der Lack ist an vielen Stellen abgeblättert, und das Sitzpolster müffelt nach Raucherkarre. Über so was wie den TÜV könnte er nur lachen. Kaum ist der Schlüssel in der Zündung, wummert pakistanische Musik aus den Lautsprechern. Schon nach wenigen Kilometern passt sich unser Herzschlag dem einlullenden Beat an.
Der Schwarze Afghane
ISLAMABAD
Clemens | Unser Fahrer stellt sich als Momi vor. Er ist kräftig gebaut mit breiten Schultern. Sein Polohemd ziert ein kleiner Aufnäher: »Polo Ralph Laurel« steht drauf. Der Rechtschreibfehler fällt mir erst auf den zweiten Blick auf.
Kaum haben wir den Flughafen hinter uns gelassen, redet er wie ein Wasserfall, als wäre die Fahrt ein Vorstellungsgespräch. Ich aber bin noch zu müde für eine richtige Unterhaltung, und mein Kopf ist ganz diesig. Wieso ist er überhaupt schon so wach? Und konzentriert er sich beim ständigen Umdrehen zur Rückbank eigentlich auf die Straße?
Momi ist neugierig: »Was wollt ihr denn gerade in Pakistan? Ihr könnt mit eurem deutschen Pass doch überall hin«, ergänzt er und hat sehr wohl recht damit. Das belegt der jährliche Henley Passport Index. Er analysiert, basierend auf Daten des internationalen Dachverbands der Fluggesellschaften, wie frei und ungehindert von Visabestimmungen und Einreisebeschränkungen sich die Bürger eines Landes dank ihres Reisepasses im Rest der Welt bewegen können. Das Ergebnis im Jahr 2019: Deutsche können derzeit in 187 Staaten einreisen, ohne vorher ein Visum beantragen zu müssen. Nur Bürger aus Japan und Singapur können noch mehr Länder visumfrei bereisen, und zwar 189. Pakistan hingegen landet mit 30 Ländern, in die visafrei eingereist werden kann, abgeschlagen auf einem der letzten Plätze, unterboten nur noch von Syrien (29), Irak (27) und Afghanistan (25).
Momi argumentiert weiter: »Also wir Pakistaner dürfen ja kaum einfach so irgendwo einreisen. Wisst ihr, wenn ich einen deutschen Pass hätte, ich würde überall hinreisen, nach Amerika, Thailand, Australien, Frankreich oder England, aber doch nicht nach Pakistan!«
»Wir wollen einfach schon sehr lange nach Pakistan, wir wollen das Land kennenlernen«, erklärt Anne unsere lang gehegten Reiseträume.
Wieder dreht er sich hastig zu uns um. Diesmal aber reißt er seine Augen so weit auf, dass man Angst hat, seine Augäpfel könnten herauskullern. »Ja, wirklich?«, prustet es aus ihm heraus. Er lacht dabei mit einer tiefen Bärenstimme in seine große, fleischige Hand hinein.
Ja, wirklich.
»Raucht ihr Shit?«, ruft Momi gut gelaunt zu uns nach hinten und hat dabei ein kleines Etwas eng zwischen seinen schwarzen Fingern, die aussehen wie eine stark geräucherte Wildsalami. Er hält uns einen etwa zwei Zentimeter großen Klumpen Schwarzer Afghane unter der Nase und formt ihn in seiner Hand zu einem Würfel.
»Nein, nein, den rauchen wir nicht«, antworten wir.
Enttäuscht zieht er seine Hand zurück und schiebt sich mit der anderen einen Glimmstängel zwischen die gelb verfärbten Zähne. »Wirklich nicht?« Er scheint doch ziemlich erstaunt über unsere Antwort. »Es ist wirklich gute Qualität«, versucht er seine Ware anzupreisen, »die Beste.« Er würde uns ja auch einladen, ergänzt er mit eindringlicher Nettigkeit. Dabei dreht er den Batzen wie Knete zwischen seinen Fingern und fuchtelt damit herum. Dichter Rauch stößt aus seinem Mund und zieht sofort durch das leicht geöffnete Fenster wie in eine Dunstabzugshaube. Wie das Wageninnere liegt auch die Landschaft draußen in einem mystischen Dunst.
Nach fast einer Stunde ist die Straße besser zu erkennen. Sie ist so gar nicht das, was wir uns unter den Straßen in Pakistan vorgestellt hatten. Die Fahrbahn ist frisch geteert, die Straßenmarkierungen scheinen erst gestern gemalt. Kaum ein Auto ist unterwegs.
