Margot Neger

Epistolare Narrationen


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viel diskutiert, da nicht ganz klar ist, auf welche der beiden Gattungen die Pronomen haec und illa verweisen. Der Ansatz, haec auf die Rede und illa auf die Historiographie zu beziehen, wurde in jüngerer Zeit von Woodman (2012) mit plausiblen Argumenten gestützt.65 Im Rahmen von drei Kontrastpaaren erläutert Plinius drei Aspekte, in denen sich die beiden Gattungen unterscheiden, wobei es sich hier um die im Fazit (10: postremo) aufgelisteten Kategorien verba, sonus und constructio handeln dürfte. Während sich die Rede durch humilia, sordida und ex medio petita auszeichnet, sind für die HistoriographiePlinius der JüngereEpist. 5.8 recondita, splendita und excelsa angemessen (9) – die hier aufgezählten Adjektive scheinen das jeweilige Vokabular (verba) zu betreffen.66 Beim zweiten Kontrastpaar – ossa, munusculi, nervi auf Seiten der Redekunst, tori und iubae auf Seiten der Historiographie (10) – ist auf den ersten Blick nicht so eindeutig, worin die Antithese besteht, da ja munusculi und tori mehr oder weniger dasselbe bezeichnen. Woodman hat vorgeschlagen, dass hier das Bild zweier Pferdearten im Hintergrund steht, da Pferde oft als Metaphern für Literatur auftreten; im Fall der Rede sei ein „Schlachtpferd“, bei der Historiographie ein „Paradepferd“ imaginiert, und mit diesem Gegensatz werde die Kategorie sonus abgedeckt, da man sich hier die verschiedenen von Pferden verursachten Geräusche im Kampf oder bei einer Parade vorstellen könne.67 Mann muss sich hier m.E. nicht unbedingt zwei Pferdearten vorstellen, sondern kann auch an einen Krieger denken, dessen Körper bzw. Erscheinungsbild in einer Rede mit Begriffen der Alltagssprache, in der Historiographie hingegen mit hochtrabendem Vokabular geschildert wird. Im Hintergrund dürfte eine Passage bei QuintilianQuintilianInst. 10.1.33 stehen, in der Anleihen an der Historiographie in einer Gerichtsrede diskutiert werden (Inst. 10,1,33):

      licet tamen nobis in digressionibus uti vel historico nonnunquam nitore, dum in his, de quibus erit quaestio, meminerimus, non athletarum toris, sed militum lacertis opus esse.68

      Während der Redner in Digressionen bisweilen vom nitor historicus Gebrauch machen dürfe, sei dies für die eigentliche Argumentation unpassend. Dem historischen Stil entspricht hier das Bild eines muskulösen Athleten (athletarum toris), während Quintilian für den kämpferischen Ton der Rede das Bild der Soldatenarme wählt (militum lacertis). Bei Plinius verkörpert der zähe Soldat (ossa, musculi, nervi) die Gerichtsrede, der Athlet mit ausgeprägten Muskeln (tori)69 oder der Krieger mit dem Helmbusch (iubae)70 hingegen die Geschichtsschreibung.

      Als drittes Kontrastpaar stellt Plinius die für die Rede typische vis, amaritudo und instantia den für die HistoriographiePlinius der JüngereEpist. 5.8 angemessenen Elementen tractus, suavitas und dulcedo gegenüber (10), was sich Woodman zufolge auf die constructio, d.h. Wortfolge und Periodenbau, bezieht.71 Es wäre m.E. auch denkbar, das letzte Kontrastpaar mit dem Bereich des sonus in Verbindung zu bringen – der bittere Ton einer Rede stünde dann im Gegensatz zum angenehmen Klang einer Historie72 – und das vorletzte, in dem von Muskeln, Sehnen und Knochen die Rede ist, mit der constructio im Sinne von „Körperbau“ zu assoziieren.73 Mit den aus ThukydidesThukydides1.22.4’ Methodenkapitel entnommenen Begriffen κτῆμα und ἀγώνισμα, die beim griechischen Historiker zwei verschiedene Formen der Geschichtsschreibung (beständiger Nutzen vs. kurzzeitige Unterhaltung) charakterisieren,74 stellt Plinius Historiographie und Gerichtsrede gegenüber und bezieht κτῆμα auf die Geschichtsschreibung und ἀγώνισμα auf die oratio. Wie es scheint, überspitzt Plinius einerseits im Rahmen seiner Antithese bewusst die Merkmale der jeweiligen Gattung und ignoriert die in der antiken Redekunst und Historiographie zu beobachtende stilistische Bandbreite.75 Andererseits ist in diesem Zusammenhang auffällig, wie unklar sich Plinius bei der Gegenüberstellung der beiden Gattungen ausdrückt und wie viel Raum er für unterschiedliche Interpretationen lässt. Man hat bei der Lektüre das Gefühl, dass der Epistolograph die Grenzen zwischen den beiden Genres absichtlich verschwimmen lässt, zumal er ja auch mit seinen Reden etwas Dauerhaftes zu schaffen beabsichtigt, indem er sie überarbeitet und damit von einem ἀγώνισμα in ein κτῆμα zu verwandeln sucht (6: egi magnas et graves causas; has…destino retractare, ne tantus ille labor meus…mecum pariter intercidat). Auch sei auf Epist. 5,5Plinius der JüngereEpist. 5.5 verwiesen, wo Plinius die von Fannius komponierten Bücher über Neros Opfer als inter sermonem historiamque medios charakterisiert (3). Überhaupt stellt sich die Frage, ob Plinius jemals ernsthaft eine Historie schreiben wollte oder nicht vielmehr mit seiner Briefsammlung bereits ein alternatives Projekt liefert.76Plinius der JüngereEpist. 5.8

