Personenkreis, der bereit war, ihn als geistigen Lehrer und Führer anzuerkennen. Das war vorerst uneingeschränkt nur Nikolai Roerich, dann, in erheblich geringerem Ausmaß, die beiden Söhne Juri und Swjatoslaw und schließlich noch die beiden Lichtmanns.
Kapitel 3
Allal Ming gibt sich zu erkennen
Natürlich stellte sich die Frage, wer Allal Ming eigentlich war, das heißt, wann er gelebt und was er in seinem Leben auf Erden dargestellt hatte. Eine Frage, die Helena und Nikolai bald immer dringlicher stellten und deren Antwort sie nie wirklich bis in alle Einzelheiten erfuhren. Nur dass er aus dem zentralasiatischen Ost-Turkestan, aus der heutigen chinesischen Provinz Xinjiang, stammte, vor mehr als zweitausend Jahren gelebt hatte und selbstverständlich ein hoher Adeliger gewesen war. Doch die genauen Daten seines »irdischen« Daseins waren letztlich auch unwichtig angesichts einer alles überragenden Tatsache: Allal Ming war niemand anders als Mahatma Morya, der Lehrer Madame Blavatzkys. Doch das stellte sich erst nach und nach heraus.
Am 19. Mai 1921 kam auf die Frage, wer Allal Ming sei, die Antwort, man solle ihn mit dem Herzen finden. Am 29. Mai fragte Helena Roerich bereits, ob Allal Ming Kut Humi oder Mahatma Morya sei, und am 20. Juni war alles klar: Der Geist, der aus Helena sprach, bezeichnete sich selbst als Morya und sagte wörtlich: »Ich bringe Roerich Erfolg.«
Und Roerich hatte Erfolg wirklich dringend nötig. Doch der Weg bis dahin war vorerst lang und bitter. Immerhin erfuhr Nikolai Roerich, welche Reinkarnationen er bereits durchlaufen hatte. Die Liste war beeindruckend.
Unter anderem war er ein Zar der Ulusen im 14. Jh. v. Chr. gewesen, ein serbischer Einsiedler und Hellseher, ein Dalai Lama im 17. Jahrhundert und im dritten Jahrhundert vor Christus ein chinesischer Kaiser namens Fujama-Tsin-Tao. Fujama war denn auch der »esoterische« Name von Nikolai Roerich, und in späteren Jahren sollte Morya ihn nur noch als solchen ansprechen.
Helena Roerich bekam von Allal Ming den esoterischen, aus dem Sanskrit stammenden Namen Urusvati, »Licht des Morgensterns«, verliehen. Weiter erfuhr sie, in ihren früheren Inkarnationen sei sie unter anderem eine Kaiserin von Mexiko, Priesterin in Karthago und auf Sizilien, Ehefrau von Salomon, Jadwiga von Zolbern, eine »Darmstädter Feudalherrin« im 13. Jahrhundert, die Pharaonin Hatschepsut und die 1623 gestorbene »Ehefrau von Akbar – Kaiserin von Indien«, gewesen. Die letztere Inkarnation hatte eine besondere esoterische Bedeutung. Akbar, der bedeutendste Herrscher der indischen Mogul-Dynastie, hatte sich durch die Gründung einer »vereinten« Religion hervorgetan, mit der er den ewigen Querelen zwischen seinen hinduistischen und moslemischen Untertanen ein Ende hatte bereiten wollen. Akbar scheiterte zwar mit seiner neuen Religion, aber den Theosophen galt er dadurch als einer ihrer Vorläufer.
Mahatma Morya versprach Nikolai Roerich, seinen größten Traum zu erfüllen. Den von Geldnöten geplagten Künstler, der, wie aus einer Anfrage an Morya hervorgeht, periodisch unter Herzschmerzen18 litt, lud er ein, ihn in seinem Turm im Himalaya zu besuchen und Schambala, das Land der Mahatmas kennenzulernen. Und das nicht einmal, sondern viele Male. Das Russische, das Allal Ming hier und wie auch in seinen anderen Botschaften verwendete, ist auf Deutsch kaum adäquat wiederzugeben. Es zeichnete sich durch zahlreiche Anachronismen, die Verwendung von Ausdrücken aus der Bibel und den hohen, feierlichen Ton aus. Außerdem hatte Allal Ming eine ausgesprochene Abneigung gegen klare Sätze. Wann immer es ging, zog er es vor, sich gewunden auszudrücken. Doch genau dieser Ton machte auch den Reiz der Sprache des Mahatma aus, dessen, allerdings stark redigierte, Verlautbarungen noch heute von Tausenden von Menschen in aller Welt gelesen werden.