Anne | Vor ein paar Tagen sah es noch ganz anders aus. Da haben wir vom heimischen Wohnzimmer in Berlin-Friedrichshain aus die Aufnahmen von den Straßen Islamabads verfolgt. Sie waren dicht gefüllt mit Männern und schwarzen Flaggen, mit denen sie gegen die Freilassung der Christin Asia Bibi demonstrierten, die als erste Frau Pakistans 2010 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden war. Die Bilder gingen durch alle deutschen Kanäle und ließen unsere Familien und unsere Freunde noch misstrauischer gegenüber unserer Reise werden.
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Pakistan-Lektion #3: Gotteslästerung und jegliche Form der Blasphemie wird in Pakistan mit der Todesstrafe geahndet.
Der Grund für die Proteste war ein erneutes Aufflammen der Thematik. Genau eine Woche vor unserer Einreise war Asia Bibi vom Obersten Gerichtshof freigesprochen worden, ihr Urteil wurde fallen gelassen. Tausende von Menschen füllten daraufhin die Straßen in Islamabad. Sie rissen ihre Arme in die Höhe, wehten die Flaggen der dschihadistisch-radikalen Partei TLP durch die Luft und forderten Bibis sofortige Tötung. Jetzt fahren wir auf genau diesen Straßen, als das einzige Auto weit und breit, durch die morgendlich verschlafene Großstadt. Und doch schweifen meine Gedanken immer wieder zurück zu den Bildern, die in Momis kleinem Dealer-Auto weit weg scheinen. Langsam kommen wir dem Zentrum näher, die Straßen werden noch breiter, die Gehwege grüner.
(Quelle: Tagesspiegel)
Clemens | Unsere Unterkunft trägt den bezeichnenden Namen Exclusive Tourist Apartment, wobei sich das ›Exclusive‹ vor allem auf die Wohngegend bezieht, den Sektor F-8, das Zuhause der besser gestellten Gesellschaft und der meisten Botschaften. Das sagt, wie an vielen Orten dieser Welt, einiges über den Mietspiegel aus. Kein Wunder also, dass über fast jeder Straßenecke eine Überwachungskamera thront. Auch findet man keine Straßennamen weit und breit.
Das Hotel hat kein Schild vor der Tür. Nicht einmal an der Klingel finden wir einen Namen. Die Vorhänge sind zugezogen, die Scheiben verspiegelt. Über dem Eingang zeigt eine teetassengroße Sicherheitskamera genau auf unser vorgefahrenes Auto. Momi ist sich sicher, dass wir an der richtigen Adresse sind. Gemeinsam steigen wir aus und drücken den Klingelknopf aus schickem Messing. Keine Reaktion. Weder antwortet jemand über die Gegensprechanlage, noch ist Bewegung an den Vorhängen zu erkennen. Gerade wollen wir wieder in den Suzuki Alto steigen, da öffnet sich von innen das zwei Meter hohe Eingangstor.
Wir sind da!
Zum Abschied reicht uns Momi eine Visitenkarte mit seiner Handynummer darauf. »Sagt Bescheid, wenn ihr was braucht!« Dabei schaut er uns so aufgedreht an, dass ich mir nicht sicher bin, was er eher meint: einen Transport oder den Schwarzen Afghanen.
Freundschaftsanfrageversendet
ISLAMABAD
Clemens | Rashid dürfte an der 50 kratzen. Er trägt eine weite Leinenhose, glänzend polierte Lederschuhe und ein weißes Anzughemd, aus dessen Kragen schwarze Brusthaare herauswuchern. Genau dieselbe Farbe hat auch sein breiter Schnurrbart, der so perfekt voluminös und rundum getrimmt ist, dass ich ihn zuerst für eine Filmrequisite halte.
Kaum sind wir in den Honda Civic gestiegen, beugt sich Rashid zu seinem chinesischen Smartphone vor, das im festen Klammergriff einer Plastikhalterung von der Windschutzscheibe hängt. ›Pakistan Monument‹ ist darauf als Ziel angegeben. Und darunter ist die genaue Adresse zu erkennen: Shakarparian Hills, Islamabad, Islamabad Capital Territory, Pakistan.
»Dann wollen wir mal«, sagt Rashid und schaltet in den D-Modus seines Automatikgetriebes. Schon nach wenigen Kurven durch das Botschaftsviertel biegen wir auf eine sechsspurige Straße ab, den Kashmir Highway, der die Stadt exakt in der Mitte durchschneidet.