ist dazu verurteilt, bedeutungslose Aussagen zu machen (leerem Gerede zu dienen). Das ist am deutlichsten an der einzigen tatsächlich konsequenten Universalsprache, nämlich jener der symbolischen Logik, ersichtlich: Sie ist dafür gemacht, um leere Aussagen (Tautologien) zu artikulieren.
Das heißt aber noch nicht, daß Linguisten nichts zu dem widerlichen Gemetzel zu sagen haben, das aus sprachlichen Gründen in Osteuropa ansetzt und sich zu verbreitern droht. Im Gegenteil, sie können überhaupt erst zeigen, was sich dort ereignet. Und zwar, weil sie zeigen können, wie Nationalsprachen (und überhaupt «Untersprachen») entstehen. Sie entstehen dort und dann, wenn es gilt, neue Informationen zu artikulieren, für welche die ursprüngliche Sprache nicht kompetent war. Zum Beispiel sind die einzelnen romanischen Sprachen aus dem Latein des untergehenden Imperiums entstanden, weil es galt, in Gallien, in Iberien oder in Dakien etwas zu sagen, was in Italien nicht gesagt werden konnte. Demnach sind Nationalsprachen (und alle Untersprachen überhaupt) Werkzeuge zum Erzeugen von Neuem, kreative Instrumente. Sie sind alle, ohne Ausnahme, großartige Produkte des menschlichen Willens, Neues herzustellen. Alle Sprachen, ohne Ausnahme, sind Triumphe des Geistes in seinem Kampf gegen die Sturheit der Welt, in die wir geworfen wurden, und jede einzelne Sprache hat eine ihr eigene, nirgendwo anders zu findende Schönheit. Wer also seine eigene Sprache liebt, liebt alle anderen, denn erst im Vergleich zu anderen (etwa beim Übersetzen) erstrahlt die Schönheit der eigenen und der anderen Sprache.
Das erst erklärt, warum in Transsilvanien (zum Beispiel) Rumänen Ungarn umbringen und von ihnen umgebracht werden: Weil es nämlich um Leute geht, die ihre eigene Sprache nicht genügend gut sprechen, um sie lieben zu können. Die mordenden Rumänen benützen ihre Sprache nur, um leeres Gerede darin zu artikulieren, Schlagworte, Parolen, und nicht, um den Reichtum ihrer Sprache für Kreatives anzusetzen. Sie morden die Ungarn (und umgekehrt), weil sie nichts Interessantes aus dem Rumänischen ins Ungarische (und umgekehrt) zu übersetzen haben. Diese Leute morden einander, weil sie sprachliche Kretins sind.
Das also wäre der Beitrag, den Linguisten zum wiedererwachenden Nationalismus leisten könnten: Wer seine eigene Muttersprache liebt, muß notwendigerweise alle anderen Sprachen ebenso lieben (kann also kein Nationalist sein), weil erst im Vergleich zu anderen Sprachen die Schönheit aller Sprachen völlig leuchtet. Und wer seinen Nachbarn umbringt, weil er eine andere Sprache als seine eigene spricht, der hat keine Ahnung von seiner eigenen Sprache. Also, Nationalismus ist nicht dank Esperanto (oder irgendeinem anderen Universalismus), sondern mittels Kenntnis der eigenen Nationalsprache (und der eigenen Nation) zu bekämpfen. Es besteht jedoch wenig Hoffnung, daß ein derartiger Beitrag der Linguistik zum Kampf gegen den Nationalismus von Erfolg gekrönt wird. Gegen Kretinismus ist kein Kraut gewachsen.
Wohnung beziehen in der Heimatlosigkeit
Gegen meine Gewohnheit und vom Thema «Heimat und Heimatlosigkeit» gelenkt und verleitet, habe ich diesmal vor, das Geheimnis meiner Heimatlosigkeit ein wenig zu lüften. Ich bin gebürtiger Prager, und meine Ahnen scheinen seit über tausend Jahren in der Goldenen Stadt gewohnt zu haben. Ich bin Jude, und der Satz «Nächstes Jahr in Jerusalem» hat mich seit meiner Kindheit begleitet. Ich war jahrzehntelang an dem Versuch, eine brasilianische Kultur aus dem Gemisch von west- und osteuropäischen, afrikanischen, ostasiatischen und indianischen Kulturemen zu synthetisieren, beteiligt. Ich wohne in einem provenzalischen Dorf und bin ins Gewebe dieser zeitlosen Siedlung einverleibt worden. Ich bin in der deutschen Kultur erzogen worden und beteilige mich an ihr seit einigen Jahren. Kurz, ich bin heimatlos, weil zu zahlreiche Heimaten in mir lagern. Das äußert sich täglich in meiner Arbeit. Ich bin in mindestens vier Sprachen beheimatet und sehe mich aufgefordert und gezwungen, alles Zu-Schreibende wieder zu übersetzen und rückzuübersetzen.
Erschwerend und anfeuernd kommt hinzu, daß ich mich für die Phänomene der zwischenmenschlichen Kommunikation, also für die Lücken zwischen Standorten und für die diese Lücken überspannenden Brücken interessiere. Wahrscheinlich ist dieses Interesse auf mein eigenes Schweben über den Standorten zurückzuführen. Dies zwingt mich und erlaubt mir, das Transzendieren von Heimaten nicht nur konkret zu erleben und zu bearbeiten, sondern auch theoretisch darüber nachzudenken. Der folgende Beitrag soll dieses konkrete Erleben, tägliche Bearbeiten und theoretische Überlegen des Themas «Heimat und Heimatlosigkeit» dokumentieren.
