Nina Kayser-Darius

Notarzt Dr. Winter Staffel 1 – Arztroman


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denen mir die Arbeit nicht gut von der Hand geht – entweder weil ich unkonzentriert bin oder aus anderen Gründen. Dann bekomme ich manchmal ganz schlechte Laune. Manchmal macht es mir aber auch gar nichts aus. Dann lasse ich die Arbeit sein, reite zwei Stunden und fühle mich danach wie ein König.«

      Ihr Gesicht hellte sich auf. »Mir geht es genauso. Ein langer Ritt hat mir schon oft geholfen, mein Gleichgewicht wiederzufinden.«

      Erneut schwiegen sie, und John mußte plötzlich an diesen Arzt denken, der seine Fresken bewundert hatte. Dr. Adrian Winter. Ein sehr netter Mann. Es müßte schön sein, so jemanden zum Freund zu haben. Dann könnte er ihm von Mareike Sandberg erzählen und wie aussichtslos er in sie verliebt war. Und was würde dieser nette Dr. Winter wohl dazu sagen? Würde er ihm raten, sein Glück trotzdem zu versuchen? Obwohl sie einen reichen und bekannten Mann hatte?

      »Wie wäre es denn mit einem kleinen Galopp?« schlug er vor, um sich vor seinen eigenen Gedanken in Sicherheit zu bringen. »Was glauben Sie, wie Sie sich danach erst fühlen! Sie werden sich nicht einmal mehr daran erinnern, daß Sie geglaubt haben, heute sei ein grauer Tag!«

      Ihre braunen Augen schienen fast schwarz zu werden, und ein schwer zu deutender Ausdruck lag in ihnen, als sie ihn jetzt ansah. Er bereute schon, seine letzte Bemerkung gemacht zu haben. Wenn ihr etwas ernsthafte Sorgen bereitete, dann konnten diese natürlich durch ein paar Stunden auf dem Rücken ihres Pferdes nicht aus der Welt geschafft werden. Hätte er doch nur seinen Mund gehalten!

      Sie lächelte, aber es war ein so trauriges Lächeln, daß es ihm fast das Herz zerriß. »Also los, dann galoppieren wir«, sagte sie und trieb ihr Pferd an.

      Im nächsten Augenblick jagten sie nebeneinander über das Feld.

      *

      »So geht das nicht weiter, Mareike!« sagte Robert. »Ich wünsche nicht mehr, daß du in diesen Reitclub gehst. Du vernachlässigst deine Pflichten hier im Haus.«

      Sie war gerade erst zurückgekehrt und stand vor ihm, noch in Reitkleidung und ziemlich verschwitzt von dem langen Ritt dieses Nachmittags. Verständnislos sah sie ihn an. »Wovon sprichst du denn? Ich gehe doch schon lange jede Woche zweimal zum Reiten, und bisher war es nie ein Problem.«

      Er packte ihren Arm und zog sie in eins der Zimmer, dessen Tür er nachdrücklich hinter sich schloß.

      »Jetzt ist es ein Problem, hast du mich verstanden? Es paßt mir nicht, daß du dort so viel Zeit verbringst.«

      »Aber mir paßt es!« sagte sie bestimmt.

      Ungläubig sah er sie an. »Hast du mich nicht verstanden?« fragte er mit gefährlich leiser Stimme. »Ich will nicht, daß du weiterhin dort zum Reiten gehst. Mehr gibt es zu diesem Thema nicht zu sagen. Schluß damit!«

      Einen Augenblick war es ganz still im Raum, dann sagte Mareike, genauso leise wie ihr Mann: »O doch, es gibt doch eine ganze Menge dazu zu sagen, aber ich bin sicher, das willst du alles gar nicht hören. Deshalb sage ich dir nur das Wichtigste. Das war’s mit uns beiden, Robert. Ich verlasse dich, und zwar sofort. Such dir eine andere, die du betrügen und herumkommandieren kannst. Eine andere, die sich damit begnügt, hübsch für dich auszusehen, und die bereit ist, charmant mit ekelhaften Leuten zu plaudern, weil es für dich wichtig ist. Für dich, wohlgemerkt, für niemanden sonst. Such dir eine andere, die du als Schmuckstück herumzeigen kannst. Ich bin ein Mensch, und ich will auch als ein solcher behandelt werden. Aber das verstehst du ja nicht!«

      Er stand da wie vom Donner gerührt. Wie konnte sie es wagen, so mit ihm zu sprechen? Dann auf einmal, völlig überraschend, lächelte er. »Du bist überreizt!« sagte er milde. »Das kommt vor. Zieh dir erst einmal die verschwitzte Kleidung aus, nimm ein Bad – und dann essen wir zu Abend. Ich werde vergessen, was du alles gesagt hast, und gewiß bereust du es jetzt schon bitter.«

      Ohne ein weiteres Wort verließ er den Raum, und sie starrte ihm nach. Er würde sie niemals ernst nehmen!

