Kai Sichtermann

Kultsongs & Evergreens


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Titel wurde auch sein Leben verfilmt: 1987, unter der Regie von Luis Valdez und mit dem jungen Lou Diamond Phillipps, der Ritchie Valens ein hübsches Gesicht gab. Durch den Film gelangte die Original-Valens-Version noch einmal weltweit in die Hitparaden, neben der ausgezeichneten Filmfassung der Kalifornischen Band Los Lobos, die zum Sommerhit des Jahres 1987 avancierte und es in den USA und England sogar auf Platz Eins schaffte. La Bamba ist der einzig spanischsprachige Titel, der in die Liste der 500 besten Rocksongs aller Zeiten des Musikmagazins Rolling Stone aufgenommen wurde.

      Ritchie Valens’ La Bamba-Interpretation wurde zum Urstein des cross over Ethno-Rocks, der sich im heutigen Mexiko zum eigenen Chicano-Rock-Stil entwickelte; und Valens selbst zum ersten Latin-Rocker der Musikgeschichte. Ebenso beeinflusste diese eine geniale Aufnahme des alten mexikanischen Volksliedes Latin-Rock-Musiker von Carlos Santana bis Los Lobos. Im Programm hat den Song jede gute Band, selbst Metallica haben La Bamba einst live gespielt. Cover-Versionen gibt es unzählige. Tom Miller, ein bekannter US-Reise-Autor, hat im Jahre 2005 über 80 Fassungen von La Bamba als CD-Kompilation »The Best of La Bamba« herausgegeben.

      Und noch auf ganz anderem Wege hat sich La Bamba unsterblich gemacht: »Twist and Shout« war 1963 der erste internationale Top-Ten-Hit der Beatles, den sie immer am Schluss ihrer Konzerte spielten, so auch bei ihrem letzten Auftritt im Candlestick Park, San Francisco, Ende August 1966. Bert Russell hatte das Stück 1961 zusammen mit Phil Medley für die Isley Brothers geschrieben – so sagte er. Bei genauerem Hinhören ist es musikalisch bis hin zum Gitarrenriff identisch mit der Valens-Version von La Bamba. Nun, der Räuber raubt es dem Räuber, »La Bamba« eben.

      Ergänzung

      Einige Quellen gehen davon aus, dass der schwedisch-amerikanische Sänger und Gitarrist William Clauson während einer Mexiko-Reise dort die »Ur-Version« von La Bamba hörte: schnelle Folklore mit Harfe und Akustik-Gitarrenbegleitung. Clauson verlangsamte das Tempo ein wenig und machte daraus als erster – also noch vor Richie Valens – einen Latin-Folk-Song. Diese Version von Clauson könnte Valens möglicherweise als Vorlage für seine Rock’n’Roll-Fassung gedient haben. Das würde erklären, warum in der Retrospektive, der »Ritchie Valens Story«, William Clauson als Autor von La Bamba genannt wird. Das als seriös geltende Plattenlabel Rhino Records berief sich dabei auf Aussagen von jemandem, der es wissen müsste: der Valens-Produzent Bob Keane. Wenn diese Theorie stimmt, müsste Valens La Bamba bei einem Clausen-Konzert gehört haben – so wie es auch im Valdez-Film zu sehen ist. Denn auf der LP »Clauson in Mexico!« von 1958 sucht man den La Bamba-Titel vergeblich. Erst 1963 veröffentlichte Clauson den Song zusammen mit dem Latin American Trio Los Tres Guaramex auf einer Langspielplatte.

      Titel – Autoren – Interpreten

      La Bamba

      Original-Musik: Traditional – 17. Jahrhundert

      Spanischer Text: Traditional – 17. Jahrhundert

      Frühe Tonträgeraufnahme: (als »El Jarabe Veracruzano«/ »Die Hochzeit in Veracruz«): Andres Huesca – um 1908

      Großartige Version mit zwei verschiedenen Tempi: Harry Belafonte – 1956 ; Label: RCA Victor

      Erste Hit-Version: Ritchie Valens – 1958/59; Label: Del-Fi (US)/London (UK)

      Typisch mexikanische Folklore-Interpretation: Mariachi Vargas de Tecalitlán – 1963; Label: Arcano (MX)/RCA Victor (US)

      Internationaler Top-Ten-Hit: (als »Twist And Shout«) The Beatles – 1963; Label: Odeon (D), Tollie, Capitol (US), Parlophone (UK)

      Hit-Produktion aus dem Film »La Bamba«: Los Lobos – 1987; Label: Warner Brothers (US)/Metronome (DE)

