Anne Steinbach

Backpacking in Pakistan


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nicht viele, denn genau wie wir es uns ausgerechnet haben, sind wir nicht zur Gebetszeit da. Wir wollten unbedingt den Massen entgehen und stattdessen die Moschee im goldenen Licht der Abendsonne bewundern.

      Wir stellen unsere Schuhe in die dafür bereit stehenden Regale und laufen Flo auf dem von der Sonne angenehm aufgewärmten Marmorboden entgegen. Über dem Areal liegt der markante Geruch von Stinkefüßen. So intensiv, dass es in der Nase wehtut. Ich glaube, gleich mehrere Abstufungen von Gouda erkennen zu können: jung, mittelalt und alt. Auch wünschte ich, ich hätte Ersatzsocken dabei, um meine Füße und Schuhe vor dem Gestank zu schützen.

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       Pakistan-Lektion #4: Für den Moscheebesuch immer ein Paar Extrasocken einpacken, um Käsefüße zu vermeiden.

      Unser Schweizer Eidgenosse wirkt nicht besonders Schweizerdeutsch, zumindest solange er nicht den Mund aufmacht.

      »Ihr seid gut angekommen, oder?« Das Abgehakte in der Schweizer Mundart wirkt auf mich vom ersten Ton an warm und schwungvoll. Da ist sie wieder, die Heimeligkeit. Ich glaube, das schwungvoll aus dem Mund gepresste »Oder« am Satzende ist weniger als Frage gemeint, sondern vielmehr als Verdeutlichung seiner Aussage.

      »Ja, alles super. Wir hatten auch kaum Jetlag, und du?«, antworte ich wahrheitsgemäß, während wir über den Moscheevorplatz schlendern.

      Flo ist einen Kopf kleiner als ich, dafür aber umso trainierter. Er wirkt wie ein kleines Kraftpaket. Seine blonden Haare ragen in Form etwa drei Millimeter langer Stoppeln aus der Halbglatze. Eins fällt mir an ihm sofort auf: seine Ohren. Nicht dass diese besonders klein oder groß wären oder besonders abstehend. Sie sehen so aus, als hätte sie jemand wie ein Stück Knete zusammengedrückt und einfach verformt.

      Nach wenigen Minuten fühlen wir uns beobachtet. Und tatsächlich haben drei Männer uns im Visier.

      »Hallo, wo kommt ihr her?« Die erste Hand wird mir entgegengestreckt. Dann die zweite. Und dritte.

      »Wir kommen aus Deutschland, und er kommt aus der Schweiz.«

      Reihum schütteln sie Flo und mir die Hand, nur Anne nicht. Sie wird keines Blickes gewürdigt, als stünde sie gar nicht neben uns.

      »Wie alt seid ihr?«

      »Ich bin 35, sie ist 28, und er ist …« Ja, wie alt ist er eigentlich?

      Flo übernimmt lachend die Antwort.

      Wieder wird Anne nicht einmal angesehen, als wäre sie ein Geist. Schnell entzieht sie sich der merkwürdigen Situation und fotografiert stattdessen die Minarette.

      Im nächsten Atemzug fragt uns einer der Männer: »Können wir ein Foto machen?«

      Ich kann bei so was einfach nicht nein sagen, also sagen Flo und ich zu, ohne auch nur annähernd zu wissen, was das an der berühmtesten Moschee der Stadt für eine Kettenreaktion auslöst. Kaum haben wir das Gruppenfoto hinter uns gebracht, will der Erste auch ein Selfie mit mir. Und dann auch sein Kumpel. Und dann der Kumpel vom Kumpel. Und Flo! Flo soll auch noch aufs Foto.

      Schon stehen die nächsten Selfie-Paparazzi bereit. Bald sind zehn Selfies geknipst und mindestens genauso viele Hände geschüttelt. Flo und ich können uns keinen Schritt weiter über den Vorplatz bewegen, ohne von Passanten angesprochen zu werden. Fängt man einmal mit einem Selfie an, geht es reihum. Jeder will ein Foto mit den europäischen Touristen. Und jeder will ein Wort mit uns wechseln.

      Wo ist eigentlich Anne? Sie steht in einem Sicherheitsabstand, beobachtet die Situation sichtlich amüsiert und wird von den pakistanischen Männern immer noch kein bisschen beachtet.

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       Pakistan-Lektion #5: Männer schütteln nur anderen Männern die Hände, nie Frauen.

      Anne | Fatima hat das zarte Gesicht einer Zwölfjährigen. Sie hat mich längere Zeit gemustert, mich beobachtet. Jetzt schwebt sie in ihrer hochgeschlossenen Abaya zu mir, im Schlepptau vier Freundinnen, die ich schon von Weitem kichern höre.