      *

      Rosemarie Hagen schloß die Leihbücherei des kleinen Ortes in Brandenburg und machte sich auf den Heimweg. Sie war müde, aber das wunderte sie nicht. Es war ihr erster Arbeitstag nach einer schweren Grippe gewesen, und er hatte sie mehr angestrengt, als sie sich eingestehen wollte. Der Arzt hatte ihr gleich geraten, lieber noch ein paar Tage zu warten mit der Arbeit. Sie hatte ihm jedoch erklärt, sie werde verrückt, wenn sie auch nur noch eine Stunde zu Hause verbringen müsse.

      Nun ja, alles in allem war es recht gutgegangen. Sie würde sich heute abend zeitig schlafen legen und morgen würde es ihr bereits viel besser gehen. Wenn sie nur in der Mittagspause nicht soviel eingekauft hätte! Ihre Tasche war ziemlich schwer, aber sie hatte auch viel gebraucht.

      Sie ging langsam auf ihr kleines Reihenhaus zu, das ihre ganze Freude war. Sie hatte es sich gekauft, obwohl sie es sich kaum leisten konnte, aber noch keine Sekunde hatte sie diesen Entschluß bereut. Schade, dachte sie, daß ich erst so spät auf diesen Gedanken gekommen bin. Die Freude hätte ich mir schon früher gönnen sollen. Sie wurde bald sechzig, und manchmal fühlte sie sich auch so. Meistens jedoch fand sie, daß sie noch ganz gut mithalten konnte. Und in der Bibliothek machte ihr niemand etwas vor. Sie war mit dem Computer schneller als alle anderen.

      Als sie ihr Haus erreicht hatte, kniff sie unwillkürlich die Augen zusammen, um besser zu sehen. Es kam ihr so vor, als kauere jemand auf den Treppenstufen vor der Haustür, aber das war eigentlich unmöglich. Sie erwartete keinen Besuch. Und sie kannte auch niemanden, der sich vor ihre Haustür setzen würde. Schließlich wußten alle, wo sie zu erreichen war. Jeder würde in die Bücherei kommen!

      Aber als sie näherkam, stellte sie fest, daß dort tatsächlich jemand saß, den Kopf auf den Knien, die Arme fest um die Beine geschlungen. Es war eine junge Frau.

      »Mareike?« rief Rosemarie Hagen ungläubig. »Bist du das wirklich? Was um alles in der Welt tust du denn hier?«

      Ihre Nichte hob den Kopf, und obwohl es dunkel war, erkannte Rosemarie, daß ihr Gesicht völlig verweint war und daß sie verstört aussah.

      »Tante Rosemarie, kann ich für einige Zeit bei dir bleiben?«

      *

      »Was heißt das, meine Frau ist nicht da?« herrschte Robert Sandberg seine Hauswirtschafterin an.

      Die Frau war blaß und hatte sichtlich Angst vor seinem Zorn, aber das kümmerte ihn nicht. »Also?«

      »Sie ist nicht da«, wiederholte sie mit bebender Stimme. »Ihr Bett ist unbenutzt, ein Koffer und einige ihrer Sachen sind auch weg.«

      »Was sagen Sie da?« Sein Blick wurde so drohend, daß sie unwillkürlich einige Schritte zurückwich. Bei Robert Sandberg wußte man nie, wie er im Zorn reagierte. Sie hatte es zwar selbst noch nicht erlebt, aber die anderen im Haus erzählten, daß er durchaus imstande war zuzuschlagen.

      »Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, Herr Sandberg!« Ihr Tonfall wurde flehend. »Bitte, ich muß zurück in die Küche, sonst…«

      »Gar nichts müssen Sie!« rief er mit donnernder Stimme. »Zuerst schaffen Sie meine Frau hierher, haben Sie mich verstanden?«

      »Aber…«, begann sie, doch dann wußte sie nicht weiter. Schließlich sagte sie leise und mit gesenkten Augen. »Niemand weiß, wo sie ist, Herr Sandberg. Ich habe schon alle gefragt. Keiner hat sie gesehen. Niemand hat bemerkt, daß sie das Haus verlassen hat. Wir dachten, Sie wüßten, daß sie verreisen will.«

      Robert wollte erneut brüllen, besann sich jedoch eines Besseres. Er wußte nur zu gut, was das bedeutete: Der Klatsch würde blühen!

      Offensichtlich war es Mareike gestern abend mit ihren Worten doch ernster gewesen, als er angenommen hatte. Schlimm genug, daß bereits der gesamte Haushalt Bescheid zu wissen schien. Er haßte es, wenn er die Dinge nicht unter Kontrolle hatte. Und eine weggelaufene Ehefrau war in seiner Position eine Katastrophe. Er konnte sich lebhaft vorstellen, mit welcher Häme seine Konkurrenten auf eine solche Nachricht reagieren würden. Er mußte als erstes dafür sorgen, daß er nicht länger wie ein verlassener Idiot wirkte.

      »Ich