Coverbild

      When The Saints Go Marching In

      Afrika/USA 18./19. Jahrhundert

      Vom Spiritual über Gospel zu Jazz

      Zwischen 1619, der Ankunft der ersten Sklavenschiffe in Amerika, und 1865, dem offiziellen Ende der Sklaverei als Ergebnis des amerikanischen Bürgerkrieges, – also 246 Jahre lang – wurden schätzungsweise 10 Millionen Afrikaner in den Süden von Nord-Amerika deportiert. Die Mehrzahl der Sklaven musste unter extrem harten Bedingungen auf riesigen Baumwoll- und Tabakplantagen schuften. Durch die Gottesdienste der Plantagenbesitzer und die Missionierung von Gruppen protestantischer Christen, wie anfangs den Quäkern, und später den Methodisten und Baptisten, kamen die Geknechteten Mitte des 18. Jahrhunderts mit der Botschaft der Bibel und der Lehre und Leidensgeschichte von Jesus in Berührung. Zwei sehr unterschiedliche Kulturen trafen aufeinander: Weiße christliche Lehren mit getragenen Chorälen, Psalmen, Hymnen und liturgischen Gesängen wurden nun mit schwarzer religiöser Ekstase, afrikanischen Rhythmen (Polyrhythmik) und ungewohnter Harmonik (Pentatonik) und mit inbrünstigem Gesang wiedergegeben. Als Ergebnis dieser Kulturvermischung bildeten sich religiöse Gesänge heraus, deren Inhalte einerseits das eigene Schicksal und das unendlich große Leid mit dem Wunsch nach Freiheit waren, und andererseits verwandte Geschichten der Bibel, die die Unterdrückung des Volkes Israel in Ägypten und die babylonische Gefangenschaft thematisierten. Das Grundmotiv Befreiung, wie der Auszug aus Ägypten und der Einzug ins Gelobte Land unter Moses, wurde sowohl bei der Arbeit auf den Feldern als auch später bei schwarzen Gottesdiensten aus tiefster Überzeugung besungen. Typisches Merkmal vieler Lieder war das Call and Response: Ein Gesangspart wird von einem Sänger vorgesungen, mehrere Nachsänger antworten im Chor.

      Die Vokalgesänge, die in der Zeit zwischen dem späten 18. Jahrhundert und Mitte des 19. Jahrhunderts durch die schwarzen Leibeigenen entstanden, werden allgemein als »Spirituals« (dt., geistliche Lieder) oder »Negro Spirituals« bezeichnet. Damit die Spirituals nicht in Vergessenheit gerieten, gab es glücklicherweise verdiente Menschen, die die Songs gesammelt, bearbeitet und publiziert haben; unter anderem waren dies: Isaac Watts (1707), John Newton (1779), Richard Allen (1801), Philipp Bliss (1874), W. E. B. Du Bois (1903), John Wesley (1915?), James Weldon Johnson (1925), Howard W. Odum und Guy B. Johnson (1925) und Edward Boatner (1927). Aus diesem großen Kultur-Schatz gab es einige Lieder, die besonders beliebt waren, öfter gespielt wurden als andere und so im Laufe der Zeit sehr bekannt wurden. Manche von ihnen gelangten sogar zu weltweitem Ruhm.

      Eines dieser Lieder ist When The Saints Go Marching In. Ob der Song in seiner heute bekannten Form auch irgendwann mal von Sklaven auf den Plantagen als Spiritual gesungen oder vielleicht später – Ende des 19. Jahrhunderts – als eine Art Trauermarsch gespielt wurde, ist nicht überliefert. Falls es so war, hat The Saints eine Umkehrung erfahren. Wir wissen nämlich, dass er in der Geburtsstadt des Jazz, in New Orleans, der Hafenstadt am Mississippi River in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts (besonders um 1910 bis 1920) bei den traditionellen Beerdigungen auf dem Rückweg vom Friedhof zur Innenstadt als swingendes Jazzstück gespielt wurde. Üblicherweise wurde diese Musik im New Orleans-Stil gespielt, also eine Besetzung mit Trompete, Posaune, Klarinette, Tuba und Banjo. Lutz Eikelmann, deutscher Jazz-Musiker, klärt uns auf: »Jazz war zu Beginn eine lebensbejahende Musik, die unter widrigen Umständen entstand. Von der Sklaverei ›befreite‹, aber dennoch weiterhin unterdrückte Afro-Amerikaner zeigten einem gewissen System den Stinkefinger und lebten eine Lebensfreude und einen freien Geist, diesen widrigen Umständen zum Trotz. Wie man bei einer traditionellen New Orleans Beerdigung auf dem Weg zum Friedhof Hymnen und Trauermärsche spielt, nach der Beisetzung dann tänzelnd mit fröhlicher Musik durch die Straße nach Hause oder in die nächste Kneipe zieht und damit den Sieg des Lebens über den Tod triumphieren lässt, so schreit der Jazzgeist die Botschaft hinaus: ›Wir sind glücklich, nicht weil die Umstände glücklich sind, sondern trotzdem!‹«

      Die früheste, heute noch erhaltene Tonträgeraufnahme von When The Saints Go Marching In, datiert aus dem Jahre 1923, stammt von der schwarzen Vokalgruppe Paramount Jubilee Singers. Von den zahlreichen späteren Interpreten, die The Saints gespielt und bekannt gemacht haben, muss einer hervorgehoben werden: Louis Armstrong (1901–1971), schwarzer Trompeter und Sänger, einer der bedeutendsten Jazzmusiker überhaupt und wahrscheinlich weltweit der bekannteste. »Satchmo« (von Satchelmouth), wie er wegen seines großen Mundes von seinen Fans liebevoll genannt wurde, war ein brillanter Musiker, ein atemberaubender Improvisator und ungewöhnlicher