Ernst von Waldenfels

Nikolai Roerich: Kunst, Macht und Okkultismus


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eine Revision der Schließschränke zu erwarten. Der arme Roerich! Erst hat er sich vor der Revolution in Sicherheit gebracht und jetzt ist er mittendrin gelandet und steckt hier fest. Das ist selbst für einen solchen Schlaukopf und Weisen keine einfache Lage!«132

      Lange blieben die Roerichs nicht in Petrograd, aber die verpasste Gelegenheit, wenigstens einen Teil dessen mitzunehmen, was während all der Jahre angesammelt worden war, sollte seine Helena später, im Exil, noch öfter beklagen. Zurück blieb auch die wertvolle Gemäldesammlung mit Cranach und Rembrandt, die danach in der Eremitage aufging.

      Kapitel 14

      Der Weg ins Exil

      Nikolai Roerich in Finnland, das war ein Mann zwischen den Zeiten. Der bekannte »Prophet der Schönheit«, der Würdenträger des Zaren, auf dessen jedes einzelne Wort geachtet wurde, spielte auf einmal keine gesellschaftliche Rolle mehr und eine neue war noch nicht in Sicht.

      Er lebte mit seiner Familie in Serdobol, einer kleinen Stadt in Karelien, in der Nähe des Ladogasees, wo nach und nach immer mehr Russen eintrafen, die vor den Bolschewiken geflüchtet waren. Unter ihnen der liberale Politiker Gessen, der mit dem Künstler jeden Tag lange Spaziergänge machte. In seinen Erinnerungen schrieb Gessen, Roerich sei ein äußerst interessanter Gesprächspartner gewesen, man habe ihn aber von der Seite betrachten müssen, da es ihm unangenehm war, »dem Gegenüber ins Auge zu blicken. Auch kann ich mich nicht erinnern, ihn einmal lachen gesehen zu haben, es hätte auch nicht zu seinem Stil gepasst.«

      Nikolai Roerich war zu Gessen ungewöhnlich offen. »Als wir uns dann näher kennenlernten, sprach er immer öfter über geheime Kräfte, die auf die Zivilisationen einwirkten, über die vielen Errungenschaften alter Kulturen, die spurlos verschwunden seien, und über die Telepathie. Wie bestellt, wurde ein solcher Vorfall auch in unserer Beziehung entdeckt.

      Schließlich bekannte er sich zu seinem tiefen Glauben an die Theosophie und erklärte, er würde, hätte er keine Kinder, sofort nach Indien zur Theosophischen Gesellschaft reisen. [...] Sein ungewöhnlich fruchtbringendes künstlerisches Schaffen spiegelte sein theosophisches Streben. Geheimnisvolle Rufe, unruhige Sehnsucht, unbeantwortetes Beten um ein Wunder und die kühne Behauptung eines solchen sowie aufwühlende Schwermut wehten einen von seinen Bildern an. Mit ihrem Glanz und ihrer Durchsichtigkeit waren Ölfarben für ihn nicht geeignet und auch keine scharfen Striche. Es zog ihn zum Unklaren, Verschwimmenden, und daher war er zu den mittelalterlichen Tempera zurückgekehrt, die Strenge, Härte und das Geheimnisvolle wiedergeben.

      Nach der Natur zu malen, hatte er nicht nötig. Zwischen abstrakten Überlegungen und der Wirklichkeit, zwischen Legende und Realität gab es für ihn keine Grenzen.«133

      Den größeren Teil des Jahres lebte Roerich zurückgezogen, widmete sich der Malerei und theosophischen Spekulationen. Keinerlei Artikel oder Aufrufe wurden publiziert. Währenddessen begann in Russland der Bürgerkrieg. Die Bolschewiken hatten den Bogen überspannt, und alle anderen politischen Kräfte stellten sich gegen sie. Die Weißen drangen vor, und eine Zeitlang sah es so aus, als sollten sie den Sieg davontragen.

      Zum ersten Mal in seinem Leben wurde Nikolai Roerich, der es bis dahin immer vermieden hatte, sich klar zu positionieren, politisch tätig. Er wurde Sekretär des skandinavischen Komitees der Weißen, steuerte Deckblätter für antibolschewistische Broschüren bei und spendete sogar 15000 Finnmark an General Judenitsch, der im Sommer 1919 erst vor den Toren Petrograds zurückgeschlagen wurde.

