Nina Kayser-Darius

Notarzt Dr. Winter Staffel 1 – Arztroman


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      Eine leichte Röte stieg in Mareikes Gesicht. »Wir haben uns getrennt«, sagte sie. »Ich wohne dort nicht mehr. Aber bitte, Frau Dr. Berger, ich möchte nicht, daß sich das jetzt schon herumspricht. Wenn es soweit ist, wird es sicher noch schlimm genug werden. Ich war bei einer Tante auf dem Land, um überhaupt erst einmal zu mir zu kommen und mir darüber klarzuwerden, was ich will und was nicht.«

      »Ach, so ist das«, sagte Esther, die allmählich die Zusammenhänge begriff. Das erklärte natürlich auch die überaus ausgelassenen Party-Geräusche, die sie im Hause Sandberg im Hintergrund gehört hatte. Robert Sandberg schien den Weggang seiner Frau nicht besonders zu bedauern, aber sie hatte schon oft sehr unschöne Gerüchte über ihn gehört. Bisher allerdings hatte sie ihnen keine Bedeutung beigemessen. Doch wenn etwas Wahres an dem war, was man über den reichen Industriellen munkelte, dann hatte seine junge Frau sicher eine kluge Entscheidung getroffen.

      »Und weshalb wollten Sie mich nun wirklich sprechen?« fragte Mareike.

      »Nun, einmal tatsächlich, weil Sie auf einmal wie vom Erdboden verschwunden waren. Und dann, um Sie zu fragen, ob Sie von John Tanners schwerem Unfall gehört haben?«

      Mareike wurde schneebleich. »Unfall? Herr Tanner hatte einen Unfall? Was denn für einen Unfall?«

      Esther erzählte ihr in wenigen Sätzen, was sich ereignet hatte, und Mareike Sandbergs Gefühle für John Tanner ließen sich deutlich an ihren Reaktionen ablesen.

      »Das ist ja schrecklich«, flüsterte sie, als Esther ihren Bericht beendet hatte. »Und in welcher Klinik liegt er?«

      »In der Kurfürsten-Klinik.«

      »Ich muß ihn sofort besuchen«, sagte Mareike. »Wenn ich bedenke, wie lange er schon dort ist, und ich habe überhaupt nichts davon gewußt…«

      Sie merkte plötzlich, wie verräterisch ihre Reaktion war und versuchte zu retten, was zu retten war. »Ich meine, wir sind immerhin öfter zusammen ausgeritten. Nicht, daß wir uns besonders gut kennen, aber man nimmt doch Anteil…«

      Sie brach ab, es war aussichtslos. Ein Blick in Esther Bergers Augen sagte ihr außerdem, daß sie sich nicht zu bemühen brauchte. Die junge Ärztin wußte längst Bescheid über ihre Gefühle für John Tanner.

      Esther beschrieb ihr genau, wo sie John finden würde. Mareike bedankte sich, stieg wieder in ihr Auto, wendete und fuhr zurück.

      Esther sah ihr lange nach. Sie hoffte, daß diese beiden Menschen, die sie sehr gern hatte, obwohl sie sie kaum kannte, endlich zueinander finden würden.

      *

      Dieser Tag war bisher der schlimmste, fand John. Er hatte wieder einmal nichts gespürt, als einer der Ärzte ihm über den Unterschenkel gestrichen hatte. Seine Beine erschienen ihm vollkommen nutzlos, sie hingen einfach an seinem Körper, aber er konnte sie nicht mehr gebrauchen. Und wenn er seine Beine nicht mehr gebrauchen konnte, dann war sein Leben nichts mehr wert!

      Sicher, er hatte sich die ganze Zeit über keine Hoffnungen gemacht, zumindest hatte er sich das eingebildet. Aber sein verrücktes Herz hielt sich nicht an die Regeln, die der Kopf aufstellte. Es war jedesmal enttäuscht, wenn sich wieder einmal herausgestellt hatte, daß sein Zustand völlig unverändert war.

      »Sie haben Besuch, Herr Tanner«, sagte eine der Schwestern, und er mußte sich anstrengen, nicht zu brüllen. ›Ich will keinen Besuch!‹ Immerhin war es möglich, daß Esther Berger kam. Sie war die einzige, mit der er gern gesprochen hätte. Oder mit ihrem Bruder, aber der war heute morgen schon bei ihm gewesen, ganz grau im Gesicht, weil der Nachtdienst so anstrengend gewesen war.

      »Guten Tag, Herr Tanner«, sagte eine sanfte Stimme, und er schloß unwillkürlich die Augen. Nicht das, dachte er. Bitte, alles, nur das nicht. Dann öffnete er die Augen wieder, drehte den Kopf, so weit das möglich war, und sagte hölzern: »Guten Tag, Frau Sandberg. Ich wollte nicht, daß Sie kommen.«

      Sie war ohnehin blaß, aber nun schien ihm, als wiche auch der letzte Rest Farbe aus ihrem Gesicht. Er hatte sie verletzt, und das hatte er natürlich nicht gewollt. Aber wie sollte er ihr erklären, wie schwer es für ihn war, seinen jetzigen hilflosen Zustand zu ertragen – zumal er noch immer nicht wußte, ob dieser Zustand von Dauer sein würde.