      Mehrere der Aspekte, über die PliniusPlinius der JüngereEpist. 5.8 in Epist. 5,8 theoretisch reflektiert, finden sich in der narrativen Epist. 5,9Plinius der JüngereEpist. 5.9 wieder. Schauplatz der Handlung ist die Basilika Julia in Rom, wohin Plinius gegangen war, um sich die Reden seiner Gegner anzuhören, denen er beim nächsten Gerichtstermin (1: proxima comperendinatione) antworten sollte. Der Brief bildet somit eine kleine „Gerichts-Historie“ und ist zudem, wie in einem anderen Kapitel noch genauer ausgeführt werden soll, Teil eines juristischen „Briefromans“, der sich um den strengen Prätor Licinius Nepos dreht.77 Plinius beschreibt in Epist. 5,9 das Warten der Richter, decemviri und Advokaten in der Basilika Julia, bis ein Bote vom Prätor kommt und verkündet, dass der Prozess aufgeschoben wird (2). Das Motiv des Aufschubs bzw. der Verzögerung verbindet Epist. 5,9 mit 5,8, denn im vorherigen Brief warnt Plinius seinen Adressaten, dass er mit der Komposition einer Historie abermals zögern könnte (5,8,14: cunctationis et morae iusta ratio), und in Epist. 5,9 freut er sich als handelnde Figur über die Vertagung des Prozesses (2: numquam ita paratus…ut non mora laeter). Wie Plinius in Epist. 5,9 weiter berichtet, war ein Edikt des Prätors Nepos Grund für die Verschiebung (3‒5), und in der ganzen Stadt (6: tota civitate) sei daraufhin eifrig über dieses Edikt kontrovers diskutiert worden (6: carpitur, laudatur; 7: tales ubique sermones). Mit diesen sermones, die Plinius teilweise in direkter Rede wiedergibt,78 wird das in den vorhergehenden Briefen variierte Motiv der mündlichen Gespräche (Epist. 5,8,4: sermunculis…fabellisque; 5,7,6: sermonem; 5,6,6: fabulas…sermonesque; 5,5,3: inter sermonem historiamque und 5,3,1: multum copiosumque sermonem) aufgegriffen und weitergeführt.

      Über das Motiv des Aufschubs wiederum sind Epist. 5,8‒10 miteinander verkettet, denn in 5,10Plinius der JüngereEpist. 5.10 fordert Plinius Sueton dazu auf, endlich seine scripta zu veröffentlichen (2: tu tamen meam quoque cunctationem tarditatemque vicisti).79 Weder der Adressant noch der Adressat werden in diesem Brief räumlich näher verortet, lediglich der Wunsch des Plinius, dass Suetons Schriften verbreitet werden mögen, impliziert eine räumliche Dimension (3: audire describi legi venire volumina). Im Unterschied dazu imaginiert Epist. 5,11Plinius der JüngereEpist. 5.11 wieder einen konkreten Raum, wenn Plinius seinen Schwiegergroßvater Calpurnius Fabatus dafür preist, dass er in Comum (2: patria nostra) in seinem Namen und in dem seines verstorbenen Sohnes eine Säulenhalle eingeweiht und Geld für die Verschönerung der Stadtportale80 versprochen habe (1: te porticum…dedicasse…in portarum ornatum pecuniam promisisse).81 Während der Raum des Adressaten und der Erzählung konkretisiert wird, bleibt der Aufenthaltsort des Briefschreibers unerwähnt. Ziel der Stiftung in Comum ist nicht nur, den Euergetismus des Fabatus öffentlich zur Schau zu stellen – die porticus und portae dienen demnach der Charakterisierung des Stifters – sondern auch das Andenken an den verstorbenen Sohn bzw. Schwiegervater des Plinius zu festigen (2: memoriam soceri mei…proferri). Epist. 5,11 ist sowohl über den Ort Comum als auch das Motiv der liberalitas mit Epist. 5,7 verknüpft, wo Plinius – allerdings eher beiläufig – seine eigene Großzügigkeit gegenüber der Heimat erwähnt, dieses Selbstlob jedoch versteckt, indem er ein juristisches Problem zum zentralen Thema des Briefes macht. So erfahren wir mehr oder weniger nebenher, dass Plinius seiner Heimatstadt bereits 1600000 Sesterze habe zukommen lassen (5,7,3: sestertium sedeciens).82

      Anders als Epist. 5,11 ist der folgende Brief 5,12Plinius der JüngereEpist. 5.12 nahezu „raumlos“: Plinius berichtet hier von einer Rezitation, zu der er einige Freunde eingeladen hat – diesmal sind es