plötzlich. Und das muß mit seiner Frau zu tun haben.
Sie blieb noch lange in ihrem Sessel sitzen und dachte nach.
*
»Ich hasse Nachtdienst!« schimpfte Dr. Bernd Schäfer vor sich hin. »Ich bin ein Morgenmensch, nachts bin ich zu nichts zu gebrauchen.«
Dr. Adrian Winter sah seinen überaus wohlgenährten jüngeren Kollegen mit einem nachsichtigen Lächeln an. »Dann hast du dir den falschen Beruf ausgesucht, Bernd! Als Arzt an einem Krankenhaus wird es dir kaum gelingen, ohne Nachtdienste auszukommen.«
»Ich muß ja nicht hierbleiben«, murrte Bernd. »Ich könnte eine Praxis eröffnen und reich werden.«
»Als Chirurg?« erkundigte sich Adrian. »Oder willst du noch eine Spezialausbildung machen – sagen wir mal: Kieferchirurgie?«
Bernd Schäfer verzog das Gesicht. »Du bist gemein. Statt mich aufzubauen, entmutigst du mich auch noch.«
Schwester Monika Ullmann kam atemlos hereingestürzt, und sofort strahlte Bernd.
Noch immer war er hoffnungslos in sie verliebt. Sonst war sie einem kleinen Flirt nie abgeneigt, obwohl Bernd überhaupt nicht ihr Typ war, aber jetzt hatte sie dafür keine Zeit.
»Ein ungefähr vierzig Jahre alter Mann ist in einem Bordell zusammengebrochen«, sagte sie. »Verdacht auf Schlaganfall. Sie bringen ihn direkt hierher.«
Die beiden Ärzte waren sofort höchst konzentriert. Als die Sanitäter den Mann hereintrugen, hätte Adrian beinahe einen scharfen Pfiff ausgestoßen. Er unterdrückte ihn im letzten Augenblick.
»Das ist Robert Sandberg!« sagte er leise zu Bernd. »Er war neulich schon einmal hier, und ich habe ihn gewarnt, daß er aufpassen muß. Er hat offenbar nicht auf mich gehört.«
Er stellte den Sanitätern noch einige Fragen, dann eilten sie wieder hinaus, und die beiden Ärzte begannen mit der Untersuchung.
Adrian beugte sich über den Patienten. »Herr Sandberg, wissen Sie, was passiert ist?«
Der Mann stöhnte und bewegte die Lippen. »Nein…«, brachte er schließlich heraus. »Ich… ich… Wo…?«
»Im Krankenhaus«, antwortete Adrian. »In der Kurfürsten-Klinik. Ich bin Dr. Winter, erinnern Sie sich an mich? Sie sind vor gar nicht langer Zeit schon einmal hiergewesen.«
»Nein«, brachte Robert Sandberg mühsam heraus. »Weiß… nicht.«
»Das macht nichts, Sie sind jetzt sehr müde und erschöpft, ruhen Sie sich aus. Wir kümmern uns um alles. Es wird Ihnen bald bessergehen.«
»Aber ich…« Der Patient brach ab, das Sprechen fiel ihm zu schwer.
»Rechtsseitige Lähmung«, sagte Bernd leise, und Adrian nickte. Er hatte nichts anderes erwartet.
»Können Sie die Finger an Ihrer rechten Hand bewegen, Herr Sandberg?«
Zeigefinger und Daumen zuckten. »Sehr gut«, lobte Adrian und wandte sich dann an Schwester Monika. »Infusion für Herz und Kreislauf, wir müssen ihn stabilisieren. Und dann sag bitte sofort auf der Intensivstation Bescheid. Er könnte Glück gehabt haben, daß es nur ein leichter Schlaganfall ist.«
Geschickt brachte Monika Ullmann die Infusion an, dann verständigte sie die Intensivstation. Adrian und Bernd setzten die Untersuchung währenddessen fort, aber sie konnten in der Notaufnahme nicht mehr viel für den Patienten tun.
»Ich kann ihn gleich rüberbringen«, sagte Schwester Monika, als sie zurückkam.
»Gut, dann mach dich sofort auf den Weg«, bat Adrian. Sie halfen ihr, das Bett aus der Notfallkabine in Richtung Fahrstuhl zu schieben, und Monika rollte es eilig den Gang entlang.
