tatsache, dass die russische Sache zwar schön und gut, Derjuschinski wie alle Staatenlosen aber in einer unangenehmen Lage war. Verständlich, dass er die Warnungen aus dem Jenseits in den Wind schlug und die Versuche, die amerikanische Staatsbürgerschaft zu erlangen, weiter betrieb.

      Ein letztes Mal nahm Derjuschinski am Abend des 7. Mai an einer Sitzung teil. Diesmal wurde er kurz abgefertigt. Allal Ming gab bekannt, er könne nicht die ganze Zeit über Derjuschinskis Angelegenheiten sprechen, und auf die Bemerkung von Derjuschinski, die Worte aus dem Jenseits würden ihn nur beunruhigen, antwortete ihm Allal Ming, mit Ängstlichen werde er sich nicht abgeben.

      Eine ähnliche Entwicklung nahm die Beziehung Allal Mings zu den Muromzews. Der ehemalige Rüstungsbeauftragte der Zarenregierung war nach der Revolution völlig mittellos, wie man aus den Anfragen an Allal Ming schließen kann. Aber die Ratschläge halfen nicht. Also beschloss das Ehepaar, auf die Vermittlung Helena Roerichs zu verzichten und einen direkten Draht in die Astralwelt aufzubauen. Allal Ming hatte dafür nur Hohn und Spott übrig. In der Eintragung vom 8. Juni heißt es, Muromzew müsse erst »zwanzig Jahre geistig arbeiten, bevor er einen geistigen Führer verdient hat«.

      Ein Jahr später, am 26. Juni 1922, wurde aus dem Jenseits mitgeteilt, der »Abgrund ist gut genug für die Muromzews«, und am 24. September schließlich fanden sie sich mit Prokofjew und Derjuschinski in der Liste mit den Feinden Allal Mings wieder.

      Die erste Phase von Helena Roerichs Karriere als Seherin und Medium hatte in einem Fiasko geendet. Derjuschinski und die Muromzews waren nicht die Einzigen, die vom Glauben abfielen oder, wie Prokofjew, den Glauben erst gar nicht annahmen. Ein reicher Russe namens Sak, auf den die Roerichs große Hoffnungen gesetzt hatten, eine Sängerin namens Irina Koschiz, die in der Schule als Lehrerin angefangen hatte, und noch einige weitere Emigranten, die in den Aufzeichnungen auftauchen, hatten eine ähnliche Entwicklung wie Derjuschinski gemacht. Nach diesen