      Wie die Zeiger einer Uhr strecken die fünf Freundinnen ihre Hände in meine Richtung aus. Ich schüttle sie alle, nach und nach. Wir schreiben das islamische Jahr 1440, gerechnet wird von der Geburt des Propheten Mohammeds an. Eine Zeitspanne, in der sich viel hätte ändern können. Doch das hat es nicht. Während Clemens und Flo in ihrer Männertraube zu echten Stars werden, habe ich meinen ganz eigenen weiblichen Harem um mich herum.

      Fatima und ihre Freundinnen sind Studentinnen an der National University of Modern Languages in Lahore. Sie studieren Englisch und sind gerade zu Besuch in Islamabad, um sich die Moschee anzuschauen. Ihr Englisch üben sie am liebsten an Touristinnen. Und davon gibt es gerade nur eine: mich.

      »Wie alt bist du?«, fragt Fatima und landet dabei einen grammatikalisch korrekten Satz.

      »28«, antworte ich.

      »Ich auch«, erklärt sie. Ihr kindliches Gesicht, die weichen Konturen und die schüchterne Stimme versprühen keinen Funken von Selbstbewusstsein.

      »Hast du Kinder?«, fragt mich ein anderes Mädchen. Sie ist rundlicher, wirkt kräftiger und auch stärker als die anderen. Bei den Spice Girls wäre sie ganz klar Tough Spice. Schade, dass es diesen Charakter nie gab.

      »Nein, ich habe keine Kinder«, gebe ich zu und ernte offene Münder. Das hätten sie nicht erwartet.

      »Und er?« Tough Spice bohrt tiefer und zeigt auf Clemens, der mittlerweile eine bestickte Gebetskappe auf dem Kopf hat und mit zwei zum Victory-Zeichen geformten Fingern in eine Handykamera grinst.

      »Das ist mein Ehemann.« Meine Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen.

      »Oh, er ist sehr schön«, flüstert Fatima, jetzt noch leiser als vorher. Ihre Freundinnen fallen in ein herzliches Lachen, verstecken es jedoch hinter vorgehaltenen Händen. Die Moschee ist kein Ort für einen Lachanfall.

      Clemens | Als Tourist hat man in Pakistan schnell ein Dutzend neue Freunde, nicht unbedingt fürs Leben, aber zumindest für ein paar Minuten. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man sie dazu noch als Facebook-Freunde bezeichnen kann oder, je nach medialer Neigung, vielleicht als Instagram-Follower.

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       Pakistan-Lektion #6: Immer mehr Zeit einplanen, denn spontane Gruppenfotosessions dauern ewig.

      Das Spiel mit den Selfies geht jetzt schon über eine halbe Stunde. Ich habe mit 53 Männern völlig unterschiedlichen Alters Selfies gemacht, habe mit 45 die Hand geschüttelt und mit 36 von ihnen persönliche Worte über meine Herkunft, mein Alter und unsere Reiseabsichten gewechselt. Auch haben wir 21 neue Instagram-Follower und 16 neue Facebook-Fans. Fünf von ihnen haben mir direkt eine offizielle Freundschaftsanfrage gestellt.

      Die Mehrheit der Pakistaner ist genauso aktiv in den sozialen Netzwerken wie Europäer, Asiaten und Nordamerikaner, ganz gleich welchen Alters. Unter den 200 Millionen Pakistanern haben Facebook, Twitter, Instagram und Co. 150 Millionen Nutzer. Das heißt, uns folgen nun 0,00002 Prozent der pakistanischen Bevölkerung im Social-Media-fähigen Alter. Na, immerhin.

      Um uns herum stehen immer mehr Menschen. Dabei verliert die Sonne bereits an Kraft. Wollten wir nicht eigentlich Fotos von der Moschee machen statt von uns? Vielleicht sollten wir mal damit anfangen, bevor es dunkel wird. Stattdessen werden uns von allen Seiten Fragen gestellt, zu unserer Herkunft, unseren Reiseplänen und wie uns das pakistanische Essen gefällt.

      »Hey du!« Ein Halbstarker in einer abgewetzten Lederjacke wendet sich an Flo. Dabei ballt er seine Hände zu Fäusten zusammen, zieht seine Schultern nach oben und verschiebt den Unterkiefer nach vorne, sodass er mich an King Kong erinnert. Schnell wird mir klar, dass seine spontane Geste keine Anmache sein soll, sondern vielmehr eine Frage, die er pantomimisch stellt. Vielleicht weil ihm die passenden englischen Worte nicht einfallen?

      Flo fängt an zu lachen. »Ja! Stimmt, ich war mal Wrestler«, antwortet er sichtlich amüsiert