      »Dann gehe ich gleich wieder«, sagte sie steif. »Ich wollte Sie nicht belästigen.«

      Sie wollte sich schon umdrehen, als er hastig rief: »Warten Sie, bitte! Ich… ich wollte nicht, daß Sie mich so sehen, verstehen Sie das denn nicht? Ich fühle mich so elend, so nutzlos… Ich kann es nicht ertragen, daß Sie mich in diesem Zustand erleben.«

      Die Farbe kehrte in ihre Wangen zurück, und sie kam langsam auf ihn zu. Ohne ein Wort setzte sie sich auf den Stuhl neben seinem Bett. Erst nach einer ganzen Weile sagte sie: »Ich habe erst heute erfahren, daß Sie verunglückt sind. Ich war… verreist für einige Zeit.«

      »Ich…, also, ich meine, wir… wir haben uns schon Sorgen um Sie gemacht, als Sie plötzlich nicht mehr zum Reiten gekommen sind«, erwiderte er.

      Sie ging nicht darauf ein, sondern sagte: »Frau Berger hat mir erzählt, was passiert ist. Ich habe sie am Bauernhof getroffen.«

      »Sie hat mich schon mehrmals besucht. Eine sehr nette Frau. Ihr Bruder arbeitet hier in der Notaufnahme, wußten Sie das?«

      Sie schüttelte den Kopf. Beide waren froh, daß sie endlich ein unverfängliches Thema gefunden hatten, über das sie reden konnten.

      Nach einiger Zeit aber überwand Mareike doch ihre Scheu und fragte: »Wie schlimm sind Ihre Verletzungen, Herr Tanner?«

      Er lachte, und sie erschrak über die Bitterkeit in seinen Augen. »Ich werde wahrscheinlich ein Krüppel bleiben, obwohl sich hier alle redliche Mühe geben, mich vom Gegenteil zu überzeugen«, antwortete er. »Ich bin querschnittsgelähmt – hat Ihnen Frau Berger das nicht erzählt?«

      »Doch«, antwortete Mareike. »Das hat sie erwähnt, aber sie hat auch gesagt, daß sich diese Lähmungen zurückbilden können.«

      »Können ja. Aber nicht müssen!«

      »Und warum glauben Sie, daß Sie ein Krüppel bleiben? Das können Sie doch genauso wenig sicher wissen, wie die Ärzte wissen können, daß Sie gesund werden.«

      Darauf wußte er keine Antwort, und so schwieg er. Dabei hätte es so vieles gegeben, das er ihr hätte sagen wollen. Aber nicht hier. Nicht, während er so hilflos im Bett lag.

      Mareike hingegen überlegte, ob sie ihm erzählen sollte, daß sie ihren Mann verlassen hatte, aber sie entschied sich dagegen. Es war der falsche Zeitpunkt, fand sie. Das eilte nicht, sie konnte es ihm immer noch sagen. »Ich gehe dann mal wieder«, sagte sie schüchtern. »Aber wenn ich darf, komme ich wieder.«

      Ganz fest preßte er die Lippen zusammen, um nicht zu sagen, was er eigentlich sagen wollte. Er wandte den Kopf ab und sah aus dem Fenster. »Warum wollen Sie Ihre Zeit mit einem Krüppel verbringen?« fragte er. »Haben Sie nichts Besseres zu tun?«

      Sie blieb noch einen Augenblick stehen und wartete darauf, saß er sie ansah. Doch das tat er nicht. Da drehte sie sich um und ging.

      *

      Dr. Adrian Winter sah nachdenklich auf Robert Sandberg hinunter. »Sie haben sehr großes Glück gehabt, wissen Sie das eigentlich?« fragte er. »Es war nur ein ganz leichter Schlaganfall.«

      Der Mann mit den harten Augen nickte. »Ja, ich glaube, jetzt habe ich begriffen, was Sie mir schon beim letzten Mal sagen wollten, Herr Doktor.« Vorsichtig versuchte er, die Finger seiner rechten Hand zu bewegen. Es ging, wenn auch noch ein wenig mühsam.

      »Um so besser«, erwiderte Adrian. Der Mann war ihm unangenehm, aber er war ein Patient und mußte daher behandelt werden wie jeder andere auch. »Sollen wir jetzt Ihre Frau benachrichtigen?«

      »Nicht nötig«, antwortete Robert Sandberg. »Sie erfährt es früh genug. Steht es etwa noch nicht in allen Zeitungen, daß man mich in einem Bordell aufgelesen hat?«

      »Das