      Roerich wäre nicht Roerich gewesen, hätte er nach seinem finnischen Winterschlaf nicht auch wieder seine vielfältigen Verbindungen aufgenommen. Als den Finnen die russischen Emigranten zu viel und in der Presse Rufe laut wurden, sie bis auf einige Prominente auszuweisen, schrieb er an einen alten Bekannten, den Maler Akseli Gallen-Kallela, der einigen Einfluss in der neuen Regierung hatte, um ein finnisches Reisedokument zu erhalten. Anzumerken ist, dass Nikolai Roerich 1916 noch keinen Pass gebraucht hatte, als er mit seiner Familie in das noch zum russischen Reich gehörige Finnland gereist war, er aber ohne Dokumente nicht aus dem nunmehr unabhängigen Land gelassen wurde. Im Dezember 1918 kam er in Stockholm an, wo er für sich selbst, seine Frau und seine beiden Kinder einen Pass der weißen Exilregierung erhielt. Hier fügte es sich aufs Glücklichste, dass 1914 eine Reihe seiner Gemälde gerade in Schweden zu einer Ausstellung waren und wegen dem Kriegsausbruch dort hatten verbleiben müssen. Diese Bilder wurden mit seinen neuen, in Finnland gemalten zusammengefasst, und eine Ausstellungstournee durch Skandinavien begann, die großen Erfolg hatte. Nicht zuletzt, weil sich im Ausstellungskatalog die slawischen Heldengestalten aus Roerichs früher Periode in Gestalten aus »altskandinavischen Sagen« verwandelt hatten.134 Eine Interpretation, die lebhaftes Echo in der Presse fand, die vom »skandinavischen Geist« Roerichs schrieb.135 Der Teil der Bilder, der nicht verkauft worden war, kehrte mit dem Künstler zusammen nach Finnland zurück, wo man ihn zum Mitglied der finnischen Künstlervereinigung machte. Aber sosehr Nikolai Roerich diese Ehrung gelegen kam, er hatte nicht vor, sein weiteres Leben im Norden Europas zu verbringen. Weder er noch Helena hatten ihr ursprüngliches Ziel vergessen. Und der Weg dahin führte über London, das politische Zentrum des indischen Subkontinents.

      Eben dorthin hatte es den Impresario Diaghilew verschlagen, der zu dieser Zeit dabei war, das berühmte Ensemble der »Ballets Russes« wieder zusammenzustellen. Als Nikolai Roerich dies erfuhr, schrieb er an ihn, wobei er einleitend bemerkte, man müsse die russische Sache jetzt auf allen Gebieten propagieren, aber Finnland sei zu klein, um einen großen Effekt zu erzielen. Dann kam er zum Eigentlichen: »Finde heraus, mein Lieber, was Du für mein Hinkommen und einen Auftritt dort tun kannst.«136

      Diaghilew schrieb sofort zurück, um ihn als Bühnendekorateur zu engagieren.

      Im Mai 1919 kam Roerich mit seiner Familie nach London, um dort über ein Jahr zu bleiben. Er lebte in einer der besten Gegenden, in Süd-Kensington im Londoner Westend, um die Ecke von Royal Albert Hall und Hyde Park. Es war eben am Eingang zum Hyde Park, wo 80 Jahre zuvor Madame Blavatzky zum ersten Mal Mahatma Kut-Humi begegnet war.

      In London führte der Künstler ein Dasein, das stark an seine Petersburger Zeit erinnerte. Da wäre die unablässige Arbeit. Für Diaghilews »Ballets Russes«, die dabei waren, an ihre Vorkriegserfolge anzuknüpfen, malte er die Bühnenbilder für »Fürst Igor«, »Schneewittchen«, »Zar Saltan« sowie den weniger bekannten »Sadko« und arbeitete noch an einer Reihe eigener Gemälde. Auch suchte und fand er Anschluss an höhere Kreise der britischen Hauptstadt. Er trat in die »Russian-British 1917 Fraternity« ein, eine Vereinigung von Mitgliedern des britischen Parlaments und hochgestellten Vertretern Russlands. Der »elitäre Klub«, wie ihn eine russische Historikerin137 bezeichnet, war 1917 gegründet worden, um zu verhindern, dass Russland nach der Februarrevolution einen Sonderfrieden mit Deutschland schloss. Als Ehrenvorsitzender war der britische Premier Lloyd George eingetragen.

      Zum Einstand hielt er gleich nach seiner Ankunft in London einen Vortrag vor der illustren Gesellschaft mit dem Titel »Schänder der Kunst«, der scharf gegen die Bolschewisten gerichtet war. Dort zählte er die Intellektuellen und Künstler auf, die dem Roten Terror zum Opfer gefallen waren. Viele von ihnen hatte er persönlich gekannt. Er beklagte den Untergang des alten St. Petersburg. Wer nicht dem »Fleischwolf« zum Opfer gefallen war, wie man die Maschinerie der Tscheka, der Geheimpolizei der neuen Machthaber, nannte, wurde zu Hunderten auf das sogenannte »Professorenschiff« verladen und zwangsausgewiesen. Religiöse Künstler wie Viktor Wasnezow oder konservative Intellektuelle wie der berühmte Historiker Sergej Platonow sollten ihre Heimat nie wiedersehen.

      Verblieben waren Männer wie Maxim Gorki, der angesichts der Massaker der Tscheka fast verzweifelte, aber sich nie wirklich gegen das neue Regime stellte, und Anatoli Lunatscharski, der Volkskommissar für Aufklärung, der die Propaganda der Roten leitete und eine neue Generation von revolutionären Intellektuellen um sich scharte. Geblieben war auch Stepan Mitusow, der Cousin von Helena Roerich, ein weicher Mensch und völlig unpolitischer Musiker, der nach der Revolution durch seine Freundschaft mit Lunatscharski einen administrativen Posten in der Kulturadministration Petrograds erhielt.

      Auch (noch) nicht emigriert waren Grabar und Benois, die durch ihre Bekanntschaft mit Gorki geschützt