»2. Juli. Abends. [...]. Es weht ein Duft von den Bergen Tibets, wir bringen der Menschheit Kunde von der neuen Religion des reinen Geistes. Ihr geht voran, und ihr, die ihr euch zur Verkündigung versammelt habt, tragt den teuren Stein.«
»22. Juli. Morgens. Freunde, schaut voraus, vergesst die Vergangenheit, ich gebe euch auf, der Menschheit Nutzen zu bringen, mit Wissen, das euch in Indien gegeben wird. Ich gebe euch die Hand und führe euch auf die Berge von Tibet.«
»19. August. Abends. Es ist kein Märchen, dass du in diesem Leben bei uns in Tibet sein wirst und danach in Russland unterrichten wirst.«
»29. September. Abends. Ihr werdet es schaffen, nach Tibet zu reisen. [...]. Denk daran, nach Tibet zu reisen. Morya will euch bei sich sehen, euch Vollkommenheit lehren.«
»5. Dezember. Morya hat viele Türme und Wächter an den Abhängen des Himalaya. Rechnet damit, dass niemand ohne Begleiter an dem Wächter im Schnee vorbeikommt. Zwischen dem Eis fließt der gigantische Fluss der Welt. Das Eis wird vom reinen Feuer erleuchtet und die Luft ist gesättigt mit Ozon. Urusvati, ich verbürge mich für Euren Weg.«
»2. April. 11 Uhr abends. Zar der Ulusen, die Ikone von Sergej – sie bringt ihr dem Dalai Lama. Ich fühle euren Weg. Tibet liegt vor euch – ihr reist in östlichen Gewändern. Ihr sollt die Sitten östlicher Gesandter kennen. Ihr seid eine Gesandtschaft. Ich verspreche euch einen unerhörten Weg. Das Märchen des Lebens bekräftigt sich.«
Und nicht nur versprach der Mahatma den Roerichs, sie nach Tibet zu bringen. Er machte noch weitere, nicht minder grandiose Ankündigungen. Am 5. November 1921, die Roerichs wussten nicht einmal, wie sie die Miete zahlen sollten, verkündete Morya, dem Künstler sei es aufgetragen, »Russland zu führen. Ich beschütze Euch mit meinem Schild. Urusvati, der Lehrer, kennt die Entscheidung der Bruderschaft. Jedem von Euch ist eine Arbeit aufgegeben. Neue Fahnen werde ich Euch rechtzeitig geben. Ich werde Euch die Macht geben, ein neues Russland zu bauen.« Und reichlich dunkel hieß es am 12. November, wenn sie, die Roerichs, Russland in der Wüste aufbauten, dann werde die Bruderschaft den Herrn offenbaren.
»Weise wird der Plan der Entwicklung der neuen Rasse entschieden. Ihr seid auch in ihm. Unsere Macht benötigt Arbeiter, die den Weg Russlands sehen. Roerich erklärt die Wichtigkeit der Idee, Urusvati gibt die Bücher für den Weg.«
Diesen fantastisch anmutenden Plänen der Bruderschaft stand ein grauer, ziemlich hoffnungsloser Alltag gegenüber. Ein Alltag, der sich gleichfalls in den Aufzeichnungen der Worte Moryas spiegelte. Am 15. Mai 1920 antwortete er auf die Bemerkung Nikolais, dass er sich schlecht fühle, mit dem weisen Satz, die Müdigkeit des Körpers führe oft zum Schlechtfühlen des Geistes, und auf die Frage, welches Gegenmittel es gebe, sagte Allal Ming: »In mein Land zu reisen. Ich muss dir die Errungenschaften deines Geistes zeigen, um dich zu erheben. Wenn du bittest, gebe ich dir vielleicht den Stein.« Mit dem Stein war, wie sich zwei Jahre später erweisen sollte, nichts anderes als der »Stein der Weisen« der mittelalterlichen Alchemisten oder der »heilige Gral« aus Roerichs Lieblingsoper »Parsifal« gemeint.
Fünf Tage später hatte Allal Ming für den noch immer niedergeschlagenen Nikolai eine Botschaft von Richard Wagner, der sich auf Deutsch aus dem Jenseits meldete: »Sei kräftig, mein geliebter Meister, ich halte Wacht. Ich gebe dir meine Vollmacht.«
Und so ging es weiter. Die folgenden eineinhalb Jahre rissen die ermunternden Botschaften nicht ab. Am 21. Mai versprach Allal Ming ein »glückliches, wunderbares Leben. Dies darf aber keinem Zweifel unterliegen. Ich werde die Verzweiflung besiegen.« Am 3. Juni verkündete er die »reine Freude« und »dass jemand in Madison ein Bild kaufen wird«. Drei Tage später erfuhr Nikolaj Roerich, er solle keine Angst haben, sich zu verschulden, der »Lehrer« kümmere sich um ihn.
Und immer wieder ging es um Roerichs Bilder, die sich gerade auf Tournee durch die USA befanden. Am 4. September riss er sich sogar zu folgender Prophezeiung hin: »Jetzt richtet eure Aufmerksamkeit auf die Ausstellung und auf die Geldmittel für die Abreise. Sobald die Mittel aufgetaucht sind, wird es euch gelingen, die Schule zu eröffnen.«
Am 4. Oktober war Allal Ming vorsichtiger: »Ich glaube, dass ihr es nach Chicago mit dem Geld leichter haben werdet. Ihr könnt ruhig meinen Worten glauben.«
Am nächsten Tag stand im Tagebuch: »Ihr werdet sehen, wie das Geld kommt. [...] Überlasst das mir. Ich glaube, bei der Ausstellung wird ein Bild verkauft werden.«
Doch die Lage wurde nicht besser. Am zehnten Dezember heißt es: »Ihr habt es richtig gemacht, den Schuldschein zu unterschreiben. Ihr braucht euch nicht zu beunruhigen, Roerich soll nach Chicago