»Und der war in einem Bordell?« fragte Bernd, als sich die Fahrstuhltüren hinter der Schwester und dem Patienten geschlossen hatten. »Ist der nicht mit einer wunderschönen blonden Frau verheiratet? Ich habe mal Bilder von den beiden in einer Zeitschrift gesehen. Wieso geht der denn ins Bordell, wenn er so eine Frau hat?«
»Keine Ahnung«, antwortete Adrian. »Interessiert mich auch nicht. Aber was immer er getan hat: Es war nicht gut für ihn.«
»Arme Frau«, sagte Bernd nachdenklich. »Stell dir mal vor, du hörst, daß dein Mann im Krankenhaus ist – das ist schon mal ein Schock. Aber dann hörst du auch noch, wo er zusammengebrochen ist. Findest du nicht, daß das der totale Hammer ist?«
Adrian nickte müde. »Ja, das finde ich auch, Bernd. Aber vielleicht liebt sie ihn nicht, sondern hat ihn nur des Geldes wegen geheiratet. Dann wird sie eine solche Nachricht verkraften können, meinst du nicht auch?«
Bernd war erschüttert. »Du bist doch sonst nicht so zynisch«, sagte er. »Was ist denn auf einmal in dich gefahren?«
»Ich weiß es auch nicht«, antwortete Adrian traurig. »Es war gar nicht zynisch gemeint, Bernd. Aber manchmal fürchte ich, daß die Welt viel schlechter ist, als wir denken.«
»Du arbeitest zuviel, und das schlägt dir aufs Gemüt«, stellte Bernd fest. »Und dann noch dieser verflixte Nachtdienst! Der muß einen Menschen ja fertig machen!« Er sagte es mit einer Art grimmiger Genugtuung.
*
»Der Rest is’ für Sie, Frollein«, sagte der beleibte ältere Fahrgast und stieg erstaunlich behende aus dem Taxi.
»Danke schön«, erwiderte Mareike und verstaute das Geld sorgfältig in ihrer Tasche. Alter Geizkragen, dachte sie, versuchte aber gleichzeitig, sich nicht zu ärgern. Der Mann war nicht arm gewesen, das hatte sie sofort gesehen. Aber sein Trinkgeld war mehr als mickrig!
Sie hatte überhaupt, seit sie an einigen Tagen die Woche Taxi fuhr, feststellen können, daß die Leute mit dem meisten Geld die kleinsten Trinkgelder gaben.
Natürlich gab es Ausnahmen, aber die Regel war so. Sie fand es merkwürdig.
Für heute jedenfalls war sie fertig, und darüber war sie froh. Denn sie hatte für diesen Abend noch etwas ganz Besonderes vor: Sie würde zum Club fahren. Und sie würde sich nicht darum kümmern, was man hinter ihrem Rücken tuschelte. Sollten sie alle sagen, was sie wollten!
Als sie bei ihrer Tante Rosemarie gewesen war, hatte sie im Club angerufen und gebeten, daß jemand ihr Pferd bewegte. Sie würde, hatte sie erklärt, eine Zeitlang nicht kommen können. Aber das war jetzt vorbei, und wenn sie sich auch sonst keinerlei Luxus mehr leisten konnte: Das Reiten würde sie nicht aufgeben. Sie wußte jetzt, daß sie mit dem Taxifahren immerhin genug verdienen konnte, um für einige Zeit über die Runden zu kommen – alles andere mußte man abwarten.
Sie fuhr den Wagen zurück in die Zentrale, setzte sich in ihr eigenes Auto – das immerhin hatte sie klugerweise behalten – und machte sich auf den Weg. Ihre Vorfreude machte sie ganz kribbelig.
Aber sie kam gar nicht bis zum Club, denn als sie an Langhammers Bauernhof vorbeifuhr, auf dem Esther Berger ihre Stute Luna untergebracht hatte, sah sie, daß die junge Ärztin gerade dabei war, ihr Pferd zu satteln. Sie hupte ganz kurz, um das Pferd nicht zu erschrecken, und hielt an.
»Frau Berger!« rief sie, und Esther drehte sich erstaunt um.
»Meine Güte, Frau Sandberg, Sie schickt mir ja der Himmel über den Weg. Ich habe schon bei Ihnen zu Hause angerufen, leider vergeblich.«
Mareike stellte den Motor ab, stieg aus dem Wagen und lief auf Esther zu. »Sie haben versucht, mich anzurufen?« fragte sie verwundert. »Einfach nur so – oder gab es einen Grund?«
»Na, hören Sie mal! Sie verschwinden spurlos, und da fragen Sie noch?« Esther sah Mareike neugierig an. Sie wirkte völlig verändert, fand sie, und das lag nicht allein an der ungewöhnlichen Kleidung.
Mareike bemerkte ihren Blick und sagte verlegen: »Bei mir hat sich einiges geändert, aber das wissen Sie dann ja schon. Haben Sie mit meinem… mit meinem Mann gesprochen?«
»So kann man das nicht ausdrücken«,