Zuerst will ich, so scharf wie möglich, zwischen «Heimat» und «Wohnung» unterscheiden, wobei ich mir peinlich bewußt bin, mit der deutschen Sprache spielen zu müssen. Das deutsche Wort «Heimat» findet, unter den mir geläufigen Sprachen, nur im tschechischen Wort domov ein Äquivalent, und dies wohl dank des Drucks, den das Deutsche auf das Tschechische jahrhundertelang ausgeübt hat. Vielleicht ist der Begriff «Heimat» nur im Deutschen heimisch – der Begriff, nicht aber das Erlebnis? Doch sogar bei dem Erlebnis habe ich meine Bedenken. Erlebt der provenzalische Bauer in Robion seine geschichtliche, weil vielgeschichtete Heimat (an deren Struktur spätpaleolithische, neolithische, ligurische, griechische, römische, visigotische, burgundische, arabische, fränkische, provenzalische, italienische und französische Ahnen mitgebaut haben) im gleichen Sinn, in welchem etwa der brasilianische wandernde Landarbeiter seine terra oder der israelische Kibbuznik sein Eretz Israel erleben?
Während der weitaus größten Zeitspanne seines Daseins ist der Mensch ein zwar wohnendes, aber nicht ein beheimatetes Wesen gewesen. Jetzt, da sich die Anzeichen häufen, daß wir dabei sind, die zehntausend Jahre des seßhaften Neolithikums hinter uns zu lassen, ist die Überlegung, wie relativ kurz die seßhafte Zeitspanne war, belehrend. Die sogenannten Werte, die wir dabei sind, mit der Seßhaftigkeit aufzugeben, also etwa den Besitz, die Zweitrangigkeit der Frau, die Arbeitsteilung und die Heimat, erweisen sich dann nämlich nicht als ewige Werte, sondern als Funktionen des Ackerbaus und der Viehzucht. Das mühselige Auftauchen aus der Agrikultur und ihren industriellen Atavaren in die noch unkartographierten Gegenden der Nachindustrie und Nachgeschichte («hinc sunt leones») wird durch derartige Überlegungen leichter. Wir, die ungezählten Millionen von Migranten (seien wir Fremdarbeiter, Vertriebene, Flüchtlinge oder von Kornseminar zu Kornseminar* pendelnde Intellektuelle), erkennen uns dann nicht als Außenseiter, sondern als Vorposten der Zukunft. Die Vietnamesen in Kalifornien, die Türken in Deutschland, die Palästinenser in den Golfstaaten und die russischen Wissenschaftler in Harvard erscheinen dann nicht als bemitleidenswerte Opfer, denen man helfen sollte, die verlorene Heimat zurückzugewinnen, sondern als Modelle, denen man, bei ausreichendem Wagemut, folgen sollte. Allerdings können sich derartige Gedanken nur die Vertriebenen, die Migranten, nicht aber die Vertreiber, die Zurückgebliebenen erlauben. Denn die Migration ist zwar eine schöpferische Tätigkeit, aber sie ist auch ein Leiden. Wie ja bekannterweise das Tun aus dem Leiden emportaucht («Wer nie sein Brot in Tränen aß…»).
Die Heimat ist zwar kein ewiger Wert, sondern eine Funktion einer spezifischen Technik, aber wer sie verliert, der leidet. Er ist nämlich mit vielen Fasern an seine Heimat gebunden, und die meisten dieser Fasern sind geheim, jenseits seines wachen Bewußtseins. Wenn die Fasern zerreißenoder zerrissen werden, dann erlebt er dies als einen schmerzhaften chirurgischen Eingriff in sein Intimstes. Als ich aus Prag vertrieben wurde (oder den Mut aufbrachte zu fliehen), durchlebte ich dies als einen Zusammenbruch des Universums; denn ich verfiel dem Fehler, mein Intimstes mit dem Öffentlichen zu verwechseln. Erst als ich unter Schmerzen erkannte, daß mich die nun amputierten Fasern angebunden hatten, wurde ich von jenem seltsamen Schwindel der Befreiung und des Freiseins ergriffen, der angeblich den überall wehenden Geist kennzeichnet. Im London des ersten Kriegsjahres, in diesem für Kontinentale chinesischen England, und unter Vorahnungen des kommenden Entsetzens der Menschlichkeit in den Lagern erlebte ich damals die Freiheit. Das Umschlagen der Frage «frei wovon?» in «frei wozu?», dieses für die errungene Freiheit charakteristische Umschlagen, hat mich seither in meinen Migrationen wie ein Basso continuo begleitet. So sind wir alle, wir aus dem Zusammenbruch der Seßhaftigkeit emportauchenden Nomaden.
Es sind zumeist geheime Fasern, die den Beheimateten an die Menschen und Dinge der Heimat fesseln. Sie reichen über das Bewußtsein des Erwachsenen hinaus in kindliche, infantile, wahrscheinlich sogar in fötale und transindividuelle Regionen; ins nicht gut